treffpunkteuropa.de: Ein Jahr lang hast du die Redaktion von treffpunkteuropa.de geleitet, heute arbeitest du für eine Kommunikationsberatung. Hast du dem Journalismus den Rücken zugekehrt?
Julius Leichsenring: Ich habe ein Volontariat in einem Unternehmen gemacht, bin dort ein paar Jahre in der Kommunikationsabteilung geblieben und arbeite heute für eine PR-Agentur. Den Rücken habe ich dem Journalismus also nicht zugekehrt, ich stehe eher auf der anderen Seite und arbeite viel mit Journalist*innen zusammen. Als ich mich nach dem Studium nach Volontariaten umschaute, stellte sich bei mir die Frage: Warum würdest du jetzt gerne in den Journalismus gehen? Bei Freund*innen oder Bekannten, die im Journalismus tätig sind, habe ich größtenteils gemerkt, dass das nicht mehr so ist, wie ich mir das einst ausgemalt hatte. Vielleicht war es auch nie so. Allerdings hat der Zeit- und Kostendruck in den meisten Redaktionen enorm zugenommen. Es war von Beginn an ein Fehler, journalistische Inhalte kostenfrei im Netz anzubieten. Viele Medienhäuser dachten damals, dass sie ihre Arbeit mit Werbeeinnahmen schon finanzieren können. Das funktioniert allerdings in den meisten Fällen nicht.
treffpunkteuropa.de: Idealismus kommt wohl oft zuletzt, wenn zuerst einmal die Finanzierung gesichert werden muss: Eilmeldungen und Push-Benachrichtigungen scheinen zugenommen zu haben, jeder versucht der Erste zu sein…
Genau! Dadurch, dass vor allem Online-Medien auf Werbeeinnahmen angewiesen sind, geht es in finanzieller Hinsicht nicht mehr primär darum, dass die Artikel auch tatsächlich gelesen werden. Sie sollen vor allem Klicks generieren. Je mehr Menschen ich auf meine Portale locke, desto höher ist die Nachfrage nach meinen Werbeplätzen. Der Qualitätsjournalismus leidet darunter, die Gewinner sind polemische Headlines und Listicles (Artikel, der in Aufzählungsform veröffentlicht wird, Anm.d.Red.). Gleichzeitig werden nur zögerlich Paywalls hochgezogen. Die einzelnen Medienhäuser haben Angst, dass alle Leser*innen zu dem kostenfreien Medium wechseln, sobald sie Bezahlschranken errichten. Die Leute umzuerziehen, dass sie für gute Inhalte auch im Internet bezahlen müssen, ist schwierig.
Das ist kein sehr positives Bild. Was würdest du dir denn von den Medienhäusern wünschen?
Im Grunde genommen bräuchte es eine Initiative der großen Verlage, die sich gemeinsam zu einer Paywall entschließen. Wer ihre Inhalte lesen möchte, muss dafür bezahlen. Wir reden hier nicht von horrenden Beträgen, sondern zum Beispiel 10 Cent pro Artikel. Eine funktionierende Demokratie braucht guten Journalismus. Eine Gesellschaft sollte sich das etwas wert sein lassen. Denn schon jetzt gibt es gut recherchierte Stories im Netz, die auch noch cross-medial, also mit Video- und Tonaufnahmen, aufgezogen sind. Da ist noch viel mehr möglich, wenn das Kapital da wäre.
Du hast ja während deines Studiums viele Praktika in Redaktionen gemacht. Wie bist du überhaupt dazu gekommen?
Mehr oder weniger wie die Jungfrau zum Kinde. (lacht) Ich habe im Bachelor an einer Fachhochschule Medienmanagement studiert. Das Studium war weniger auf Vorlesungen und Seminare ausgelegt, sondern vielmehr auf Praxiserfahrung. Eines meiner ersten Praxismodule war, dass ich für unsere Studentenzeitung über aktuelle wirtschaftliche und politische Themen geschrieben habe. Mein großes Glück war, dass ich mein Pflichtpraktikum im Bachelor bei stern.de machen durfte. Außer der Studentenzeitung und einem einmonatigen Praktikum bei einer Lokalzeitung hatte ich kaum journalistische Erfahrung - und dann saß ich da in Berlin und durfte plötzlich die große Hauptstadtpresse mitbetreuen. Das war aufregend und vor allem enorm lehrreich.
Und dann bist du zu treffpunkteuropa.de gekommen. Was hat deine Zeit als Chefredakteur rückblickend geprägt?
Da kommt mir sofort die Debatte zwischen Jean-Claude Juncker und Martin Schulz vor den Europawahlen 2014 in den Sinn. Die fand live im TV statt und wir haben die Debatte länderübergreifend begleitet und darüber berichtet. Das war spannend, weil wir so verschiedene Perspektiven aus unterschiedlichen Nationen auf das Duell abbilden konnten. Das andere war, dass wir dank unserer Social-Media-Expertin Eva mit treffpunkteuropa.de auf Facebook gehen konnten, unter anderem um Kooperationen mit anderen europafreundlichen Organisationen und Gruppen einzugehen. Alles im Rahmen des Möglichen, aber im Nachhinein betrachtet haben wir da viel auf die Beine stellen und mehr auf uns aufmerksam machen können.
Was hat sich am meisten verändert an treffpunkteuropa.de, seitdem du dort Chefredakteur warst?
Was sich stark verändert hat ist das Layout. Ich weiß noch, dass wir damals keine responsive Webseite hatten: Wenn du mit dem Smartphone darauf zugegriffen hast, musstest du die ganze Zeit ran- und rauszoomen. (lacht) Ansonsten habe ich das Gefühl, dass die Artikel meinungsstärker geworden sind. Unser Fokus lag damals auf einer sachlichen und objektiven Berichterstattung über die EU, weil wir das Gefühl hatten, dass zu wenig über die Staatengemeinschaft in den meisten Medien berichtet wird.
Würdest du sagen, dass Europa in den Medien heutzutage ausreichend thematisiert wird?
(überlegt) Ich würde sagen, dass angesichts des Brexits in der Vergangenheit sehr viel über die EU berichtet wurde. Und so schlimm der Brexit auch ist, eine gute Sache hat er: Ich glaube, es ist vielen Leute bewusst geworden, was wir doch an der EU haben. Zuvor wurde bei allem, was auf nationaler Ebene falsch gelaufen ist, mit dem Finger auf Brüssel gezeigt. Dieses EU-Bashing hat insgesamt nachgelassen, einfach auch mit dem Bewusstsein, was damit angerichtet werden kann. Und wenn sich selbst eine AfD dazu entschließt, einen Austritt Deutschlands aus der EU erstmal nicht zu fordern, weil das einfach nicht populär ist, ist das ja auch schon ein Zeichen. Von daher, klar, es kann immer intensiver über die EU berichtet werden. Auf der anderen Seite gibt es mittlerweile mehrere gute und etablierte Nachrichtenseiten, die sich speziell nur mit EU-Themen beschäftigen.
Hast du aus deiner Zeit bei treffpunkteuropa.de etwas für deine jetzige berufliche Tätigkeit mitnehmen können?
Am wichtigsten war für mich die Erfahrung, in einem Team für ein gemeinsames Ziel zu arbeiten. Wie schafft man es, dass alle motiviert sind? Wie können Konfliktpunkte möglichst schnell behoben werden, ohne dass sie zu einer großen Katastrophe werden? Da habe ich viel lernen und mitnehmen können. Auch habe ich gelernt, Kompromisse einzugehen. Als Vierergespann mit Franziska, Eva, Frederico und mir haben wir immer auf Augenhöhe gearbeitet und Entscheidungen im Team getroffen. Dass das gut funktionieren kann und so bessere Ergebnisse herauskommen als im Alleingang, ist auch eine wertvolle Erfahrung.
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