Klimaschutz in Zeiten von Corona: Verzweiflung oder Hoffnungsschimmer?

, von  Sarah Diehl

Klimaschutz in Zeiten von Corona: Verzweiflung oder Hoffnungsschimmer?
Eine Industrielandschaft in Deutschland. Luft- und Umweltverschmutzungen aus vielen Quellen sind während der Corona-Pandemie drastisch zurückgegangen. Foto: pixabay / Foto-Rabe / pixabay license

Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit und wird in den letzten Jahren zunehmend auch so wahrgenommen - bis COVID-19 unser aller Leben und die globale Wirtschaft auf den Kopf stellte. Welche Perspektive es für Klimaschutz in Zeiten von und nach Corona gibt, ist nun völlig offen.

Der Klimawandel und die mit ihm einhergehenden Veränderungen unserer Umwelt stellen eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Aus gutem Grund waren der Klimawandel und damit im Zusammenhang stehende Bewegungen wie Fridays for Future in den letzten zwei Jahren im Fokus der Aufmerksamkeit und der politischen Debatte. Erst im Dezember 2019 stellte die neue Präsidentin der EU-Kommission den ambitionierten European Green New Deal vor, der den Mitgliedsstaaten der EU bis 2050 zur Klimaneutralität verhelfen sollte.

Im Zuge der aktuellen Berichterstattung um COVID-19, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und die Folgen für die Wirtschaft auf globaler und lokaler Ebene ist das Thema Klimawandel jedoch zunehmend in den Hintergrund gerückt. Es ist einerseits zu befürchten, dass Klimabedenken hintenanzustehen haben, falls Europa tatsächlich wie angekündigt auf die schwerste wirtschaftliche Rezession seit der großen Depression der 1920/30er Jahre zusteuert. Andererseits könnte die Krise eine entscheidende Gelegenheit zum Umbau der europäischen Wirtschaft darstellen, wie im European Green New Deal vorgesehen.

Die Lage vor März 2020

Obwohl die Realität des Klimawandels bereits seit Jahrzehnten bekannt und spätestens durch den Umweltgipfel 1992 in Rio auf die politische Agenda gerückt ist, haben die Veränderungen unserer Lebens- und insbesondere Wirtschaftsweise, die zur Eindämmung des Klimawandels notwendig wären, auf sich warten lassen. Daran haben auch die regelmäßig stattfindenden Klimakonferenzen, an denen hochrangige Politiker*innen vieler Staaten teilnahmen, wenig geändert. Zwar wurden beispielsweise im Rahmen des Kyoto-Protokolls ambitionierte Ziele zur Verminderung von CO2-Emission vereinbart, jedoch waren diese nicht bindend. Einen Fortschritt brachte hier erst das Pariser Klimaabkommen, das 2016 in Kraft trat und Maßnahmen vorsieht, um einen Anstieg der Temperatur um mehr als 1,5 Grad Celsius zu verhindern.

Gleichzeitig ist in den vergangenen Jahren der öffentliche Druck auf die Politik durch die Klimaschutzbewegung immer stärker geworden, insbesondere seit 2018 in Gestalt von Greta Thunberg und Fridays for Future. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen und gleichzeitig die Wirtschaft in der EU zu stärken, kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2019 schließlich den European Green New Deal als Kernprojekt ihrer Präsidentschaft an. Ziel dieses Programms ist es, die CO2-Emissionen der EU-Staaten bis 2050 auf null zu reduzieren und die Wirtschaft entsprechend umzugestalten.

Wirtschaft und Corona: Business as usual?

Das Jahr 2020 sollte der Wendepunkt im Kampf gegen den Klimawandel sein. Doch seit COVID-19 alle anderen Themen überschattet, ist es still um das Thema Klimaschutz und somit auch um den European Green New Deal geworden. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem entschlossenes Handeln besonders geboten wäre. Die für den langfristigen Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft notwendigen Finanzmittel werden nun stattdessen gebraucht, um die kurzfristigen Folgen des Lockdowns, wie etwa Arbeitslosigkeit und Einnahmeausfälle, abzufedern und die Konjunktur anzukurbeln. Allein Deutschland hat zu diesem Zweck bereits Hilfen in Höhe von 353,3 Milliarden Euro bereit gestellt - Summen, die in der Klimadebatte undenkbar erschienen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies bei weitem nicht ausreicht. Das Ende der Pandemie ist bislang nicht absehbar und bereits jetzt gehen Wirtschaftsexperten davon aus, dass die Welt auf die größten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression zusteuert.

Flugzeuge bleiben am Boden und Kreuzfahrtschiffe im Hafen. Produktionsstandorte stehen still. Der internationale Handel ist weitgehend zum Erliegen gekommen, das öffentliche Leben größtenteils lahmgelegt. Weltweit bleiben Menschen zuhause und konsumieren aufgrund mangelnder Möglichkeiten und finanzieller Ungewissheit weniger als zuvor. In diesem Sinne scheint die Pandemie aufgrund der drastisch gesunkenen CO2-Emissionen auf den ersten Blick positive Auswirkungen auf das Klima zu haben. Doch bereits mittelfristig könnte sich das schnell ändern: Ein negativer Ölpreis verringert den Anreiz, die Nutzung erneuerbarer Energien auszubauen. Niedrigere Haushaltsbudgets und wachsende Schulden verringern den Spielraum für Klimaschutzprogramme. Steigende Arbeitslosigkeit und eine Rezession könnten nach der Krise einen ausschließlichen Fokus auf wirtschaftliches Wachstum als alternativlos erscheinen lassen.

Andrej Babiš, der Premierminister Tschechiens, forderte in diesem Zusammenhang gar, dass die EU den European Green New Deal vergessen solle, um sich stattdessen auf das Virus und seine Folgen zu konzentrieren. Dies könnte dramatische Folgen haben, da die Kosten für Nicht-Handeln wesentlich höher sind als die rechtzeitiger Maßnahmen, wie auch die EU-Kommission betont. Zwei Säulen des Green New Deal, die “Vom Hof auf den Tisch“-Initiative und die Biodiversitätsstrategie, wurden allerdings tatsächlich bereits verschoben. Einen Hinweis für die Zukunft des Klimaschutzes nach der Krise könnten die Entwicklungen nach der Finanzkrise 2008 geben: Danach wurde das ursprüngliche Niveau an Zuwächsen bei Investitionen in ‘grünes Wirtschaften’ bis heute nicht mehr erreicht.

Coronakrise als Chance für den Klimaschutz

Doch ist eine solche business as usual-Entwicklung unausweichlich, oder gibt es auch Anlass zur Hoffnung? Tatsächlich bietet die aktuelle Krise eine nie dagewesene Möglichkeit zum Umbau der Wirtschaft: Staatliche Eingriffe, die im neoliberalen Weltbild lange Zeit als Tabu galten, werden jetzt als legitim angesehen, wenn es darum geht, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, auch wenn dies massive wirtschaftliche Einschränkungen bedeutet. Gleichzeitig sind Finanzmittel in einem Umfang verfügbar, der in normalen Zeiten undenkbar scheint. Diese Situation stellt somit eine ideale Gelegenheit für einen Umbau hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft dar, so wie es der European Green New Deal der von der Leyen-Kommission vorsieht.

Einerseits könnten die staatlichen Soforthilfen und Konjunkturpakete, die jetzt im Großteil der Mitgliedstaaten verabschiedet wurden, eine massive wirtschaftliche Lenkungswirkung entfalten. Eine Möglichkeit bestünde beispielsweise darin, Gelder bevorzugt an Unternehmen und Organisationen auszuschütten, die bestimmte Klimaschutzvorgaben erfüllen bzw. sich zu deren Umsetzung verpflichten. Eine andere Option könnte die gezielte Förderung nachhaltiger Technologien im Rahmen von Konjunkturprogrammen sein, wie beispielsweise von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagen. Dies könnte neben den positiven Auswirkungen auf das Klima auch die Wirtschaft in der EU wettbewerbsfähiger machen. Andererseits zeigt die Reaktion auf COVID-19, dass entschlossenes staatliches Handeln möglich sowie internationale Kooperation und Solidarität vorhanden sein können, wenn der Schutz des Gemeinwohls drastische Maßnahmen erforderlich macht. Dies macht Hoffnung, auch für den Klimaschutz.

Bereits jetzt steht fest, dass während der COVID-19-Pandemie getroffene Entscheidungen die Weichen für die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft und somit auch des Klimaschutzes stellen werden. Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, die notwendigen konjunkturellen Maßnahmen an klimafreundliche Auflagen zu knüpfen. Eine Rückkehr zur business as usual sollte dabei jedoch kein Maßstab sein. Es wird sich zeigen, ob die verantwortlichen Politiker*innen dabei auch über die aktuelle Situation hinaus das Wohl künftiger Generationen im Blick haben.

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