Mein Traum von Europa

, von  Jonas Botta

Mein Traum von Europa
Die Kolumne „Wir in Europa“ erscheint jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden. Foto: © European Commission / 2004

Von den eigenen Träumen bleibt am nächsten Morgen selten mehr als eine flüchtige Erinnerung an einzelne Gefühle und Bilder. Aber manchmal hinterlassen sie einen bleibenden Eindruck, verändern sogar unser Denken. So ging es mir in meinem Traum von Europa – eine postnationale Zugfahrt in unsere Zukunft.

Die Prüfungsphase zeichnet sich bei mir stets durch schlechten Schlaf und viel Koffein aus, ein Zusammenhang zu meinem Lernerflog besteht zwar nicht, aber zu keiner Zeit im Jahr kann ich mich an so viele Träume erinnern. In denen verarbeite ich oft, was mich am Tage beschäftigt. Gerade im Vorfeld der Wahlen im Mai ist das die Frage danach, wo wir jungen Europäer eigentlich hinwollen. Kann es ein Ziel geben, nach dessen Erreichung wir alles geschafft haben? Mein Traum belehrt mich eines Besseren:

Der Traum deutet auf viel Umbruch auf europäischer Ebene hin

An mir fliegt die Landschaft vorbei. Erst ein paar Stunden sind vergangen seitdem ich am Vormittag die Pressekonferenz im EU-Außenministerium verlassen habe. Statt noch länger in Riga verweilen zu können, bin ich mittlerweile auf dem Weg nach Minsk, wo auf mich ein Empfang der neugewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments wartet. In diesen Tagen ist so viel im Umbruch. Obwohl nur wenig Zeit seit meinem Aufbruch vergangen ist, fällt es mir schwer meine Aufzeichnungen von der Pressekonferenz in einem Text wiederzugeben. Ich ordne meine Unterlagen und schiebe einen Flyer des litauischen Tourismusverbandes „Willkommen im geographischen Zentrum der Europäischen Union“ auf die letzte von mir bearbeitete Seite. Um in meine Gedanken Ordnung zu bringen, beschließe ich eine kurze Pause einzulegen und begebe mich in das Zugrestaurant. Tatsächlich gelingt es mir erst nach ein paar Tassen Kaffee den ersten Entwurf für meinen Text in mein Aufnahmegerät zu sprechen:

Vor wenigen Wochen wurden in den Regionen der Europäischen Union die Volksvertreter für das Parlament in Brüssel gewählt. Die Zeit des ständigen Umzugs der Parlamentarier gehört längst der Vergangenheit an. Doch auch wenn sich die beiden Legislativkammern – das Europäische Parlament und der Senat der Regionen der Europäischen Union – zusammen mit der Regierung in Brüssel befinden, sind die Ministerien, wie etwa das Außen- oder das Finanzministerium, auf die Regionen aufgeteilt. Die vorangegangene Diskussion um deren Sitze war erbitterter als etwa das Ende der nationalstaatlichen Verwaltungsebene geführt worden. Schließlich wurden die Ministerien gleichmäßig verteilt und der jüngeren Osterweiterung wurde Rechnung getragen. Ebene jene Aufnahmen des ehemaligen Weißrusslands sowie des Kaukasus stellten zugleich die letzte territoriale Erweiterung der Europäischen Union dar.

Etappenerfolg zur friedlichen und demokratischen Weltgemeinschaft

Die EU ist damit Europa geworden. Während in den vergangenen Jahrzehnten noch ideologisch über die – letztlich erfolgten – Beitritte der Türkei oder der Ukraine gestritten worden war, bemisst sich der europäische Fortschritt heute nicht mehr an einem Zusammenwachsen, sondern vielmehr an der Offenheit unserer Grenzen und der internationalen Zusammenarbeit, vor allem mit afrikanischen und asiatischen Partnern. Im allgemeinen Verständnis hat sich die Europäische Union als ein Etappenerfolg auf dem Weg zu einer friedlichen und demokratischen Weltgemeinschaft festgesetzt.

Die Idee des Nationalstaates, der einst Freiheit und Unabhängigkeit bedeutete, hat ausgedient. Dies wurde im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts umso deutlicher, als nur noch gemeinsame politische Konzepte fruchteten und selbst die letzten Rechtskonservativen keine Alternative zu „mehr Europa“ benennen konnten. Stattdessen wurde dem europäischen Grundsatz der Subsidiarität mit der Beibehaltung der Regionen genüge geleistet. Weder Basken, Berliner noch Mailänder waren betrübt über diese Entwicklung. Insbesondere da durch die Stärkung der beiden demokratisch legitimierten Kammern die Entscheidungen auf überregionaler Ebene besser nachvollzogen und diskutiert werden konnten.

Europäische Integration ist kein Allheilmittel

Viel bedeutender noch als die politische Erneuerung der Europäischen Union ist jedoch das Entstehen einer europäischen Identität in Folge der großen Wirtschaftskrise, deren Lösung eben nicht – wie von Europaskeptikern gewünscht – die Rückkehr zum Nationalstaat, sondern die Solidarität unter den ehemaligen Staaten und ihrer Bürgern war. Der gemeinsame wirtschaftliche und soziale Erfolg bewies den EU-Bürgern, dass sich der europäische Weg weiterhin lohnt.

Das Klingeln meines Weckers reißt mich aus der Zugfahrt durch meine politischen Träumereien. Zurück bleibt in meinem Gedächtnis nicht nur die Erkenntnis, dass ich dringend mal wieder nicht-wissenschaftliche Literatur lesen sollte, sondern das Bewusstsein, dass man die eigenen Ziele immer weiterdenken muss. Bei mehr Europäischer Integration ist einfach nicht Schluss mit allen Problemen und sie ist kein Allheilmittel. Aber jetzt brauch ich wirklich mal einen Kaffee.

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