Alle vier Jahre das selbe Phänomen: Die europäischen Medien begeistern sich für die amerikanischen Wahlen. Woche für Woche stoßen wir auf unzählige Artikel über Kandidaten, Reportagen vor Ort, Entschlüsselungen der Geheimnisse der amerikanischen Politik. Bereits 2014, zum Zeitpunkt der Europawahlen, erschienen einige Artikel über die Veröffentlichung des neuen Buchs von Hillary Clinton, die wahrscheinlich demokratische Präsidentschaftskandidatin werden würde. Grundsätzlich kann man sich über solche Informationswellen nur freuen: je mehr Information, desto besser. Allerdings besteht das Problem darin, dass das Interesse an diesen Wahlen in Verhältnis zu ihrer Relevanz für die Europäer völlig disproportional ist.
Komplexität ist kein Grund für mangelnde Berichterstattung
Der Wahlprozess in den USA ist komplex, besonders für europäische Bürger, die solch einen langen Prozess mit derart vielen Etappen nicht kennen. Amerikanische Serien tragen zumindest einen Teil zu seinem Verständnis bei: „West Wing“, „House of Cards“ oder „VEEP“ lassen uns in diese Welt eintauchen, auch wenn das Verstehen der Auszählungen bei fünfzig amerikanischen Staaten dennoch oft Schwierigkeiten bedeutet. Ansonsten sind europäischen Medien mehr oder weniger gezwungen, die Dinge in der Berichterstattung über den US-Wahlkampf zu vereinfachen: Also konzentrieren sie sich auf die Persönlichkeit der Kandidaten und die wichtigsten Streitthemen. Genau das bräuchte es für die Europawahlen. Vor allem seitdem das Ergebnis der Europawahlen entscheidet, wer Kommissionspräsident wird. Natürlich werden die Europawahlen auch weiterhin eine lokale und nationale Dimension haben. Allerdings wären Reportagen über Juncker und seine Vergangenheit als luxemburgischer Premierminister willkommen gewesen, als während seiner Wahlkampagne 2014 jahrelanger „legaler“ Steuerbetrug multinationaler Unternehmen in Luxemburg aufgedeckt wurde.
Es ist ärgerlich, feststellen zu müssen, dass europäische Bürger heute Hillary Clinton und Donald Trump besser kennen als Jean-Claude Juncker und Martin Schulz. Eine Demokratie braucht ihre Medien, um die Debatte zu beleben. Man kann kaum von seinen Bürgern fordern, an einer Wahl teilzunehmen, deren wichtigste Kandidaten und Akteure sie nicht kennen. Auch den Politikern muss kritisch auf die Finger geschaut werden.
Europa muss politisiert werden
Viele Medien verweigern der politischen Information zu Europa etwas Essentielles: die Politisierung – als ob alle Kandidaten gleich wären. Allerdings ist es auch die Schuld der pro-europäischen Strömungen, welche sich in ihrer Debatte für oder gegen ein Europa souveräner Nationalstaaten verheddern. Die Folge ist verheerend: Sobald etwas in Europas nicht funktioniert, wird die Existenz der Europäischen Union selbst in Frage gestellt. Man stelle sich vor, man stelle das Land Frankreich selbst in Frage, sofern man mit der Regierung Valls nicht einverstanden ist. Jedoch ist es wichtig, dass die Bürger verstehen: Europa ist nicht alles oder nichts. Und vor allem ist die EU nicht dieses Europa der Diplomaten, die sich an Sitzungen des Europäischen Rats berauschen und am Ende doch nur unzufriedenstellende Halblösungen hervorbringen.
Informationen über aktuelle europäische Themen „made in Europe“ werden oft zwischen Tür und Angel verfasst und stehen selten auf den Titelblättern, aus Zeitmangel ebenso wie aus freier Entscheidung der Redaktion. Entsprechend kann sich die breite Öffentlichkeit nur schlecht für ein Projekt begeistern, von dem sie niemals hört. Es ist an der Zeit, ebenso viele Artikel zu den Europawahlen zu verfassen, wie zu den amerikanischen Wahlen.
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