Anfang September trafen sich die europäischen Landwirtschaftsminister*innen in Koblenz. Deutschland hat derzeit die europäische Ratspräsidentschaft inne und gibt damit auch die Verhandlungsagenda vor. Anlässlich des Treffens hat die überparteiliche Europa-Union Deutschland (EUD) einen Online-Bürgerdialog zu den Zukunftsthemen der Gemeinsamen Agrarpolitik organisiert. Jutta Paulus, Grünen-Abgeordnete im Umweltausschuss des Europaparlaments, und Uwe Feiler, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, sprachen dort über die europäische Landwirtschaftspolitik und die Fortschritte, die Deutschland während seiner Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres vor allem in den Bereichen Nachhaltigkeit, Lebensmittelkennzeichnung und Tierwohl machen möchte. Hierbei stehen harte Verhandlungen an: Wo es um viel Geld und um emotional aufgeladene Themen wie Ernährungsweisen und Tierschutz geht, sind Konflikte vorprogrammiert.
Der Stand der europäischen Agrarpolitik
Die Gemeinsame Agrarpolitik ist einer der wichtigsten Politikbereiche der Union und verfügte zeitweise über mehr als die Hälfte des Budgets der EU. Sie soll Ernährungssicherheit garantieren, die Entwicklung des ländlichen Raums fördern und zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen. Diese Ziele werden derzeit vor allem durch Direktzahlungen an Bäuer*innen verfolgt, die von der Größe der bewirtschafteten Fläche abhängen. Zudem wird ein Teil der Zahlungen an sogenannte „Greening“-Maßnahmen gebunden. Das kann zum Beispiel die Erhaltung von Grünstreifen am Rand von Feldern sein, die zur Biodiversität beitragen sollen. Der Großteil der Subventionen fließt jedoch noch immer ohne ambitionierte Umweltauflagen, was zunehmend kritisiert wird. Im EUD-Bürgerdialog wies Europaparlamentarierin Jutta Paulus darauf hin, dass besonders Großbetriebe von der derzeitigen Förderung profitierten. 80 Prozent der Gelder landeten bei 20 Prozent der Betriebe. Auch von Tierschützer*innen kommt Kritik: Statt einer durchökonomisierten Landwirtschaft mit minimaler Rücksicht auf das Tierwohl fordert beispielsweise die Europäische Bürgerinitiative „End the Cage Age“ besseren Schutz für Nutztiere. Sie wurde von über 1,5 Mio. Europäer*innen unterstützt.
Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen – ein Paradigmenwechsel
Vor dem Hintergrund der Klimakrise und eines gestiegenen Bewusstseins für Umweltschäden und Tierschutzfragen setzt sich zunehmend die Überzeugung durch, dass die massive öffentliche Förderung nur denjenigen Betrieben zugutekommen soll, die einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten. Von diesem gibt es unterschiedliche Vorstellungen: Beispielsweise fallen darunter Klimaschutzbemühungen, Tierwohlförderung, nachhaltige Bewirtschaftung von Feldern und die Landschaftspflege. Fördergelder würden dann vermehrt an die Erfüllung von Auflagen gebunden. Damit ginge ein Paradigmenwechsel einher, der den Fokus stärker auf ökologische und gesellschaftliche „Dienstleistungen“ der Bäuer*innen legt, statt letztere bedingungslos zu unterstützen. Hohe Standards für Umwelt- und Klimaschutz waren auch im EUD-Bürgerdialog eine beliebte Forderung: 75 Prozent der Teilnehmenden sprachen sich dafür aus, Agrarförderung nur noch bei ihrer Erfüllung auszubezahlen.
Umfrage unter den Teilnehmenden des EUD-Bürgerdialog am 16.09.2020. Foto: zur Verfügung gestellt von der Europa-Union Deutschland
Die klimapolitische Dimension von Landwirtschaft
Als Vertreterin der Grünen im Europaparlament war für Jutta Paulus vor allem die Frage nach der umwelt- und klimapolitischen Bilanz der Gemeinsamen Agrarpolitik zentral. Dabei beklagte sie einen Widerspruch zwischen dem Europäischen Green Deal als klimapolitisches Leuchtturmprojekt der EU-Kommission und den jahrzehntelang gewachsenen Strukturen der Gemeinsamen Agrarpolitik. Eine Förderung ohne Rücksicht auf die Klimabilanz der landwirtschaftlichen Tätigkeit widerspreche den Zielen des Green Deals.
Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen, da der Landwirtschaftssektor mit circa 12 Prozent tatsächlich substanziell zu den europäischen Treibhausgas-Emissionen beiträgt und derzeit noch kaum Klimaschutzauflagen erfüllen muss. Das hängt auch mit der Art der Emissionen zusammen: Es handelt sich größtenteils um Methan und Lachgas, die bei der Tierhaltung und Düngung entstehen. Diese lassen sich oft nicht genau oder nur aufwändig messen und die Möglichkeiten zur Reduktion, wie die Verwendung anderer Dünger, sind auch schwierig kontrollierbar. Durchaus beispielsweise mit einer stärkeren Besteuerung bekämpft werden könnte aber die aktuell immense Fleischproduktion, die große Mengen Methan verursacht. Im Bürgerdialog waren Maßnahmen zur Reduktion des Fleischkonsums ein oft genannter Punkt, wobei auch die Förderung von Fleischalternativen als Idee genannt wurde.
Vom Hof auf den Tisch als neues Leitbild
Die EU-Kommission unter Präsidentin von der Leyen hat erkannt, dass es veränderte Ansprüche an die europäische Landwirtschaftspolitik gibt und dazu die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ erarbeitet. Diese soll Maßstäbe für die zukünftige, nachhaltige landwirtschaftliche Versorgung setzen und regionale Wirtschaftskreisläufe stärken. Zudem sollen Antibiotika- und Pestizideinsatz stark zurückgefahren und im Gegenzug die ökologische Landwirtschaft in Europa ausgebaut werden. Ein weiteres Ziel ist ein effizienterer Düngereinsatz, wobei Uwe Feiler von durch die Digitalisierung deutlich verbesserten Möglichkeiten einer gezielteren Düngereinbringung berichten konnte. Auch die Forschung im Landwirtschaftsbereich wird durch „Vom Hof auf den Tisch“ von 10 Milliarden Euro Förderung profitieren.
Kommt ein europäisches Tierwohllabel?
Vielen Europäer*innen sind gute Haltungsbedingungen für Tiere sehr wichtig und in einer Eurobarometer Umfrage von 2015 unterstützten 82% die Forderung nach besserem Schutz von Nutztieren. Allerdings befinden sich in Supermarktregalen noch immer hauptsächlich Produkte aus nicht-artgerechter Massentierhaltung. Diese Unstimmigkeit hängt wohl auch damit zusammen, dass Haltungsbedingungen sehr einfach zu verdrängen sind, wenn man auf Milchpackungen glückliche Kühe sieht und keine Informationen zu den reellen Haltungsbedingungen bekommt. Konsument*innen haben, abgesehen von der „Bio“-Kennzeichnung, kaum Möglichkeiten, die Haltungsbedingungen nachzuvollziehen. Ein Tierwohllabel, das verpflichtend oder auch zunächst freiwillig eingeführt werden könnte, dürfte Konsument*innen mehr Wahlfreiheit bieten. Dazu gibt es derzeit Abstimmungen zwischen den Mitgliedsstaaten und der Staatssekretär Uwe Feiler konnte im EUD-Bürgerdialog von positiven Signalen mehrerer EU-Staaten berichten. Allerdings ist es noch nicht absehbar, bis wann es zur Umsetzung kommen könnte.
Auf dem Weg zur nachhaltigen Landwirtschaft
Umfrage unter den Teilnehmenden des EUD-Bürgerdialog am 16.09.2020. Foto: zur Verfügung gestellt von der Europa-Union Deutschland
Es zeichnet sich zunehmend ein grundsätzlicher Wandel in der europäischen Agrarpolitik ab. Auch die Umfragen unter den Teilnehmenden des EUD-Bürgerdialogs verdeutlichen, dass die Akzeptanz für bedingungslose Förderung sinkt und Landwirt*innen neuen Ansprüchen gerecht werden müssen. Die Verhandlungen zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik im kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen (2021-2027) werden zeigen, inwiefern sich dieser Mentalitätswandel auch politisch niederschlägt.
Dieser Beitrag ist im Rahmen einer Kooperation zwischen der Europa-Union Deutschland und treffpunkteuropa.de entstanden, in der wir über die bundesweite Bürgerdialogreihe „Europa? Wir müssen reden!“ berichten. Die Bürgerdialoge schaffen durch interaktive Formate den Rahmen, um auch abseits von Wahlen politische Beteiligung zu ermöglichen. Mehr Infos gibt es hier. treffpunkteuropa.de ist Medienpartner der Reihe und erhält im Rahmen dieser Partnerschaft eine Aufwandsentschädigung. Die Inhalte der Berichterstattung sind davon nicht betroffen. treffpunkteuropa.de ist frei und allein verantwortlich für die inhaltliche und redaktionelle Gestaltung seiner Artikel.
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