Die neue Juncker-Kommission
Als der zukünftige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Anfang September den Aufbau der neuen EU-Kommission vorstellte, sprach er von einem „Neuanfang“, mit dem das Vertrauen der Bürger in die EU wiederhergestellt werden solle. Denn die Struktur ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Sie sieht unter anderem die Einführung einer Reihe von Vizepräsidenten vor, die jeweils für die Koordination eines wichtigen Bereichs der EU-Politik zuständig sein werden. Damit will Juncker das Problem der Überregulierung und mangelnden Kooperation zwischen den Kommissaren bekämpfen, das Brüssel oft zum Vorwurf gemacht wird. Zudem legt er durch die Auswahl der Dossiers seine politischen Prioritäten für die nächsten fünf Jahre fest. Auch personell ändert sich einiges: Nur sieben Amtsinhaber der Barroso-Kommission sind in Junckers Team vertreten. Viele der Neuzugänge weisen nationale Regierungserfahrung auf - ob als ehemalige Minister oder Regierungschefs.
Wie sich zurzeit in den parlamentarischen Anhörungen zeigt, bringt die Besetzung der Portfolios jedoch einige Probleme mit sich. Es scheint, als hätte Juncker bewusst kontroverse Ressorts an die Kommissare verteilt, deren Heimatländer ein besonderes Interesse an ihnen haben. Frei nach dem „Bock zum Gärtner“-Prinzip erhielt Großbritannien somit die Aufsicht über die Finanzmärkte, Frankreich die Überwachung der Haushaltspolitik und Ungarn die Aufgabe, die europäischen Bürgerrechte zu wahren. Die Idee dahinter ist, dass sich die neuen Kommissare gerade dann eine Sonderbehandlung ihres Herkunftslands nicht erlauben können.
Anhörungen als wirksames Kontrollinstrument
Die Frage ist, ob das Konzept aufgeht. Denn die Anhörungen der Kommissare entwickeln sich momentan zunehmend zu einem Machtkampf zwischen den politischen Fraktionen. Denn Abgeordnete fast aller Fraktionen blockieren nun gegenseitig mögliche Kandidaten. Die große Koalition, auf die sich Christ- und Sozialdemokraten nach den Europawahlen im Mai informell geeinigt hatten, beginnt zu zerfallen.
Eine solche stabile Mehrheit ist allerdings notwendig, damit die Kommission Ende Oktober wie geplant bestätigt werden kann. Zuvor werden die 28 Kandidaten in dreistündigen Anhörungen von den parlamentarischen Ausschüssen befragt. Zwar kann das EU-Parlament eigentlich nur die Kommission als Ganzes annehmen oder ablehnen. Faktisch dient dieses Recht jedoch als politisches Druckmittel, um einzelne unbeliebte Kandidaten von den nationalen Regierungen austauschen zu lassen. So musste etwa die rumänische Kandidatin Rumiana Jeleva im Jahr 2010 zurücktreten, nachdem ihr Unregelmäßigkeiten in ihrer Deklaration finanzieller Interessen vorgeworfen wurden.
Währungspolitische Kommissare im Zentrum der Kritik
Zurzeit stehen mit Jonathan Hill und Pierre Moscovici unter anderem genau die Kommissare im Fokus, die in Zukunft hauptsächlich für die währungspolitischen Aufgaben zuständig sein werden. Der britische Konservative Hill konnte die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses am Mittwochnachmittag trotz eines wortgewandten Auftritts nicht überzeugen. Besonders Abgeordnete des linken Flügels glauben nicht daran, dass der ehemalige Londoner Finanzlobbyist eine strikte und umfassende Regulierung der Finanzmärkte durchsetzen wird. Zudem würde Hill Chefaufseher der im November in Kraft tretenden Bankenunion, der Großbritannien jedoch nicht angehört. Neben der Beantwortung einer Reihe von schriftlichen Fragen muss Hill deshalb zu Beginn der Woche eine zweite Anhörung absolvieren.
Auch der französische Sozialist Pierre Moscovici ist unter den EU-Parlamentariern umstritten. In seiner Anhörung am Donnerstagmorgen waren die Abgeordneten des Wirtschaftsausschusses besonders an seinem Posten als französischer Finanzminister interessiert, den er bis vor sechs Monaten innehatte. Denn Moscovici hatte es in den zwei Jahren seiner Amtszeit nicht geschafft, das jährliche Staatsdefizit auf das im Maastricht-Vertrag festgelegte Ziel von drei Prozent zu begrenzen. Abgeordnete fast aller politischen Fraktionen bezweifelten daher, dass Moscovici künftig in der Lage sein werde, die nationalen Regierungen zum Sparen zu zwingen – notfalls auch durch die Verhängung von Sanktionen.
Für Aufregung sorgte zudem ein vertrauliches Dokument des zukünftigen Kommissionspräsidenten, das vergangenen Dienstag an die Öffentlichkeit gelangte. Juncker bestimmt darin, dass Moscovici keine eigenen Entscheidungen im Bereich der Wirtschafts- und Haushaltspolitik treffen darf. Stattdessen muss er diese stets mit seinem „Vorgesetzten“, dem Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis, abstimmen, welcher das Ressort Euro und Sozialer Dialog übernehmen wird. Kritiker wie der Sprecher der Grünen-Fraktion Sven Giegold sehen darin eine Degradierung des Franzosen: „Die EU-Kommission mauert Moscovici ein.“
Auch andere Kandidaten müssen zittern
Höchst umstritten ist ebenfalls der designierte Kommissar für Klimaschutz und Energie, Miguel Arias Cañete. Der Spanier hielt bis zum Tage seiner Nominierung Anteile an zwei nationalen Ölfirmen. Zudem saßen sowohl sein Sohn als auch sein Schwager in den Vorständen der jeweiligen Unternehmen. Auf wiederholte Nachfrage hin betonte Cañete in seiner Anhörung zwar, dass kein potenzieller Interessenskonflikt bestünde. Dennoch wurde die Entscheidung über seine Bestätigung zunächst verschoben. Zuvor wird seine mehrmals geänderte Deklaration finanzieller Interessen Anfang der Woche erneut vom Rechtsausschuss des Parlaments geprüft.
Einen Sturm der Entrüstung löste zudem die Nominierung des Ungarn Tibor Navracics aus, der in Zukunft das Ressort für Kultur, Bildung, Jugend und Bürgerrechte leiten soll. In seiner Zeit als Minister der Regierung des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Victor Orbán hatte Navracics unter anderem ein Gesetz zu verantworten, das eine umfassende Einschränkung der Pressefreiheit beinhaltete. In einem offenen Brief sprach sich daher auch die Redaktion des treffpunkteuropa.de gegen seine Ernennung aus.
Schließlich konnte auch die Tschechin Vĕra Jourová in ihrer Anhörung am Mittwochnachmittag nicht überzeugen. Obwohl die Abgeordneten ihre grundsätzliche Eignung zur Kommissarin nicht bezweifelten, verließ sie die Anhörung mit einem umfangreichen Fragekatalog und der Forderung nach konkreteren Zusagen .
Das Personalkarussell dreht sich (möglicherweise)
Die aktuelle Besetzung der Kommission ist also noch nicht in Stein gemeißelt. Während sich die meisten Kandidaten als Kommissare prinzipiell empfohlen haben, gilt es als wahrscheinlich, dass Juncker eine Umverteilung einiger Ressorts in Betracht ziehen muss. Sollten hierfür zusätzliche Anhörungen und Meetings stattfinden, könnte das den engen Zeitplan erheblich durcheinanderwirbeln. Denn Ziel bleibt es weiterhin, dass die Juncker-Kommission am 1. November offiziell ihre Arbeit aufnimmt. Die Verhandlungen in dieser Woche werden zeigen, ob es eingehalten werden kann.
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