Treffpunkt Europa: Wirtschaftlicher Riese, aber ein politischer Zwerg – so wird die EU häufig in der Welt gesehen. Woran liegt das?
Oberleutnant Albrecht: Die EU ist kein einheitlicher Akteur. Sie versucht als Dachorganisation die Partikularinteressen 28 verschiedener Nationen auf einen Nenner zu bringen. Wie schwierig und oftmals kontraproduktiv sein kann, können wir bei der Euro-Krise beobachten. Nach außen kann ein innerlich so wackeliges Konstrukt konsequenterweise nicht überzeugender sein als nach innen. Nichtsdestotrotz entwickeln Angehörige europäischer Staaten untereinander oft ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl wenn es gegen äußere Akteure geht.
Der Ukraine-Konflikt, der Bürgerkrieg in Syrien, die Errichtung eines Kalifats im Irak muss die EU stärkere militärische Präsenz in solchen Krisenregionen zeigen?
Es ist richtig, dass zwischen allen aufgezählten Konflikten Verbindungen bestehen können, wenn auch weit unter der Oberfläche. Dennoch muss jeder Konflikt für sich genommen werden. Besondere Sorgfalt ist darauf zu legen, zugunsten welchen Akteurs diese Truppen eingreifen sollen oder ob man aufgrund der Rücksichtnahme auf alle Akteure lieber keine Truppen entsenden sollte. Es ist demnach die Frage, ob man Truppen in „solche“ Krisenregionen senden soll, äußerst kritisch zu betrachten. Denn ihr kommt der Ruf gleich, Europa solle sich einmischen, um mehr Geltung zu bekommen, ohne darauf zu achten, worum es sich bei dem Konflikt handelt. Man vergisst hierbei den Soldaten, der sein Leben aufs Spiel setzen soll, um einer politischen Institution mehr Geltung, also mehr Macht zu verschaffen. Ob es jedoch das war, wofür er sich anfänglich freiwillig meldete, wage ich zu bezweifeln.
Ist die EU überhaupt militärisch gerüstet für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?
Das hängt davon ab, wie man das 21. Jahrhundert bewertet. Wenn man davon ausgeht, dass alles so weiter geht wie bisher, das bedeutet punktuelle Einsätze an Brennpunkten, dann sind unsere Armeen bestens gerüstet. Großbritannien und Frankreich sind dabei ein hochmobiles Expeditionscorps aufzubauen, das jetzt schon durch erfolgreiche binationale Übungen überzeugen kann, wie kürzlich auf Korsika geschehen. Alles in unseren Armeen wird auf hohe Mobilität ausgerichtet. Hierfür sind erneut die Franzosen ein Beispiel, die über hervorragende luftbewegliche Kapazitäten verfügen und ein Beispiel für Effizienz im teilstreitkräfteübergreifenden Einsatz, das heißt Heer, Luftwaffe und Marine, sind. Vor allem sind unsere Spezialkräfte die Ikonen dieser Mobilität, Professionalität und Effizienz, die unsere Armeen heute ausmachen. Bewertet man das 21. Jahrhundert allerdings anders und sieht in der Zuspitzung im chinesischen Meer sowie im Vorderland Russlands die Vorwehen eines neuen, dritten weltweiten Konfliktes, dann bin ich geneigt zu sagen, dass unsere Armeen so schlecht darauf vorbereitet sind wie nie. Aber das gilt für unsere Gesellschaften ganz allgemein. So ist die Wehrpflicht in beinahe allen 28 EU -Staaten abgeschafft oder zumindest ausgesetzt.
Wird es in naher Zukunft eine gemeinsame europäische Armee geben?
Ich habe Soldaten vieler verschiedener europäischer Nationen kennen gelernt. Sie sind in allererster Linie Soldaten ihrer Nation. Sowie ein Franzose ein Franzose ist, bevor er möglicherweise über seine europäische Identität nachdenkt, gilt dies ebenfalls für Bürger anderer Länder. Dies ändert nichts daran, dass verschiedene Verbände dieser Nationen sehr erfolgreich miteinander arbeiten können. Der seit Jahren fortschreitende Integrationsprozess, indem NATO -Standards westliche Armeen miteinander kompatibel machen, sowie zahlreiche Austauschprogramme auf Generalstabs- aber auch auf Teileinheitsführer- Ebene fördern diese effiziente und fruchtbare Zusammenarbeit. Missionen auf europäischem Niveau sind ohne Weiteres durchführen und Anfänge einer europäischen Armee sind schon längst Realität in Form von zum Beispiel der deutschfranzösischen Brigade, des Eurocorps oder anderer bi- und multinationaler Verbände. Nichtsdestotrotz gibt es in den Identitäten und Mentalitäten der verschiedenen Armeen große Unterschiede. Diese echte Vielfalt sollte erhalten bleiben, da jede einzelne militärische Identität zu wertvoll ist, als dass sie aufgegeben werden könnte.
Welche Möglichkeiten haben nationale Armeen in Krisensituationen innerhalb von EU-Mitgliedsstaaten einzugreifen?
Ich sehe hierbei kein Problem, solange das Eingreifen fremder Soldaten eindeutig im Einvernehmen mit der betroffenen Bevölkerung geschieht. Ist dies nicht der Fall, so gelten das Selbstbestimmungsrecht der Völker und der Respekt gegenüber der des Staates. Innerhalb Europas werden heute schon aus fiskalen Gründen verschiedene militärische Aufgaben von einigen Staaten an andere abgegeben. So übernimmt unter anderem Ungarn die Luftraumsicherung für Litauen. Zwar findet dies in einem NATO-Rahmen statt, jedoch tut dies der europäischen Sache keinen Abbruch. Es bedarf also nicht einmal einer Krisensituation, um auf eine solch enge Weise miteinander zu kooperieren. Der stärkste Integrationsmotor in militärischen Angelegenheiten ist heute die finanzielle Schieflage.
Reichen diese Möglichkeiten aus?
In den letzten Jahrzehnten ist viel geschehen und ich habe nicht den Eindruck, dass wir uns ganz am Anfang solcher Überlegungen befinden, bei denen eine europäische Nation innerhalb einer anderen militärisch aktiv ist. Mit den Partnership- for-Peace-Programmen, Verbänden, wie der deutsch-französischen Brigade, dem deutsch-niederländischen Korps, dem multinationalen Korps Nord-Ost oder dem Eurokorps, einer weitreichenden NATO -Infrastruktur und den unzähligen multinationalen Übungen ist die militärische Realität heute international. Es existiert bereits ein institutionalisiertes Netz mit teilweise zentralen Strukturen. Soweit ich das beurteilen kann, sind wir hier ausreichend stabil aufgestellt. Es müssen also keine offenen Türen eingerannt werden.
Dieses Interview erschien zuerst im JEF-Mitgliedermagazin 02/2014.
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