Jetzt oder nie: EU-Demokratie!

, von  Manuel Gath

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Jetzt oder nie: EU-Demokratie!
Der Bundesvorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten Manuel Gath spricht sich dafür aus, dass Deutsche und Österreicher künftig bei Europawahlen auch Politiker aus anderen Ländern wählen können. Konkret geht es um die Einführung europäischer Wahllisten. European Parliament / Flickr/ Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0)

Viele Menschen, besonders glühende Pro-Europäer, können sich bisweilen in rhetorischen Ergüssen über den Wert Europas für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ergehen. Allzu häufig bleibt jedoch die oft beschworene Bürgernähe im akademischen Geschwurbel auf der Strecke. Zeit, diese Vision endlich in konkrete Politik zu übersetzen: die Europalisten!

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen einander näher zu bringen. Alle sollen in den Genuss von Wohlstand kommen, die Lebensverhältnisse sollen sich angleichen. Sprich: uns soll es gleichermaßen gut gehen. Dafür braucht es nicht nur überall ähnliche Voraussetzungen, es braucht auch eine rechtliche Gleichheit. Bürgerrechte gelten in Europa für alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen. Das Wahlrecht, urdemokratische Form unserer Beteiligung, macht jedoch eine Ausnahme – wirkliche Wahlrechtsgleichheit bei den Europawahlen sucht man bisher vergebens.

Über Listen und welche Probleme man damit überlisten kann

Warum ist es ein Problem, dass wir sie nicht haben? Ein Gedankenspiel: Wenn in einem Land überproportional viele Menschen eine Partei wählen, dann bekommt diese logischerweise die meisten Sitze. Das Kontingent der nationalen Abgeordneten ist aber begrenzt. Je höher nun also die Wahlbeteiligung und je höher der Stimmenanteil für eine bestimmte Partei, desto weniger ist die einzelne Stimme für diese Partei wert. Denn es werden nur die relativen Stimmenanteile gezählt, nicht die absoluten Stimmen. Geschehen so bei der letzten Europawahl: Sozialdemokraten (S&D) erhielten absolut die meisten Stimmen (40,4 Millionen), Christdemokraten (EVP) die zweitmeisten (40,3 Millionen). Trotzdem ist die S&D-Fraktion mit 191 Abgeordneten deutlich kleiner als die der EVP mit 221 Sitzen. Da besonders viele S&D-Stimmen aus Italien kamen, waren diese sozusagen „teurer“. Ohne wirkliche Wahlrechtsgleichheit wird es diese Art der Verzerrungen immer wieder geben.

Die Idee ist nun, dass jede europäische Parteienfamilie eine Liste mit Kandidatinnen und Kandidaten aufstellt, die europaweit gewählt werden können. So können Deutsche eine französische Abgeordnete wählen und Niederländer einen polnischen Vertreter. Bisher gab es immer ein Hauen und Stechen bei der Diskussion dieses Vorschlags, der schon länger im Raum steht, weil die Zahl der Abgeordneten in den EU-Verträgen steht. Man müsste dafür entweder Ländern Abgeordnete wegnehmen oder die Verträge ändern. Beides bisher äußerst schwierig. Was ist jetzt anders? Sollte Großbritannien die EU tatsächlich spätestens zum März 2019 verlassen, dann hat das Parlament in Brüssel plötzlich 73 Abgeordnete weniger – und es gibt endlich Raum für die Idee europäischer Wahllisten.

Endlich (europäische) Partei ergreifen!

Natürlich wird die Einführung europäischer Listen nicht für eine Explosion der Wahlbeteiligung bei den Europawahlen 2019 sorgen. Aber es ist nicht nur ein weiterer konsequenter Schritt Richtung Demokratisierung der EU, sondern baut direkt auf der Idee der Spitzenkandidaten auf. Bei der Europawahl 2014 traten zum ersten Mal alle Parteienfamilien mit einem Spitzenkandidaten bzw. einer Spitzenkandidatin an und sorgten so erstmals für einen ansatzweise europäischen Wahlkampf.

Europapolitikern und Europapolitik damit ein konkretes Gesicht zu geben ist die eine Seite. Die andere und in jedem Fall nachhaltigere Seite ist die Wirkung, die diese Form der Wahlrechtsreform auf die europäischen Parteien haben wird. Bisher sind die europäischen Parteienfamilien eher schwach strukturiert, wichtige Entscheidungen werden dort selten getroffen. Das Aufstellen einer europaweiten Liste verschafft der europäischen Parteienebene plötzlich eine ganz neue Bedeutung! Es wird wichtig, wie man mit seinen Partnern in anderen Ländern kooperiert und stärkere Konkurrenz der Kandidierenden sorgt vielleicht sogar dafür, dass die besten Politikerinnen und Politiker sich durchsetzen, nicht die ausrangierten aus den Mitgliedstaaten.

Keep it simple!

Wie lässt sich nun für diese Idee werben? Das Gebot der Stunde lautet: Keep it simple! Sprechen wir nicht von „transnationalen Listen“, sondern von Europalisten! Erklären wir den Bürgerinnen und Bürgern, dass sie damit eine Art europäische Zweitstimme erhalten. Damit knüpft man an Bekanntes und Vertrautes an. Und lasst uns ganz einfach die Vorteile erklären. Im Gegensatz zu nationalen Europarlamentariern hätten die Kandidaten auf den Europalisten mehr Anreize, europäische statt nationale Interessen zu vertreten. Außerdem vergrößert sich die Auswahl, die man am Wahltag hat. Finnen haben bisher lediglich die Möglichkeit, 13 Abgeordnete zu wählen und nur diese müssen sich ihnen gegenüber rechtfertigen. Wenn hier bis zu 73 weitere Optionen dazukommen, dann müssen sich bald bis zu 86 Abgeordnete vor der finnischen Bevölkerung verantworten. Demokratisch betrachtet ist das besonders für die kleinen EU-Länder ein echter Gewinn.

Auf die Liste, fertig, los!

Ist das nur eine weitere realitätsferne Verrücktheit, die sich einige wenige unverbesserliche Eurojubler ausgedacht haben? Weit gefehlt! Auf europäischer Ebene haben sich die Grünen, der liberale Fraktionschef Guy Verhofstadt, Emmanuel Macron in seinem Wahlprogramm sowie die italienische Regierung, die hierfür sogar Ende April 2017 einen Vorschlag im Ministerrat machte, hinter das Vorhaben gestellt. Kurz gesagt: Hier geht was!

Die SPD und die Grünen haben in Deutschland vorgelegt und die Forderung in ihr jeweiliges Wahlprogramm für die Bundestagswahl am 24. September 2017. Es ist nun die Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger als auch Organisationen wie der JEF, dafür zu sorgen, dass auch CDU/CSU, FDP und Die Linke hier mitziehen und klar Farbe bekennen: für eine demokratische und bürgernahe EU, für ein starkes Europaparlament, für relevante europäische Parteien. Sonst müssen wir dafür wieder auf die Straße gehen – analog wie digital. Und für etwas demonstrieren, das haben wir Pro-Europäer inzwischen geübt. Wir sollten es nicht verlernen.

Ihr Kommentar
  • Am 2. August 2017 um 00:54, von  Dominic Als Antwort Jetzt oder nie: EU-Demokratie!

    Wahrlich eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Meiner Meinung nach die beste Chance für die Zukunft der EU. Dadurch kann die Einigkeit immens gefördert werden. Gibt es konkrete Aktionen und Begehren dies bis zur Wahl 2019 zu erfüllen?

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