„Mal ja, mal nein“ - Über das polnische Veto gegen das EU-Budget

, von  Übersetzt von Jean-Marie Bryl, Wojciech Zajączkowski

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„Mal ja, mal nein“ - Über das polnische Veto gegen das EU-Budget
Mateusz MORAWIECKI, Polnischer Premierminister Foto: European Union / EU Council / Lizenz

Im Laufe der Verhandlungen des EU-Budgets konnte lange Zeit keine Einigung erzielt werden. Gründe dafür lassen sich in polnischen innenpolitischen Machtspielen finden, die eine außenpolitische Weitsicht vermissen lassen.

“Mal ja”

 noch während des letzten EU-Gipfels im Juli 2019 gab der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki sein Ja zur Konditionalisierung der Vergabe von Geldern aus dem gemeinsamen EU-Budget für die Jahre 2021-27.

Doch schon in den letzten Monaten wurde in regierungsnahen Medien das Narrativ verbreitet, dass sowohl Polen als auch Ungarn von der EU betrogen wurden. So hätte nach Ansicht der polnischen Regierungspartei PiS (“Recht und Gerechtigkeit”) die Entscheidung zur Aussetzung von EU-Fördermitteln im Falle rechtsstaatlicher Brüche in EU-Mitgliedstaaten unisono, d.h. einstimmig fallen müssen. Dies ist jedoch, aus rechtlicher Perspektive, mitnichten der Fall. Demnach lässt sich in den EU-Schlussfolgerungen, die auch Morawiecki unterschrieben hatte folgendes lesen: “Based on this background, a regime of conditionality to protect the budget and Next Generation EU will be introduced. In this context, the Commission will propose measures in case of breaches for adoption by the Council by qualified majority.” Außerdem wurde in den Schlussfolgerungen garantiert, dass der Rat umgehend die Regelung präzisieren will. Dies ist dann auch geschehen.

“Mal Nein”

 dennoch tauchten im November Stimmen aus polnischen und ungarischen Diplomatenkreisen auf, die dem Rechtsstaatsmechanismus im EU-Budgetplan nicht zustimmen wollten. Der Widerstand entwickelte sich zu einem Zeitpunkt, als am 5.November eine Einigung zwischen dem EU-Parlament und dem Rat in Sachen Rechtsstaatsmechanismus verkündet wurde. In diesem Gesetzesvorschlag wurde u.a. vorgesehen, dass EU-Fördermittel ausgesetzt werden können, wenn festgestellt wird, dass ein Verstoß rechtsstaatlicher Prinzipien in einem Mitgliedstaat oder ein signifikantes Risiko insofern existiert bzw. bevorsteht, als dass es der Verwaltung des EU-Budgets oder den finanziellen Interessen der EU auf eine ausreichend unmittelbare Weise bedroht. Somit wurde der Mechanismus stark verwässert; die Verknüpfung der Aussetzung von EU-Fördermitteln allein mit den “finanziellen Interessen der EU” erlaubt es der polnischen Regierung, wie gewohnt EU-Fördermittel auch trotz eklatanter Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien zu erhalten. Zudem gehört ausgerechnet Polen zu denjenigen Staaten in der EU, die vergleichsweise gewissenhaft mit der Verteilung sowie Weitergabe der EU-Fördermittel umgehen.

Das Gleiche kann unterdessen nicht von Ungarn behauptet werden, wo der Premierminister Viktor Orban vetternwirtschaftliche Netzwerke aufgebaut hat. So existieren berechtigte Sorgen darüber, dass in Ungarn Korruption sowie Veruntreuung der Budgetmittel die “finanziellen Interessen der EU” bedrohen: der Widerstand seitens Fidesz scheint dementsprechend nur allzu verständlich.

“Es kommt vor, dass …”

 in Stresssituationen neigen wir dazu, unüberlegte Entscheidungen zu treffen. Eine solch unüberlegte Entscheidung hat die polnische Regierung gefällt, als sie unter dem Vorbehalt des Schutzes der eigenen nationalen Souveränität eine Allianz mit Orban einging und damit den EU-Budget sprengen wollte. Orban ist bewusst, dass er viel zu verlieren hat. Daher wundert es nicht, dass Ungarn lieber die Corona-Hilfen im Wert von Milliarden Euro ausschlägt, als Verantwortung über die zahlreichen Rechtsbrüche zu übernehmen. Was jedoch verwunderlich ist, ist die Tatsache, dass polnische Diplomatenkreise mit der Position aus Budapest einverstanden sind. Unglücklicherweise ist der polnische Premierminister Morawiecki Geisel des Justizministers Zbigniew Ziobro geworden, der mithilfe des Vetos versucht, seine Position im eigenen Regierungslager zu stärken.

Es gibt keinen durchdachten “polnischen Masterplan”; wir stampfen mit dem Fuß, weil die EU angeblich durch die Hintertür die gleichgeschlechtliche Ehe einführen möchte. “Selbstverständlich” würden diese zum Untergang der polnischen Nation führen. So der Tenor des PiS-Koalitionspartners “Solidarna Polska”.

“Manchmal ist es komisch, wie”

 diese polnische Außenpolitik an innenpolitischen Machtspielchen leidet. Die Staatsräson Polens sollte auf eine weitsichtige Außenpolitik angelegt sein, die sich auf das Erreichen bestimmter Ziele konzentriert - das Aufbauen einer starken Position Polens innerhalb der Union. Dabei geht es weniger um eine Erzählung der “starken polnischen Werte”, sondern um die Fähigkeit zum Dialog mit anderen Mitgliedstaaten. Aber es geht auch darum, dass die anderen Länder mit uns überhaupt sprechen möchten. Dies ist kein Vorwurf ausschließlich an das derzeitige Regierungslager. Die polnische Außenpolitik sollte sich im Allgemeinen an Prinzipien halten, die sich auch nach Regierungswechsel nicht wesentlich zu ändern haben. Es wäre sinnvoll, dies in Betracht zu ziehen.

Epilog.

Inzwischen ist es zu einem Kompromiss zwischen Polen, Ungarn und dem Rest der EU gekommen. Nach Angaben des polnischen Radiosenders RMF FM soll die Regelung in ihrer Formulierung beibehalten werden, allerdings mit gesonderten Richtlinien zur Anwendung. Die “Bedienungsanleitung” erhält u.a. die Garantie, dass die LGBT-Community keine Unterstützung seitens der EU in ihrem Kampf um die gleichgeschlechtliche Ehe erhält. Es ist leider nicht das erste Mal, dass die EU ihre “Elastizität” in Sachen Menschenrechte bewiesen hat. Bis dato hat sie diese jedoch eher bzgl. ihrer Interessen im Nahen Osten gezeigt.

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