Ist ein Brexit unausweichlich?

, von  Andreas Müllerleile

Ist ein Brexit unausweichlich?
Premier David Cameron (hier mit Herman Van Rompuy rechts) fürchtet um sein politisches Überleben und spielt ein gefährliches Spiel mit der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens. Foto: © President of the European Council / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0-Lizenz

Auf Grundlage von Art. 50 des EU-Vertrags, der infolge des Vertrags von Lissabon 2007 erstmals den freiwilligen Austritt von Mitgliedstaaten aus der EU regelt, ist auch ein Austritt Großbritanniens rechtlich möglich. Teilt das Land noch die gemeinsame europäische Vision?

Auf den ersten Blick scheint es, als ob in Großbritannien eine große Debatte zur Zukunft der EU stattfindet. Anfang 2013 hat Cameron in seiner „Bloomberg Rede“ versucht eine britische Vision zu skizzieren. Da ging es um die Rückübertragung von (ungenannten) EU-Kompetenzen auf nationale Regierungen oder um die Notwendigkeit von TTIP und einen weitreichenden Bürokratieabbau. Eine der zentralen Forderungen Camerons ist die Abkehr von der ’ever closer union’, wie sie als Ziel in der Präambel des EU-Vertrags formuliert ist. Cameron will eine Stärkung nationaler Parlamente und er will die europäische Personenfreizügigkeit so gestalten, dass sie die Sozialkassen nicht belastet. Und dann ist da ja noch die Europäische Menschenrechtskonvention, die primär nichts mit der EU zu tun hat, die Cameron aber aus dem britischen Rechtssystem verbannen will. In Großbritannien werden diese Debatten unter dem Schlagwort “EU-Reform” geführt, die laut Cameron notwendig sei, um den Verbleib Großbritanniens in der EU zu ermöglichen.

Camerons EU-Politik: Echte Vision oder verzweifelter Wahlkampf?

Auf den zweiten Blick ist das fast alles heiße Luft, denn Cameron führt Wahlkampf. Er fürchtet um sein politisches Überleben und spielt ein gefährliches Spiel mit der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens. Die populistische Anti-EU-Partei UKIP, die sich für einen Austritt Großbritanniens aus der EU stark macht, hat nicht nur die Europawahlen gewonnen, sie bestimmt auch weitestgehend den öffentlichen Diskurs über Europa. Im letzten Jahr hat es die UKIP auch sehr gut verstanden, Migration zu thematisieren und es mit dem europäischen Recht auf Freizügigkeit zu verknüpfen. Seitdem überbieten sich die Parteien auf der Insel mit Vorschlägen, den angeblichen „Sozialtourismus“ einzudämmen oder die Personenfreizügigkeit in der EU gleich ganz abzuschaffen.

Camerons Parteistrategen nehmen an, dass es zu keiner eigenen Mehrheit reicht, wenn die UKIP mehr als 10 Prozent der Stimmen bei den Wahlen zum Unterhaus im Mai 2015 gewinnt. Sein politisches Überleben ist Cameron wohl wichtiger als die EU-Mitgliedsschaft. Nur so kann man seine Reformvorschläge verstehen: Sie waren weder mit den anderen 27 Mitgliedsstaaten abgesprochen, noch sind sie eine kohärente Vision für eine neue EU. Camerons Vorschläge sind eine krude Mixtur aus Symbolpolitik (’ever closer union’), populistischen Ideen (Begrenzung des nicht existierenden „Sozialtourismus“), normaler EU-Politik (TTIP, Bürokratieabbau) und leeren Worthülsen (Rückübertragung von ungenannten Kompetenzen). Cameron will der bessere Populist sein. Dies führte dazu, dass ein „#Brexit“, also ein Austritt Großbritanniens aus der EU, als reale politische Optiondiskutiert wird.

Der britische Europadiskurs

In den letzten Jahren hat sich der britische Europadiskurs vor allem innerhalb der konservativen Partei radikal verändert. Es gibt kaum noch pro-europäische Tories im Parlament, Euroskeptizismus ist zur neuen DNA der Partei geworden. Zwei strategische Fehler hat Cameron begangen: Erstens hat er die Tories aus der Europäischen Volkspartei (EVP) herausgelöst, womit ihm der Zugang zu den immer wichtiger werdenden informellen Gipfeln der EVP-Regierungschefs fehlt.

Der zweite Fehler war es, ein Referendum über den Verbleib in einer reformierten EU in der nächsten Legislaturperiode zu versprechen. Das EU-Referendum 2017 wird aber nur stattfinden, falls die Konservativen die Regierung stellen. Und genau hier setzt die Debatte zur Reform an: “EU-Reform” in Großbritannien hat nichts mit der Krise der EU zu tun - sondern nur mit der Annahme, dass man ein Referendum vielleicht gewinnen kann, wenn man die Modalitäten der britischen EU-Mitgliedsschaft zum Vorteil ändert bzw. „reformiert“. Als Zyniker kann man den Eindruck bekommen, dass Cameron den Rest der EU erpresst.

Meist wird nur der Einfluss Großbritanniens in der EU diskutiert, woran die Medien nicht ganz unschuldig sind, wird doch EU-Politik in aller Regel als Nullsummenspiel inszeniert, bei dem das Land entweder gegen die EU gewinnt oder verliert. EU-Mythen gehören ebenso zur aggressiven Presselandschaft und schüren Vorurteile und eine negative Grundstimmung. Es gibt kaum pro-europäische Stimmen in der britischen Medienlandschaft und auch pro-europäisch ausgerichteten Organisationen fehlt eine effektive Kampagnenstruktur.

Muss sich die EU auf einen #Brexit einstellen?

Camerons gefährliches und naives politisches Agieren und ein über Jahrzehnte verkümmerter Europadiskurs könnten zu einem Brexit führen. Die Frage, die sich die Europäische Union stellen muss, ist einfach und komplex zugleich: Ist die EU bereit, einige ihrer Prinzipien aufzuweichen und - nach dem „Britenrabatt“, den verschiedenen „Opt-outs“ beim Euro, bei Schengen und bei der Zusammenarbeit in Justizangelegenheiten - Großbritannien erneut entgegenzukommen? Man würde ein Land versuchen in der EU zu halten, dass sich der europäischen Integration und letzten Endes auch der gemeinsamen europäischen Vision verweigert.

Dieser Artikel erschien zuerst im JEF-Mitgliedermagazin 03/2014.

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