Klimapolitik in Zeiten von COVID-19 und deutscher EU-Ratspräsidentschaft

, von  Sophia Stutzmann

Klimapolitik in Zeiten von COVID-19 und deutscher EU-Ratspräsidentschaft
Greta Thunberg im Europäischen Parlament, 4. März 2020. Foto: flickr / GUE/NGL / CC BY-NC-SA 2.0

Während die Klimapolitik der EU rund um den European Green Deal zu Beginn des Jahres noch die europäische Tagespolitik zu dominieren schien, wird sie seit März von COVID-19 und der Bewältigung der durch die Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise von der Agenda verdrängt. Doch der Klimawandel ist weiterhin ein drängendes Problem. Wie steht es derzeit um die Klimapolitik der EU und welche Rolle kann die deutsche Ratspräsidentschaft dabei spielen? Eine Analyse.

Im Zuge der sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft, welche Deutschland Anfang Juli übernommen hat, fällt der Bundesrepublik eine besondere Rolle zu: durch die Leitung der Sitzungen auf allen Ebenen des Rates der EU hat Deutschland nun die Möglichkeit, inhaltliche Prioritäten zu setzen. Die Hoffnung derer, die sich den Ratsvorsitz Deutschlands als Klimapräsidentschaft vorgestellt hatten, erhielt allerdings bereits bei der Präsentation der deutschen Schwerpunkte für die Ratspräsidentschaft einen leichten Dämpfer. In Anbetracht der vielfachen Krisen, die nun auf die EU zukommen – allen voran die Bewältigung der COVID-19-Wirtschaftskrise, gefolgt von den drängenden Verhandlungen über den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) sowie über ein Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich – ist der Kilmaschutz als Priorität in den Hintergrund gerückt. Doch auch für die Klimapolitik drängt die Zeit.

Noch zu Beginn des Jahres schienen alle Zeichen für die EU-Klimapolitik auf grün zu stehen: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits in ihrer Bewerbungsrede im Juli 2019 das ebenso ehrgeizige wie klimapolitisch notwendige Ziel formuliert, die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinenten der Welt zu machen. Auf diese Ankündigung folgten die Vorstellung der Eckpunkte des European Green Deal im Dezember 2019 sowie die medienwirksame Präsentation des Vorschlags über ein Klimagesetz in Anwesenheit von Greta Thunberg am 4. März 2020 in Brüssel. Doch während Anfang des Jahres die Klimapolitik in aller Munde war, beherrschen nun COVID-19 und die dadurch verursachte Wirtschaftskrise in der EU die Tagesordnung.

Dies wirft mehrere Fragen bezüglich der Klimapolitik der EU auf: Wie steht es derzeit um den European Green Deal? Wie wird der Klimaschutz beim Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft und in den Verhandlungen über den nächsten MFR berücksichtigt werden? Bei all diesen Punkten stellt sich außerdem die Frage, welche Rolle Deutschland als Inhaber der EU-Ratspräsidentschaft spielen kann.

Wie steht es um den European Green Deal?

Der European Green Deal umfasst ein über zehn Politikbereiche verteiltes Bündel an Initiativen, die zum Gesamtziel der Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen sollen. Neben dem Just Transition Fund, der durch finanzielle Mittel diejenigen unterstützen soll, die von der geplanten ökologischen Transition am stärksten betroffen sind, ist das Herzstück des European Green Deal das Europäische Klimagesetz, welches das Nettonull-Ziel bis 2050 rechtlich verankern soll. Bevor das gesamte Europäische Parlament im Oktober über den Vorschlag für das Klimagesetz abstimmt und anschließend eine Einigung zwischen Parlament und Rat gefunden werden muss, wird der Gesetzesentwurf derzeit im Umweltausschuss des Parlaments debattiert. Dort zeigt sich, dass in der Tat sehr viel Diskussionsbedarf besteht: allein im Umweltausschuss gingen über 1000 Änderungsanträge an dem Gesetzesvorschlag ein.

Der umstrittenste Punkt ist hierbei das Zwischenziel der CO2-Emissionsreduktionen bis 2030, das im Gesetz definiert werden soll. Um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, reicht das derzeitige Ziel der EU, die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, nicht aus. Während die EU-Kommission derzeit noch verschiedene Reduktionsszenarien zwischen 50 und 55 Prozent prüft – für die sich auch Angela Merkel ausgesprochen hat –, sieht es so aus, als würde sich das EU-Parlament auf ein höheres Ziel verständigen. Die endgültige Festlegung des Ziels wird dann zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat ausgehandelt werden, wobei auch hier die Zeit drängt. Eine rechtzeitige Verabschiedung des Klimagesetzes vor der UN-Klimakonferenz (COP26) im November in Glasgow ist essenziell dafür, dass die EU dort mit einem ausgearbeiteten Klimaneutralitätsplan auftreten und so die Rolle eines Vorreiters im Bereich des Klimaschutzes erfüllen kann.

Neben dem Just Transition Fund und dem Klimagesetz wurden bereits andere Initiativen des European Green Deal auf den Weg gebracht. Anfang März präsentierte Ursula von der Leyen eine neue Industriestrategie („für ein weltweit wettbewerbsfähiges, grünes und digitales Europa“), sowie einen Vorschlag eines Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft. Mitte Mai folgte darauf die Vorstellung der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“, die eine Kreislaufwirtschaft der Lebensmittel vorantreiben soll, sowie einer Biodiversitätsstrategie für 2030. Damit liegt die Europäische Kommission bisher, trotz der COVID-19-Krise, in ihrem selbst gesteckten Zeitplan - zumindest was die Vorstellung der Initiativen betrifft. Doch die Verabschiedung dieser Initiativen im Rahmen des EU-Gesetzgebungsverfahrens scheint für die Kommission in Anbetracht der COVID-19-Krise erst einmal nachrangig.

Wird das Klima beim Wiederaufbau und beim MFR berücksichtigt?

Für den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft angesichts der tiefen pandemiebedingten Wirtschaftskrise, die für das restliche Jahr erwartet wird, stellte die Europäische Kommission am 27. Mai ein europäisches Konjunkturprogramm, das Next Generation EU Programm, vor. Dieses sieht Geldmittel in Höhe von 750 Milliarden Euro innerhalb der nächsten drei Jahre für besonders von der Covid-19-Krise betroffene Mitgliedsstaaten vor. Europäische Jugendorganisationen kritisieren allerdings, dass von diesen 750 Milliarden Euro nur 55 Milliarden Euro direkt für grüne Investitionen vorgesehen sind – dies sei für einen grünen Wiederaufbau eine viel zu geringe Summe.

Auch in den Verhandlungen um den nächsten Langzeit-Haushalt der EU, den MFR, scheinen grüne Investitionen in den Hintergrund gerückt zu sein. Während der Haushaltsplan von 2014-2020 noch 20 Prozent der Gesamtinvestitionen für den Klimaschutz vorsah, wurde dieser Anteil in den Vorschlägen der EU-Kommission für den kommenden Haushalt von 2021-2027 auf 25 Prozent und zuletzt 30 Prozent erhöht. Da der MFR mit dem EU-Konjunkturprogramm gemeinsam im Europäischen Rat verhandelt wird, dreht sich die Diskussion allerdings vor allem um andere Aspekte der Vorschläge. Um die Zustimmung der mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten sowie der als „sparsamen Vier“ bekannten Gruppe bestehend aus Österreich, Schweden, Dänemark und den Niederland für das Konjunkturprogramm zu erhalten, werden ihnen wohl Zugeständnisse beim MFR gemacht werden müssen. Klimapolitik steht allerdings bei keinem dieser EU-Mitgliedsstaaten ganz oben auf dem Wunschzettel, sodass diese Zugeständnisse eher dazu führen werden, dass die Gelder für die Kohäsions- und Agrarpolitik nicht gekürzt werden und das Rabattsystem, aufgrund dessen Dänemark, Deutschland, die Niederlande, Österreich und Schweden weniger Geld in den EU-Haushalt einzahlen müssen, bestehen bleibt. Beim kommenden EU-Gipfel am 17. und 18. Juli soll hier eine Einigung erzielt werden, denn wie für das EU-Konjunkturprogramm drängt auch beim MFR die Zeit: Damit die Investitionsprogramme ab 2021 rechtzeitig starten können, ist es unabdingbar, so schnell wie möglich eine Einigung im Europäischen Rat zu erzielen. Für diese Einigung soll Angela Merkel eine entscheidende Rolle spielen.

Die deutsche Ratspräsidentschaft als Klimapräsidentschaft?

Welche Rolle kann und soll Deutschland nun in den nächsten sechs Monaten in Bezug auf das Klimagesetz, das EU-Konjunkturprogramm und die MFR-Verhandlungen einnehmen? Im Vergleich zu anderen europäischen Mitgliedsstaaten wie Polen, Ungarn und Rumänien, deren Energieversorgung und Wirtschaft noch stark von fossilen Brennstoffen abhängig ist, gilt Deutschland eher als klimafreundliches Land. Dennoch richtete sich das Mitte Dezember 2019 in Kraft getretene deutsche Klimapaket noch nach dem eher wenig ambitionierten CO2-Einsparungsziel von 40 Prozent gegenüber 1990 – und selbst dieses Ziel wird Deutschland wohl knapp aber sicher verfehlen.

Da es Deutschland nicht gerade an politischem Gewicht innerhalb der EU fehlt, wird es nun vor allem auf den politischen Willen der Bundesregierung ankommen, in den kommenden sechs Monaten die Debatte um das Klimagesetz voranzutreiben und sich auch während der Verhandlungen des MFR und des Konjunkturprogramms für eine höhere Summe an grünen Mitteln stark zu machen. Der kommende EU-Gipfel im Juli wird nun der erste seit Beginn der COVID-19-Krise sein, der physisch in Brüssel abgehalten werden soll. Dass der erwartete Durchbruch bei den Verhandlungen über den MFR und das Konjunkturprogramm auch ein grüner Durchbruch wird und die deutsche Ratspräsidentschaft als Klimapräsidentschaft in Erinnerung bleibt, ist jedoch eher unwahrscheinlich.

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