Interview zur DSGVO: Mit so krassen Reaktionen wurde wirklich nicht gerechnet

, von  Ansgar Skoda

Interview zur DSGVO: Mit so krassen Reaktionen wurde wirklich nicht gerechnet
Jan Philipp Albrecht, der Berichterstatter und „Vater“ der DSGVO. Bild: © Ruprecht Stempell hier: janalbrecht.eu

Die europäische Datenschutzgrundverordnung (kurz DSGVO) beschäftigt aktuell unzählige Websitebetreiber. Als Datenschutzexperte war Ralf Bendrath seit Sommer 2009 leitender politischer Berater und engster Mitarbeiter von Jan Philipp Albrecht, dem Berichterstatter und sogenannten Vater der DSGVO. Der Diplom-Politikwissenschaftler Bendrath spricht im Interview mit Treffpunkt Europa über den langen Weg der DSGVO bis hin zu ihrer Anwendung, Personenfotografie, soziale Netzwerke, Big Data, Datenschutzgeneratoren, die begrenzten Möglichkeiten des Abmahnens nicht DSGVO-konformer Medien und Jan Philipp Albrechts Nachfolge.

Ansgar Skoda: Sie waren als Datenschutzexperte engster Mitarbeiter vom Berichterstatter für die EU-DSGVO. Was waren Ihre Hauptaufgaben und Arbeitsfelder?

Ralf Bendrath: Beratung, konkret Vorschläge machen für mögliche Änderungsanträge am Kommissionsvorschlag, viel mit Interessengruppen reden - von Lobbyisten bis zu Aktivisten, Datenschutzbeauftragte und Ähnliche. Dann habe ich, als unser Änderungsvorschlag und Berichtsentwurf auf dem Tisch lag, die fast 4.000 Änderungsanträge, die es dann gab, bearbeitet und in Kompromisstexte zusammendestilliert. Es gab manchmal 50 Änderungsanträge auf einen Artikel. Mein Job war es dann zu gucken, was ich für einen Kompromisstext daraus bauen kann, der für uns noch gut genug ist und in dem Verhandlungsmasse drin steckt, damit die Abgeordneten, die Änderungsanträge eingebracht haben, sich noch verortet fühlen. Ich habe in den Verhandlungen jeweils die Sitzungen entsprechend begleitet und beraten. Als das Parlament dann 2013 seine Position beschlossen hatte, wurde es dann Teil meines Jobs, mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten zu reden und zu klären, dass der Rats-Entwurf für die Verordnung nicht zu weit entfernt ist von dem, was das Parlament wollte. Teilweise übernahm ich auch öffentliche Auftritte, wenn Jan nicht genug Zeit hatte. Da ging es dann oft darum, auf Konferenzen zu erklären, was wir da machen, warum wir das machen und warum das eine gute Sache ist. Wir haben die Verhandlungen 2015 mit der luxemburgischen Ratspräsidentschaft gemacht. Mein Job bei der Verhandlung war es, sie gut vorzubereiten, auszuloten, wo Kompromisslinien liegen und Ähnliches.

Im Zuge der EU-DSGVO haben unzählige Kleinunternehmen und Vereine aus Angst vor Abmahnungen ihre Websites gelöscht. Haben Sie mit derartigen Reaktionen gerechnet?

Nee, mit so krassen Reaktionen wirklich nicht. Das scheint auch wirklich ein spezielles deutsches Phänomen zu sein. Von anderen EU-Mitgliedsstaaten haben wir so etwas überhaupt nicht gehört. Da scheint ein bisschen auch gezielt Panik geschürt worden zu sein. Wir haben als Gesetzgeber den Bürgern zwei Jahre Übergangsfrist gegeben. Die DSGVO ist ja schon seit 15. Mai 2016 in Kraft und wird jetzt erst angewendet.

Die Abmahnindustrie ist ja auch ein speziell deutsches Phänomen. Es besteht in Deutschland eine große Angst vor Kanzleien, die Unternehmen abmahnen, die ihre Websites nicht DSGVO-konform halten. Ist diese Angst begründet?

Es gab bereits erste Abmahnungen. Da haben sich bestimmte Kanzleien gezielt darauf vorbereitet. Die ersten Abmahnungen trudelten per Post schon am 25. Mai zu Beginn der Anwendung der DSGVO bei Betroffenen ein. Aber es gab dann offenbar, nach allem was ich bisher gelesen habe, keine große Welle. Es waren nicht hunderte, sondern eher eine Handvoll Abmahnungen, die öffentlich geworden sind. Davon sind bereits einige zurückgenommen worden. Für die Betroffenen ist der Verfahrensverlauf erstmal unklar, aber da muss man zur Not die Sachen vor Gericht durchfechten und dann mal testen, ob das wirklich standhält. Es ist nicht ganz einfach, eine Abmahnung zu schreiben. Man braucht erstmal ein Mandat. Man kann nicht so losgehen und abmahnen. Man braucht einen wirtschaftlichen Wettbewerber von dem anderen, den ich abmahne. Und dann muss auch noch der Nachweis geführt werden, dass eine mangelhafte Datenschutzerklärung oder ein Cookie zu viel auf der Website ein wirtschaftlicher Vorteil ist. Das ist alles noch nicht ausgefochten. Unsere Einschätzung ist eher, dass die Gefahr da nicht so groß ist oder zumindest, dass sich durch die DSGVO hier Nichts geändert hat. Wenn es Abmahnungen geben kann nach Datenschutzrecht, dann hätte es sie auch schon vorher gegeben. Es gab auch schon nach dem alten Bundesdatenschutzgesetz ein paar Abmahnungen, aber eben auch keine Hunderte. Abmahnungen lassen sich hier nicht so leicht automatisieren, wie im Bereich der Urheberrechtsverletzung, wo normale Endnutzer abgemahnt werden können. In punkto Datenschutz stützt man sich in der Regel auf das unlautere Wettbewerbsgesetz und da muss man eben wirklich nachweisen, dass man in wirtschaftlicher Konkurrenz zu dem anderen steht und das ein unlauterer Vorteil ist. Vereine sind in der Regel gemeinnützig, da ist das UWG überhaupt nur in sehr engen Grenzen auf sie anwendbar.

Insbesondere auf dem Feld der Digitalfotografie herrscht im Zuge der EU-DSGVO bei Fotografen eine große Unsicherheit, da ja bekanntlich bereits Digitalfotos Daten erheben. Müssen freie Eventfotographen bei großen Veranstaltungen in Zukunft von allen Fotografierten schriftliche Einverständniserklärungen einholen?

Nein, auf keinen Fall. Das sagen die Datenschutzbehörden inzwischen auch. Wenn man die DSGVO als Rechtsgrundlage für die Erhebung des Fotomachens und dann die Veröffentlichung nimmt, muss man Personen nicht erst fragen, wenn man bei Großveranstaltungen Fotos macht, wenn das bedeuten würde, dass man zusätzliche personenbezogene Daten erhebt, nur um sie fragen zu können. Das heißt, man müsste theoretisch jeden auf dem Bild ansprechen - sprich, wer bist du, wie heißt du, kannst du hier einwilligen. Diese zusätzlichen Daten brauche ich eigentlich nicht. Artikel 11 sagt, in solchen Fällen ist das nicht nötig. Da muss man dann die Leute einzeln identifizieren, um sie fragen zu können. Die Veröffentlichung ist sowieso schon lange erlaubt durch das seit 1907 bestehende Kunst-Urhebergesetz. Die Umsetzung des Regelungsauftrags in der DSGVO durch Artikel 85, in dem die Mitgliedsstaaten das Recht auf Meinungsfreiheit mit dem Datenschutz in Einklang bringen müssen, ist durch das KunstUrhG geregelt. Hierzu muss nichts Neues angeführt werden. Das KUG gilt weiter. In Paragraph 23 KunstUrhG steht drin, dass bei Großereignissen Personen, die Teil des Hintergrunds sind, nicht einzeln gefragt werden müssen. Meinungsfreiheit ist keine EU-Regelungskompetenz, sondern Sache der Mitgliedsstaaten. Das hat Deutschland über das Kunsturhebergesetz schon erledigt.

Besteht für Unternehmen, die Fotos mit Gesichtern ihrer Mitarbeitenden veröffentlicht haben, ohne vorherige DSGVO-konforme Einverständniserklärungen einzuholen, eine Rechtsunsicherheit?

Nein, denn die Regelungen im KunstUrhG gelten wie gesagt weiter. Im Erwägungsgrund der DSGVO haben wir sogar gesagt, dass man Pressefreiheit sehr weit auslegen sollte, sprich, damit klar ist; auch Blogger, Öffentlichkeitsabteilungen und so weiter sind davon abgesetzt.

Wenige Tage vor Inkrafttreten der DSGVO hatte Mark Zuckerberg seinen Auftritt vor EU-Parlamentariern, die scheinbar keine rechtlichen Möglichkeiten hatten, seinem Geschäftsmodell Datenschutzgrenzen zu setzen. Welche Artikel der DSGVO beziehen sich gezielt auf Mechanismen des Sammeln und der Verarbeitung von Daten durch die großen Internetgiganten wie Facebook, Google und Amazon?

Die DSGVO macht keine spezielle Unterscheidung zwischen kleinen und großen Unternehmen. Alle, die Daten verarbeiten, müssen sich an die Regeln, Rechtsgrundlagen und Notwendigkeiten, um einen Vertrag zu erfüllen, halten. Alle sind an die Prinzipien aus Artikel 5 gebunden – Datenminimierung und Ähnliches – und, ganz wichtig, das große Problem für Facebook – in Artikel 7 Absatz 4 – haben wir jetzt neu drin ein explizites Kopplungsverbot, das heißt ein Anbieter einer Dienstleistung kann jetzt nicht mehr sagen, du kriegst diesen Dienst nur, wenn du einwilligst, dass ich mehr Daten von dir verarbeiten kann, als nötig wäre. Genau das macht ja Facebook. Sie sagen, du kannst den Dienst nur nutzen, wenn du quasi in alles einwilligst, ansonsten lösche hier dein Profil. Genau wegen dieses Kopplungsverbots hat am 25. Mai direkt Max Schrems mit vielen anderen Personen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten schon Beschwerden gegen Facebook eingereicht.

Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter zwingen einen mit Pop-Ups, komplexen und seitenlangen Datenschutzbestimmungen zuzustimmen, wenn man sie nutzen möchte. Halten Sie es für realistisch, dass Verbraucher immer ausreichendes Know How und Zeit haben für eine angemessene Zustimmung oder Ablehnung der im Web 2.0 aufpoppenden Cookies usw.?

Die Idee ist ja gerade, dass ich mir als Verbraucher weniger Gedanken machen muss, weil die Grundprinzipien immer gelten. In der DSGVO steht darüber hinaus drin, das diese Einwilligungstexte in verständlicher Sprache sein sollen und nicht Juristen-Deutsch. Wichtig ist das angesprochene Kopplungsverbot, dass ich nicht gezwungen werde irgendwelchen Datenverarbeitungen zuzustimmen, nur um einen Dienst zu nutzen, wenn die weiteren Datenverarbeitungen gar nicht nötig wären, um den Dienst anzubieten. Facebook und andere Netzwerke werden jetzt ein Problem kriegen. Wie gesagt, die ersten Beschwerden liegen bereits vor.

Ich sehe ein Missverhältnis bei der Umsetzung der DSGVO in Kleinunternehmen und bei digitalen Giganten wie Facebook.

In der Regel haben kleine Unternehmen ja auch viel weniger Datenverarbeitungsprozesse und gesammelte Daten sind deswegen auch harmloser. Wir haben schon Unterschiede gemacht in der DSGVO, was die konkrete Umsetzung und die technischen und organisatorischen Maßnahmen, die man beim Umfang der Datenverarbeitung treffen muss, betrifft, etwa in Bezug auf die Art der Daten. Sensible Daten wie Gesundheitsdaten wird es bei Versicherungen geben, aber nicht beim Bäcker oder Fotografen um die Ecke. Umfang, Zweck und Risiko müssen immer verhältnismäßig sein. Schön und gut, dass Facebook eine große Rechtsabteilung hat und sich teure Anwaltskanzleien leisten kann, wenn aber der Kern des derzeitigen Geschäftsmodells ist, Leute einfach ungefragt zu tracken, was nicht datenschutzkonform möglich ist, dann hilft ihnen auch eine Rechtsabteilung nicht. Das muss im Zweifelsfall eben gerichtlich durchgefochten werden.

Die DSGVO regelt auch das Datenmanagement von Kleinunternehmen und Vereinen. Websitebetreiber sind hier jedoch selbst oft nicht genügend darüber informiert, inwiefern ihre Serveranbieter, Content Management Systeme oder Themes und Plugins Daten sammeln. Inwieweit schränkt die DSGVO auch technische Voraussetzungen des Datensammelns solcher Anbieter (Webhosting usw.) ein?

Sie schränkt sie ein. Wenn ich eine Website mit einem normalen Wordpress betreibe, dann muss ich schon darauf achten, welche Themes ich habe und was die mit den Daten der Besucher machen. Das ist bisher teilweise ein bisschen schwierig gewesen, hier datenschutzkonform zu sein. Es gibt jetzt aber die ersten Updates für Wordpress Plugins und ähnliches, die datenschutzkonform sind, als Folge der DSGVO.

Was halten Sie von im Internet verfügbaren EU-DSGVO-konformen Datenschutzgeneratoren?

Dies sind in der Regel gute Checklisten, um sich zu überlegen, was für Daten verarbeite ich hier eigentlich zu welchen Zwecken, wie lange bewahre ich sie auf und wie sind sie gesichert. Solche Checklisten gibt es teilweise auch schon von den Datenschutzbehörden. Aber nur dadurch, dass ich mir diese Datenschutzerklärung zusammenklicke wird ja noch nicht sichergestellt, dass das in der Realität dann so aussieht, wie ich das zusammenklicke. Ich muss eben auch zur Not in meine IT-Infrastruktur reingehen und gucken, lösche ich die Daten jetzt wirklich, wenn ich sie nicht mehr brauche, oder haben die Betroffenen wirklich das Recht, sie auch in einem elektronischen Format zu kriegen, wenn sie es anfordern. Es ist mit einer Datenschutzerklärung nicht getan. Es muss täglich umgesetzt werden. Das ist eher die Herausforderung.

Wurde die DSGVO mit den EU-Mitgliedsländern vor ihrer Anwendung genügend abgestimmt?

Die Verordnung ist ja mit denen verhandelt worden. Das Parlament hat zusammen mit dem Rat, also den Mitgliedstaaten, den finalen Gesetzestext beschlossen. Fast alle Mitgliedstaaten haben dafür gestimmt. Es gab auch im Parlament nur ganz wenige Gegenstimmen. Insofern ist die Verordnung die ganze Zeit natürlich mit den Mitgliedsstaaten abgestimmt gewesen. Auch mit der Bundesregierung und mit dem CDU-geführten Innenministerium, was da federführend war.

Wurde die Bevölkerung im Vorfeld der Anwendung des Gesetzes genügend informiert?

Wenn man sich die ganzen Sorgen der Vereine und Kleinunternehmen anguckt, offenbar nicht. Es gab anscheinend immer noch Leute, die erst kurz vor Schluss davon gehört haben. Aber im Vergleich zu anderen Gesetzgebungsverfahren, die hier so laufen, haben wir schon sehr viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Jan war oft zum Thema in der Presse. Wir haben tonnenweise Veranstaltungen dazu in Deutschland gemacht, mehrere Broschüren veröffentlicht und Ähnliches. Jan hat dazu viel getwittert und viele Follower gewonnen. Ich natürlich auch. Wir haben da extrem viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht im Vergleich zu anderen Gesetzgebungsverfahren. Dass das trotzdem letzten Endes nicht gereicht hat, um jetzt jeden im hinterletzten Winkel zu erreichen, ist schade, aber da hätten auch noch andere mehr dazu machen können, etwa die Bundesregierung oder die Datenschutzbeauftragten. Das kann ja nicht der Job eines Abgeordneten mit drei Mitarbeitern in einem kleinen Büro in Brüssel sein.

Die DSGVO beschränkt nicht die Big Data-Massenverarbeitung. Was kann man sich unter Big Data-Massenverarbeitung vorstellen?

Das kann viel sein. Big Data zielt als Schlagwort auf die Verarbeitung von großen Datenmengen, dass müssen nicht personenbezogene Daten sein, sondern können auch Sensordaten von Wetterstationen sein oder Ähnliches und da kann dann alles mögliche mit gemacht werden - statistische Analysen, Trainingsdaten für künstliche Intelligenz und externe Systeme. Die DSGVO regelt das in dem Fall, wo es um personenbezogene Daten geht. Grundsätzlich darf ich auch, wenn ich Daten von Websitebesuchern oder Ähnliches habe, sie erstmal nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie erhoben wurden, etwa um einen Einkauf zu tätigen oder einen Online-Dienst zu nutzen oder so. Ich darf sie nur zu anderen Zwecken verwenden, wenn die Nutzer zugestimmt haben. Die Neuerung der DSGVO ist das Privileg zur Weiterverarbeitung für statistische und für Forschungszwecke. Da kann ich Daten, die ich eh schon habe, auch zu Forschungszwecken und statistischen Analysen weiterverarbeiten, muss dafür nicht noch einmal extra fragen und kann sie unter Umständen sogar länger aufbewahren, wenn ich sie pseudonymisiere und, wenn möglich, sogar anonymisiere, aber das nur unter der Maßgabe, dass die Ergebnisse zur Analyse – das kann dann Big Data sein - abstrakte, aggregierte Ergebnisse sind und nicht individuelle Profile. Soweit ich die Big Data-Analyse auf individuelle Leute anwende brauche ich dafür eine neue Rechtsgrundlage.

Herr Albrechts Engagement für den Datenschutz wurde oft als Kampf des David gegen Goliath bezeichnet. Wie groß war Ihr Team und wie viele Mitarbeitende hatten Sie in Ihrem Beraterstab?

Das Team bei uns im Büro sind der Abgeordnete selbst, der sehr viel Zeit investiert hat; dann vor allem ich – ich habe die Hauptarbeit gemacht – auch mal Nachtschichten oder am Wochenende, wenn es sein musste – und eine Kollegin, die teilweise mitgeholfen hat. Sie hat nebenbei versucht, mir den anderen Kram vom Halse zu halten, etwa dass die normale Ausschussarbeit parallel weiter geht. Dazu die dritte Kollegin, die die ganze Pressearbeit gemacht hat, weil klar war: Diesen Lobby-Ansturm können wir nur mit Öffentlichkeit ausbalancieren. Dann hatten wir unregelmäßig noch Praktikanten oder Jura-Referendare, die für drei oder vier Monate bei uns waren, die oft in der Phase Zuarbeit geleistet haben um beispielsweise die aktuellen Texte vom Rat – wie da der Verhandlungsstand ist – zu analysieren und Passagen und Dokumente einzupflegen. Dann hatten wir einen Fraktionsreferenten, der uns auch beraten und bei uns mitgemacht hat, aber der auch parallel noch andere Dossiers verfolgen musste und zwei oder drei Personen im Ausschusssekretariat. Die haben administrative Arbeit gemacht, von Räume buchen für Sitzungen bis hin dazu, wann kommt das Ding auf die Tagesordnung des Ausschusses? Bis zur finalen Abstimmungsliste? In welcher Reihenfolge müssen die Änderungsanträge bestimmt werden? Die haben selbst inhaltlich nicht so viel mitgemacht, weil wir das sehr stark in unserem Büro abgestimmt haben, unter anderem weil Jan und ich wirklich vom Fach sind. Er hat einen Master in Rechtsinformatik gemacht, mit Schwerpunkt Datenschutz. Ich habe jahrelang an verschiedenen Unis als Politikwissenschaftler zu Datenschutzregulierung geforscht. Deswegen konnten wir das gut in unserem Team verfolgen. Drumherum hatten wir dann noch ein relativ weites Feld von Experten und interessierten Kreisen, die uns versucht haben mal punktuell zu helfen, von NGOs wie European Digital Rights bis hin zu Datenschutzbehörden, zu denen wir teilweise einen sehr engen Draht hatten und die wir auf kurzem Dienstweg fragen konnten, bis hin zu Leuten aus verschiedenen Unis, die zu Datenschutz forschen. Das waren Leute, die man schnell zu bestimmten Sachen fragen konnte: Ist diese Formulierung ok, ist das tragbar, wie verhält sich das mit dem Datenaspekt, der als Schwerpunkt gilt und so weiter. Das Kernteam waren im Prinzip Jan und ich, teilweise unser Fraktionsreferent, teilweise noch die Kollegin aus unserem Büro und die Praktikanten. Auf der anderen Seite – deswegen dieses David gegen Goliath – waren hunderte von Lobbyisten aus der Industrie, die die ganze Zeit versucht haben den Datenschutz zu verwässern und zu untergraben. Denen gegenüber standen als Interessengruppen ein kleines Häufchen von Aktivisten aus der Zivilgesellschaft. Das waren hier in Brüssel zwei oder drei Leute und ein paar noch aus den Mitgliedsstaaten, die ab und zu mal herkamen oder eine Online-Kampagne gemacht haben. Das war ein krasses Ungleichgewicht.

Ich interviewte 2011 den Europaabgeordneten Axel Voss zum Thema Datenschutz. Was war seine Rolle bei der EU-DSGVO?

Es gab 2010 erstmal eine Mitteilung der Kommission mit ersten Ideen für die Datenschutzreform. Da hat das Parlament mit einer Resolution darauf geantwortet. Axel Voss hatte diese Resolution damals federführend verhandelt, der sogenannte Voss-Bericht 2011. Da waren schon die wichtigsten Grundlagen belegt, zum Beispiel stand das Recht auf Vergessen werden schon drin und solche Sachen. Dann wurde 2012 Jan der Chefverhandler und Berichterstatter. Axel Voss wurde Schattenberichterstatter und Mitverhandler für die konservative EVP-Fraktion. Sein Job war immer bei uns in den Verhandlungsrunden dabeizusitzen, die Position seiner Fraktion zu vertreten und zu gucken, ob er mit den anderen Fraktionen einen Kompromiss hinkriegt und das an seine Fraktion rückzukoppeln.

Halten Sie dieses Team rückblickend für groß genug, eine derartige Aufgabe zu bewältigen?

Rückblickend haben wir sie bewältigt. Insofern waren wir de facto groß genug. Es war aber schon teilweise wirklich krass. Wie gesagt gab es 4.000 Änderungsanträge, die zustande kamen und solche Sachen. Es ging wirklich nur, weil ich dann zum großen Teil in solchen Hauptarbeitsphasen nichts anderes mehr gemacht und andere Tätigkeiten zurückgeschraubt habe. Da hätte man durchaus ein oder zwei Kräfte mehr gebrauchen können, die den normalen Arbeitsbetrieb parallel besser abdecken. Für Jan und mich ist der Datenschutz wirklich ein Herzensthema. Wir haben da sehr viel Energie reingesteckt, weil es für uns auch wichtig war. Insofern haben wir es am Ende auch geschafft.

Herr Albrecht übernimmt September 2018 in Schleswig-Holstein den Ministerposten für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung. Warum tritt er nicht zur Wahl des EU-Parlamentes im kommenden Jahr an?

Er wollte noch einmal antreten, das war auch schon länger geplant. Er hätte dann im November auf der Bundesdelegiertenkonferenz auch um den Platz kandidiert. Aber dann kam eben dieser Wechsel in Schleswig-Holstein, dass Robert Habeck als bisheriger Minister dann Bundesvorsitzender der Grünen wurde und somit eine Übergangszeit hatte und damit dann seinen Ministerposten aufgeben musste. Dann waren die Schleswig Holsteiner auf der Suche für einen neuen Minister und Jan war in den letzten Jahren für die Wahlkreisbetreuung zuständig für Hamburg und Schleswig-Holstein. Er kennt das Land, hat da viele Termine gemacht und so. Dann haben die Schleswig Holsteiner überlegt, wer in Frage käme. Sie haben sich ein Profil ausgedacht: Dass müsste der Nachfolger von Robert Habeck können und abdecken und so weiter. Sie kamen dann am Ende auf Jan und wollten wirklich nur ihn. Jan hat schon eine Weile überlegt, weil er auch wirklich gerne in Brüssel geblieben wäre. Aber: Nach dieser großen Datenschutzreform, die wir da gestemmt haben, was kann man jetzt noch leisten? Natürlich steht immer etwas an. Es war für ihn der Schritt zu sagen, jetzt mache ich das nächste große Kapitel in meinem Leben auf. Ich nehme die europäischen Erfahrungen und Perspektiven mit in die andere große Politik und kann da Dinge konkret umsetzen. Hier in Brüssel machen wir nur Gesetze. Die konkrete Umsetzung machen wir vor Ort. Da hat er in dem Ministerium, das auch im Bereich Digitalisierung sehr gut aufgestellt ist, auch gute Möglichkeiten. Das wird spannend.

Jan Philipp Albrechts Nachfolger ist Romeo Franz. Was werden seine Aufgaben sein?

Er hat mit Jan ausgemacht, dass er Jans Aufgaben übernimmt, damit sie nicht brachliegen. Es gibt laufende Gesetzgebungsverfahren, die wir weiter betreuen müssen. Die wird Romeo übernehmen, mit meiner Hilfe. Er wird mich und den Kollegen, der die Pressearbeit bei uns macht, übernehmen. Auf der anderen Seite ist Romeo ein starker Verfechter von Minderheitenrechten, speziell von Sinti und Roma. Er ist selbst Sinto. Er hat 25 Jahre seines Lebens zu dem Thema gearbeitet und eine eigene Stiftung aufgebaut und ist Sinti und Roma-Beauftragter der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Das wird sein natürlicher Schwerpunkt sein. Das Gute ist, dass Datenschutz, Bürgerrechte digital und Minderheitenrechte im selben Ausschuss hier laufen – also im Innen- und Justizausschuss – das heißt, er wird auch den Ausschusssitz von Jan übernehmen und automatisch ein bisschen breiter aufgestellt sein.

Herr Bendrath, vielen Dank für das Interview.

Ansgar Skoda führte das Interview mit Ralf Bendrath (Foto) am 20.6.2018 telefonisch.

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