Eine einheitliche europäische Strategie für den Irak gibt es nicht, obgleich die Entscheidung über Rüstungsexporte in die instabile Region eine wichtige geopolitische Bedeutung hat. Die Botschafter der EU-Staaten konnten sich jedoch auf keine gemeinsame Linie bei Waffenlieferungen einigen. Jeder Mitgliedsstaat entscheidet somit selbst darüber, ob er Waffen in das Krisengebiet ausführt, sofern er das Einverständnis der Zentralregierung in Bagdad erhält.
Deutschland bricht ein Tabu
Zunächst verweigerte die Bundesregierung die Lieferung von Waffen in das Krisengebiet. Stattdessen sollten die Kurden sogenannte nicht-letale Ausrüstungsgüter – Schutzwesten, Betten und Zelte – erhalten. Darauf folgte eine Wende, die mit dem Export von Waffen in ein Krisengebiet als Tabubruch der deutschen Außenpolitik aufgenommen wurde. Deutschland liefert schwere Waffen und Munition an die kurdischen Peschmerga-Milizen. Es ist eine lange Liste von Rüstungsgütern: jeweils 8000 G3- und G36-Gewehre, 40 schwere Maschinengewehre, 8000 Pistolen, 30 MILAN-Panzerabwehrsysteme, 10000 Handgranaten und über 200 Panzerfäuste.
In einer Regierungserklärung nannte Bundeskanzlerin Merkel Gründe für die Entscheidung der Bundesregierung zu Waffenlieferungen. Einerseits stehe der Irak vor einer „humanitären Katastrophe“. Angesichts eines drohenden Völkermordes fragte Merkel im Bundestag: „Können wir wirklich warten und hoffen, dass andere sich dieser akuten Gefahr stellen?“. Andererseits seien durch den Vormarsch von IS auch deutsche Sicherheitsinteressen betroffen. Sollte es IS gelingen, den Irak als sicheren Rückzugspunkt zu erobern und die gesamte Region zu destabilisieren, stelle dies eine Gefahr für die Bundesrepublik und ihre Verbündeten dar.
Frankreich in Vorreiterrolle
Frankreich setzte sich für ein einheitliches europäisches Vorgehen in der Irak-Krise ein. Nachdem sich die Botschafter nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten, war Frankreich das erste EU-Mitgliedsland, das den Kurden im Nordirak Waffenlieferungen zusagte. Frankreich werde „jede nötige Unterstützung“ angesichts der „katastrophalen Lage“ für die Bevölkerung in den kurdischen Gebieten im Irak zur Verfügung stellen, hieß es in einer Erklärung des Präsidenten François Hollande Mitte August. Über Art und Umfang der Waffen schweigt der Élysée-Palast allerdings. Nach unbestätigten Informationen des „Le Canard Enchainé“ liefert Frankreich vor allem schwere Maschinengewehre sowie Raketenwerfer mit einer Reichweite von bis zu vier Kilometern.
Großbritannien hält sich bedeckt
Auch die britische Regierung erklärte sich frühzeitig zur Unterstützung der Kurden bereit. Neben der Lieferung von Hilfsgütern stellte Premierminister David Cameron Schutzwesten und Ausrüstung zur Entschärfung von Sprengstoff in Aussicht. Zudem erklärt London, man werde anderen Staaten Transportkapazitäten zur Verfügung stellen. Konkrete Beschlüsse über Großbritanniens Beitrag sind noch nicht bekannt geworden.
Italien, Dänemark und osteuropäische Mitgliedsstaaten liefern
Das italienische Parlament hat die Lieferung von leichten automatischen Waffen mit entsprechender Munition sowie Panzerabwehrraketen in den Nordirak beschlossen. Dänemark will mit einem Transportflugzeug logistische Unterstützung bieten, aber selbst keine Waffen ausführen.
Mehrere osteuropäische EU-Länder sind dagegen bereit zu Rüstungsexporten. Die kurdischen Peschmerga-Milizen kämpfen mit alten sowjetischen Handfeuerwaffen. Armeen aus den baltischen Ländern, Tschechien, Ungarn, Rumänien oder Bulgarien verfügen über entsprechende Munitionsbestände. Ungarn und Tschechien haben die Lieferung von Munition bereits beschlossen, Kroatien hat die Lieferung von nicht näher benannten Rüstungsgütern offiziell bestätigt.
Ein Schlussstrich
Die Waffenlieferungen an die kurdische Autonomieregion fanden unter den EU-Mitgliedsstaaten breite Unterstützung. Eine Konfliktlinie durch die EU erwächst eher durch die Frage nach einer direkten militärischen Intervention im Irak. Deutschland sträubt sich gegen die Entsendung von Bundeswehr-Soldaten, Frankreich und Großbritannien geben vorsichtige Signale für ein mögliches Eingreifen ab. Alle drei Staaten sowie Polen, Dänemark und Italien sind mittlerweile Teil einer Allianz gegen IS, die von der US-Administration auf dem NATO-Gipfel in Wales geschmiedet wurde.
Kommentare verfolgen: |