Italien: Eine Regierung um jeden Preis?

, von  Basile Desvignes, übersetzt von Theresa Bachmann

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Italien: Eine Regierung um jeden Preis?
Italiens neuer und alter Premierminister - Hier bei seinem Besuch des europäischen Parlamentspräsidenten Antonio Tajani Anfang des Jahres. © European Union 2019 - Source : EP | Genevieve ENGEL | EP-084119C

Am 5. September 2019 wurden der italienische Premierminister Guiseppe Conte und die Mitglieder seiner neuen Regierung vor Präsident Sergio Matterella vereidigt. Am Ende einer beispiellosen politischen Krise, ausgelöst von Lega-Chef Matteo Salvini, sind die Sozialdemokraten und die Fünf-Sterne-Bewerbung zu einem Ausschluss-Deal gegen die Lega gekommen.

Eine beispiellose Krise

Am 8. August 2019 beendete der italienische Innenminister Matteo Salvini die Regierungskoalition zwischen seiner Partei und der Fünf-Sterne-Bewegung. Nach vierzehn Monaten Koalition forderte der Chef der Lega das Ende der Regierung von Giuseppe Conte und die Organisation von vorgezogenen Wahlen. Um diesen Bruch rechtsgültig zu machen, reichte Matteo Salvini einen Misstrauensantrag gegen seine eigene Regierung ein, der zur Planung vorgezogener Parlamentswahlen führen sollte. Als Reaktion darauf trat Ministerpräsident Giuseppe Conte, der zwar unabhängig, aber der Fünf-Sterne-Bewegung nahesteht, zurück und prangerte die „unverantwortliche“ Haltung Matteo Salvinis an. Matteo Salvini hoffte, durch vorgezogene Wahlen seinen Einfluss im Parlament stärken und eine neue Regierung ohne die Fünf-Sterne-Bewegung bilden zu können. Bei den Europawahlen im Mai 2019 hatte seine Partei im Vergleich zur Fünf-Sterne-Bewegung (34% gegenüber 17%) ihren Vorsprung bereits substantiell ausgebaut und Umfragen im Sommer 2019 schienen Matteo Salvini in seinen Ambitionen zu bestätigen. Um vorgezogene Wahlen zu verhindern, von denen die Lega profitiert hätte, haben sich die Demokratische Partei (PD) und die M5S, zwei trotzdem im Grundsatz verschiedene Parteien, auf die Bildung einer neuen Regierung geeinigt. Ihre Zusammensetzung schafft ein geschicktes Gleichgewicht zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Demokratischen Partei und zielt darauf ab, die Konflikte zwischen den beiden Parteien abzuschwächen.

Eine weise Balance

Die Fünf-Sterne-Bewegung kommt geschwächt aus der Krise. Sie wird dennoch einen Urnengang vermeiden, der sie gegenüber der Demokratischen Partei und der Lega erheblich schwächen könnte. Die Bewegung stellt nach wie vor mehrere Minister: für Justiz, Umwelt und wirtschaftliche Entwicklung. Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio wird Chefdiplomat. Er verliert jedoch seine Position als stellvertretender Vorsitzender des Rates (Nummer zwei der Regierung), die er in der vorherigen Regierung unter der de facto Leitung von Matteo Salvinis innehatte. Die Fünf-Sterne-Bewegung verliert damit an Einfluss bei der Wahl der Koalitionsprioritäten. Indem keine stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt wurden, unterstreicht Giuseppe Conte zudem, dass keine Bewegung oder Persönlichkeit für das Vorgehen der neuen Regierung wichtiger ist als er.

Die Demokratische Partei ist der große Gewinner der Krise. Nur zwei Jahre nach der Wahlniederlage ist sie wieder in der Regierung. Sie kontrolliert die Ministerien für Verteidigung und Wirtschaft, die angesichts der wirtschaftlichen Lage Italiens eine der wichtigsten sind. Roberto Gualtieri, MdEP, füllt diesen Posten nun aus. In Zukunft wird die Demokratische Partei den italienischen Haushalt verhandeln.

Die Lega erleidet umgekehrt durch ihren Ausschluss aus der Regierung einen schweren Rückschlag. Mailands ehemalige Präfektin Luciana Lamorgese wurde zur Innenministerin ernannt und ersetzt nun Matteo Salvini. Mit dieser Ernennung bekräftigt Ministerpräsident Giuseppe Conte seinen Wunsch, mit der bisherigen Regierung zu brechen, insbesondere in Bezug auf die Migrationspolitik und die Beziehungen zur Europäischen Union. Diese Wahl einer neutralen Persönlichkeit auf Salvinis früherem Posten trägt auch zum Schutz des Einflusses der Demokratischen Partei und der Fünf-Sterne-Bewegung innerhalb der Regierung bei. Diese Logik zeigt sich auch mit der Wahl von Luciana Lamorgese, einer unabhängigen und neutralen Persönlichkeit, die Salvinis Politik zweifellos nicht weiterverfolgen wird.

Ein langfristiges Abkommen?

Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Demokratische Partei haben am Dienstag, den 3. September, eine gemeinsame Agenda mit 26 Punkten angekündigt, die sich auf höhere Investitionen zur Wiederbelebung der Wirtschaft konzentriert. Dennoch steht die neue Regierung vor zahlreichen Hindernissen.

Zunächst einmal behaupten sich Matteo Salvini und die Lega als die schärfsten Gegner der Koalition. Das Überleben ihrer Rolle in der italienischen Politik steht auf dem Spiel. In der Tat wird die Lega heute als die Partei wahrgenommen, die bei ihrem Versuch, alleine eine Mehrheit im Parlament zu erreichen, gescheitert ist. Indem sie sich als erster Gegner der neuen Regierung positioniert, versucht die Partei, dieses negative Image los zu werden, um ihren Einfluss zurückzugewinnen.

Trotz der Bemühungen Giuseppe Contes, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Demokratischen Partei zu erreichen, finden sich in der neuen Regierung viele Widersprüche, die zum Zerfall der Koalition führen könnten. Der neue Wirtschaftsminister der Demokratischen Partei will mit der Konfrontationspolitik gegen die Institutionen der Europäischen Union der Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega brechen. Umgekehrt wird Di Maio diese Politik in Bezug auf außenpolitische Belange sicherlich fortsetzen wollen, unterstützt von den anderen Ministern der Fünf-Sterne-Bewegung. Die Aushandlung und dann die Abstimmung des italienischen Jahreshaushalts wird für die Beständigkeit der Koalition zwischen zwei Kräften, die sich bislang immer bekämpft haben, entscheidend sein.

Die beiden Parteien haben jedoch kein Interesse daran, vorgezogene Wahlen zu provozieren, die Salvini oder eine Mitte-Rechts-Koalition an die Macht bringen könnten. Genau um dieses Szenario zu vermeiden, wurde diese Regierung gebildet. Sie wird daher versuchen, such durch die Aushandlung von Kompromissen bis zu einer Schwächung der Lega zu behaupten. Erst dann werden Neuwahlen organisiert werden. Dies bedeutet nicht, dass der politische Wettbewerb zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Demokratischen Partei zwischenzeitlich aufhören wird. Einige Schwergewichte der Demokratischen Partei, darunter der frühere Premierminister Matteo Renzi und Generalsekretär Nicola Zingaretti, sind nicht Teil der Regierung. Beide kritisieren nachdrücklich die Präsenz der Fünf-Sterne-Bewegung an der Seite der Demokraten und fordern die Abhaltung von Neuwahlen. Mehrere Abgeordnete sind der gleichen Meinung oder könnten sich dieser anschließen.

Auch Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio wurde von seiner Partei und seiner Wählerschaft heftig kritisiert. Obwohl die Koalition bei einer Online-Abstimmung, bei der sich 80.000 Fünf-Sterne-Mitglieder beteiligten, zu 80% gebilligt wurde, wurde die Entscheidung, sich mit dem historischen Feind zu verbünden, auch im Innersten der Bewegung unter anderem von Gründer Beppe Grillo kritisiert.

Die Fünf-Sterne Bewegung kann sich immer noch weigern, mit der Regierung zu verhandeln. Im Falle einer zu großen Blockade werden Neuwahlen organisiert werden müssen. Angesichts der Beispiellosigkeit der Situation ist es aus heutiger Sichtweise sehr schwierig, die Zukunft der neuen italienischen Koalition vorherzusagen. Die Regierung muss mit Blick auf den Aufstieg der Lega Zeit gewinnen, auch wenn ihr Projekt scheitert und sie die Macht wieder abgeben muss. Die ersten Monate der neuen Regierung werden entscheidend dafür sein, ob sich die Koalition vor ihren Wählern behaupten kann.

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