Teil 1

Humans of Saarland: Für’s Croissant zum Frühstück über die Grenze

, von  JEF Saarland

Humans of Saarland: Für's Croissant zum Frühstück über die Grenze
Titelbild: links Pixabay / Photowill / Pixabay License, rechts Pixabay / ulleo / Pixabay License; Bearbeitung: Anja Meunier

Das Saarland ist das kleinste der Flächenländer Deutschlands und teilt rund 150 Kilometer Grenze mit Frankreich, außerdem grenzt es an Luxemburg. Die Großregion „SaarLorLux“ zählt zu den Modellprojekten in Europa, in denen grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf allen Ebenen vorangetrieben werden. Für Menschen im Saarland ist grenzüberschreitendes Lernen, Arbeiten, Leben und Lieben schon seit Jahren Realität. Wie wächst man auf und was prägt das tägliche Leben, wenn man an der deutsch-französisch-luxemburgischen Grenze lebt? Dazu hat die JEF Saarland Menschen aus der Grenzregion porträtiert.


„Ich bin ins Saarland gezogen als ich vier Jahre alt war. In das deutsch-französische Grenzdorf St. Nikolaus. Meine Familie kommt aus Cuxhaven. Im Kindergarten musste ich erst einmal Saarländisch lernen. Französisch hatte ich ab der ersten Grundschulklasse. Ich konnte früher gut Französisch, aber jetzt ist es schon so lange her. Wenigstens kann ich hier im Stall noch ein bisschen Französisch sprechen, um in der Übung zu bleiben. Wir haben französische und deutsche Einsteller und sogar Reitstunden auf Französisch.

Am Wochenende gehe ich mit meiner Familie eigentlich immer Baguette und Croissants in Frankreich kaufen. Meistens direkt hinter der Grenze in Merlebach. Das sind 15 Minuten mit dem Fahrrad. Im Sommer fahren wir auch gerne an die Badeseen hinter der Grenze. Wenn ich Freund*innen aus Norddeutschland zu Besuch habe, dann finden die es auch immer total schön hier. Die kaufen dann für ihre Familie französischen Käse. Die Französinnen und Franzosen hier sprechen auch eher Saarländisch. Oder einen Mischmasch aus Deutsch und Französisch.

Ich finde, dass Europa eine riesige Errungenschaft ist und dass es für die Zukunft eine Konstante sein soll. Allein schon um des Friedens willen. Obwohl es auch Probleme in der Europäischen Union gibt, kommt es letztlich darauf an, dass wir eine Gemeinschaft sind und dass wir wissen, dass wir zusammengehören. So wie hier im Dorf. Geschlossene Grenzen kann ich mir hier gar nicht vorstellen. Allein in den Supermärkten und Drogerien in Großrosseln sind ja so viele Französinnen und Franzosen! Ich persönlich finde das schön, ich höre halt so gerne Französisch. Ich studiere Medizin, da haben wir ein Praktisches Jahr. Ich habe auch schon überlegt, ob ich das dann in Frankreich mache." - Johanna, 24, Medizinstudentin aus St. Nikolaus


„Wer meine Kunst kennt, der weiß: Sie ist meistens blau. Blau ist meine Farbe. Das kommt von meiner Faszination für den Himmel. Und der Himmel ist irgendwo immer blau. Klar gehe ich regelmäßig ins Museum. Ich will immer auch Werke anderer Künstler*innen sehen. Immer up-to-date sein. In der Großregion ist vor allem Metz spannend. Die französische Kunst ist aber bunter als meine. Ich habe schon einmal im Metzer Bahnhof ausgestellt. Das war toll wegen den Glasfenstern und der Lichtstimmung. Wenn du das Erschaffene an der Wand im Museum siehst, dann gehst du schon raus und denkst ,geil’.

Aber ich finde es noch toller, unterwegs zu sein. Die Welt wahrzunehmen und weiterzugeben. Ich glaube, das ist auch die Aufgabe eines*einer Künstlers*Künstlerin: wahrnehmen und weitergeben. Ich fahre immer überall hin, um den Himmel anzuschauen. In verschiedene Länder. Der Himmel ist auch überall anders. Im Norden ist er kühler, in Prag ist er irgendwie blauer, in Venedig süffiger. In Rom dramatischer. Viele Künstler hat es schon immer nach Italien gezogen. Mich auch. Allein in Rom war ich schon neun Mal. Italien ist meine Quelle der Inspiration. Ich finde den Himmel hier bei uns oft ziemlich gleich – und sehr rosa. Woanders könnte ich manchmal stundenlang in den Himmel schauen. Und das ist es, was mich inspiriert. Deswegen finde ich es auch okay, meine Homebase zum Erschaffen in Homburg zu haben. Weil ich ja immer wieder wegfahren kann. Auch in meine zweite Heimat Berlin. Dort stelle ich oft aus. Dafür muss ich keine unsichtbare Staatsgrenze überqueren. Für meine Reisen nach Italien aber schon.

Doch dieses Europa ohne Grenzen ist momentan in Gefahr. Mir wurde das noch einmal so richtig bewusst bei dem Hype um den Europa-Hoodie. Wenn abstrakte Kunst, coole Kunst und Mode sich einmischen, dann weiß man: jetzt wird’s gefährlich. Wenn so etwas wie der Brexit hier bei uns passieren würde, dann wäre das für mich eine unglaubliche Freiheitseinschränkung. Für mich als Künstlerin würde sich der komplette Blick auf die Welt verändern. Ich würde mich hier kleiner fühlen, würde definitiv weniger Inspirationen und Impulse haben. Ich gehe wählen, weil ich ein Recht auf grenzenlose Wahrnehmung haben will. Und dann muss ich auch meine Pflicht wahrnehmen." - Julia, 30,
freie Künstlerin aus Homburg


"Früher hatte ich nie Lust, nach Frankreich zu fahren. Der Grenzübertritt bedeutete Stress. Es gab immer Kontrollen – manchmal so heftige, dass dabei fast das ganze Auto auseinander genommen wurde. Als junge Frau von Anfang zwanzig fürchtete ich mich da schon fast. Noch heute bekomme ich ungute Gefühle, wenn ich daran zurückdenke. Und dann noch das Geldwechseln. Manche Saarländer*innen hatten extra zwei Geldbeutel: Einen mit D-Mark und einen mit Franc. Nach Frankreich sind wir nur gefahren, wenn wir mussten – oder zum Urlaub machen. Einfach mal so, das gab es nicht.

Heute kann ich nach Lust und Laune spontan nach Frankreich fahren. Und ich verspüre das Bedürfnis oft. Zum Freund*innen-Besuchen, Spazierengehen oder Essen in meinem Lieblingsrestaurant Woll in Spicheren. Ich schätze die Esskultur der Französinnen und Franzosen, kaufe in Frankreich Käse, Pâté oder Wein. Dann bin ich oft geneigt, zu denken ,Ach, ist doch ganz schön, dieses Frankreich!’ und freue mich, herzukommen. Es ist einfach normal: Die Franzosen und Französinnen laufen in Saarbrücken herum und wir Saarbrücker*innen in Frankreich. Frankreich, das gehört heute als Saarländer*in irgendwie dazu. Es ist eine Nähe, die gelebt wird. Früher habe ich es eher als Trennung erlebt. Und Trennung schafft immer Misstrauen.

Zur damaligen Zeit war auch ich selbst viel weniger offen. Bei uns im Dorf hieß es immer, was für komische Leute diese Franzosen, diese Ausländer, doch seien. Das prägt dich als Kind. Seit die Grenze offen ist und ich Kontakt mit Französinnen und Franzosen habe, habe ich eine ganz andere Einstellung. Ich finde, die Menschen sollten generell mehr zusammenwachsen. Wenn man viel sucht, findet man doch bei fast jedem einen Migrationshintergrund! Ich gehe auf jeden Fall am 26. Mai wählen. Wahrscheinlich im Vorhinein per Briefwahl für den Fall, dass ich am Tag selbst etwas vorhabe. Ich wähle, weil mir die offenen Grenzen in der Europäischen Union so wichtig sind. Sie sind für mich ein Stück Lebensqualität." - Sonja, 52, Kita-Leiterin aus Saarbrücken


„In Nordrhein-Westfalen gibt es auch ein internationales Umfeld. Aber kein deutsch-französisches wie hier im Saarland. Französisch fand ich schon in der Schule toll. Es war meine erste Fremdsprache. Nach dem Abi habe ich ein Jahr in Frankreich verbracht und dort meine ersten redaktionellen Arbeitserfahrungen gesammelt. Meine Vorliebe für Frankreich führte mich 2014 ins Saarland. Für eine Stelle als Rundfunkjournalistin bei SR2 Kulturradio.

Grenzüberschreitende Themen waren genau mein Ding. Daher entschied ich mich für ein deutsch-französisch-luxemburgisches Masterstudium – und blieb in der Region. Als ich zum ersten Mal in Saarbrücken war, fiel mir direkt auf, wie viel Französisch man in der Innenstadt hört. Durch Nebenjobs zur Finanzierung meines Studiums knüpfte ich viele Kontakte mit Leuten im deutsch-französischen Bereich. Diese Art von Networking ist typisch Saarland. Es gibt keine vergleichbar entwickelte Grenzregion. In meinem aktuellen Job als Bildungsreferentin beim Deutschen Roten Kreuz vermittle ich junge Leute für einen Freiwilligendienst nach Luxemburg, Belgien oder Frankreich. Wir sind der einzige Landesverband, der nach Frankreich entsendet.

Deshalb wenden sich Freiwillige aus ganz Deutschland an uns. Sie alle wollen für ein Jahr in französischen Bildungseinrichtungen oder im sozialen Bereich arbeiten. Ich weiß nicht, ob ich für immer im Saarland bleibe. Aber im Moment passt alles. Auch meine Hobbies sind grenzüberschreitend: Ich mache Radtouren nach Frankreich und bin Teil der Lindy Hop-Tanzcommunity der Großregion. Ich werde an der Europawahl teilnehmen. Aber ich habe noch nicht entschieden, für wen ich abstimme. Dazu will ich mir noch die Wahlprogramme durchlesen. Und mit Freunden darüber reden. Wir dürfen die Entscheidung aber auf keinen Fall den Rechtspopulisten überlassen. Die wollen zurück zum Europa der Nationalstaaten.

Meine Kolleg*innen vom Roten Kreuz in anderen Bundesländern klagen, wie viel schwieriger eine Vermittlung junger Leute nach Großbritannien schon jetzt ist. Der bevorstehende Brexit schürt viele Unsicherheiten. Niemand hat einen Plan, welche Auswirkungen ein EU-Ausstieg tatsächlich hat. Aber eins ist sicher: Er lähmt die Mobilität und ist ein großer Rückschritt. Letztlich sind die offenen Grenzen in der Europäischen Union Grundlage für meinen Arbeitsplatz." - Katrin, 31, Bildungsreferentin aus Recklinghausen

Das Projekt „Humans of Saarland“ wurde von der ASKO-Europa-Stiftung unterstützt. Die Bilder aufgenommen hat Ruben Jochem (treffpunkteuropa.de über JEF Saarland zur Verfügung gestellt).

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