Gewalt gegen Frauen: Ein Angriff auf die Demokratie

, von  Elsie Haldane, übersetzt von Catharina Frank

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Gewalt gegen Frauen: Ein Angriff auf die Demokratie

Die Gleichstellung der Geschlechter ist sowohl in der EU als auch in Großbritannien gesetzlich festgeschrieben und wird als Kernwert erachtet. Und doch ist die Tötung von Frauen, sogenannter ‚Femizid‘, nicht spezifisch in den Gesetzen benannt. Der tragische Mord an Sarah Everard in Großbritannien hat das Thema Gewalt gegen Frauen erneut in den Fokus der Medien gerückt. Doch neu ist das Thema nicht. Das jüngst verabschiedete britische Polizeigesetz (Police, Crime, Sentencing and Courts bill), gibt der Polizei mehr Möglichkeiten, (friedliche) Demonstration einzuschränken und betont die Notwendigkeit, historische Denkmäler zu schützen. Doch es ist eine verpasste Gelegenheit, das Strafmaß für Verbrechen an Frauen neu abzuwägen und anzupassen.

Frauen wurden seit jeher zum Schweigen gebracht. Ob ihren Erfahrungen kein Glaube geschenkt wird, ob Gerichte ihnen die Gleichheit vor dem Gesetz versagen, bis zu dem verheerendem Verstummen ihrer Stimmen durch männliche Gewalt. Großbritannien gibt sich stolz auf seine historische Demokratie, die vermeintlich die Freiheit aller schützt. So verkündete der britische Außenminister Dominic Raab, die Demokratie sei weltweit auf dem Rückzug und Großbritannien solle als „Kraft für das Gute in der Welt vorangehen“ („Britain will be a force for good“). Doch wie kann eine Regierung eine Demokratie verteidigen, die Frauen noch immer zum Schweigen bringt?

Was ist Femizid?

Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen definiert Femizid als „Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts“. Die Tötung von Frauen kann vielfältig aussehen, ist jedoch immer ein Mittel, um Frauen zu reglementieren. Das Patriarchat zeigt sich hier in seiner gewaltsamsten Form. Ursprünglich geprägt wurde der Begriff in Lateinamerika („Femicido“), um der Häufigkeit der Tötung von Frauen einen Ausdruck zu geben. Allein die Tatsache, dass es ein eigenes Wort für diese Taten bedarf, ist tragisch. Doch das Wort erfüllt einen wirksamen Zweck, in dem es anerkennt, dass Frauen oft getötet werden, allein weil sie Frauen sind. Das Wort erkennt an, dass die Tötung von Frauen ein genderspezifisches Problem ist. Diese Erkenntnis ist die Voraussetzung dafür, dass wir nach Lösungen für dieses Problem suchen können.

Das Zum-Schweigen-Bringen von Frauen ist ein weltweites Phänomen und Europa ist keine Ausnahme. Laut der Wohltätigkeitsorganisation Refuge werden allein in England und Wales zwei Frauen pro Woche von ihrem derzeitigen oder einem ehemaligen Partner getötet. Im Jahr 2017 wurden 854 Frauen von einem Partner oder Ex-Partner in den 16 EU-Mitgliedstaaten getötet, die in einer Studie des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen betrachtet wurden, wobei Rumänien, Nordirland und Finnland die höchsten Zahlen aufwiesen. In den restlichen Mitgliedsstaaten gibt es derzeit keine vergleichbaren Daten. Da die europäischen Regierungen Femizid nicht spezifisch erfassen, wird dies von externen Organisationen übernommen. Für den Raum der Europäischen Union wird das Thema der Gewalt gegen Frauen vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen beobachtet, erfasst und analysiert. In Großbritannien lieferte bisher der „Femicide Census“ die umfassensten Studien.

Femizid und das Gesetz

Im größten Teil der EU und Großbritannien wird nicht zwischen Homizid und Femizid differenziert. Der Begriff Homizid beschreibt die Tötung eines Menschen, benennt damit also alle Geschlechter. Der Begriff Femizid wird in keinem Strafrecht spezifisch genannt. Obgleich es sechs EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Estland, Griechenland, Spanien, Portugal und Slowenien) gibt, deren Strafrecht einen erschwerenden Umstand erkennen „wenn das Verbrechen an einem Menschen geschlechtsbezogen ist“. In Justizsystemen, die diese Art von Differenzierung machen, sind Regierungen eher verpflichtet, das Problem der Tötung von Frauen aufzugreifen und anzugehen. Außerdem würde eine Differenzierung bedeuten, anzuerkennen mit welcher Ungerechtigkeit die Opfer und Überlebenden frauenfeindlicher Gewalt konfrontiert sind.

Das jüngst vom britischen Unterhaus verabschiedete Polizeigesetz spiegelt die Gleichgültigkeit, die dem Thema Gewalt gegen Frauen immer noch entgegengebracht wird, wider. Das umstrittene Gesetz ist die Antwort der Regierung auf die seit Wochen anhaltenden Proteste gegen Gewalt an Frauen in Großbritannien. Das neue Gesetz soll die Macht der Polizei erweitern, in dem es ihr neue Befugnisse zur Einschränkung von Protesten erteilt. Gleichzeitig kriminalisiert es die Demonstrierenden. David Lammy, Abgeordneter der Labour Partei kritisierte den Gesetzentwurf am 16. März im Parlament: „Die Regierung ist der Ansicht, dass Menschen, die Statuen beschädigen, wegen ihres “emotionalen Wertes“ bis zu 10 Jahre im Gefängnis verbringen sollten, aber 5 Jahre Haft wegen Vergewaltigung sind in Ordnung“.

Der Mangel an Gerechtigkeit für Opfer sexueller Übergriffe ist für Überlebende äußerst entmutigend. Im Jahr bis März 2020 wurden in Großbritannien in nur 1,4 Prozent der Polizei gemeldeten Vergewaltigungsfälle Verdächtige angeklagt. Dies kann mehrere Gründe haben. Einer der Gründe dafür ist jedoch, dass Überlebende von Vergewaltigungen häufig mit Argwohn behandelt werden. In Großbritannien werden nur 4 Prozent der Fälle von sexueller Gewalt als falsch eingestuft. In Europa und den USA liegt die Zahl zwischen 2-6 Prozent.

Was kann getan werden?

Es gibt jedoch Versuche, dieses Problem in der Gesetzgebung anzugehen. In Großbritannien hat die Kampagne ‚Make Misogyny a Hate Crime’ große Unterstützung gefunden. Das Hauptziel der Kampagne besteht darin, Frauenfeindlichkeit in die Liste der Hassverbrechen aufzunehmen, für die gerichtlich das Strafmaß erhöht werden kann. Tatsächlich forderte die Regierung die Polizei am 17. März dazu auf, frauenfeindliche Verbrechen als Hassverbrechen aufzuzeichnen. Das bedeutet, dass theoretisch frauenfeindliche Verbrechen nun eine härtere Verurteilung als Konsequenz haben. Es wurden jedoch Zweifel an der Durchsetzbarkeit dieser Idee geäußert, sollte dies tatsächliche gesetzlich verankert werden. Es wurde zum Beispiel die Kritik geäußert, dass ein Gesetz eventuell zur Folge hätte, dass jede Form des Angriffs gegen Frauen als Hassverbrechen gewertet würde, was wiederum den Nachteil hätte, dass das eigentliche Problem übersehen würde.

Ein Angriff auf die Demokratie

Das Zum-Schweigen-Bringen von Frauen und Mädchen existiert in allen Bereichen der Gesellschaft. Politikerinnen berichten von einer Vielzahl von Morddrohungen, Vergewaltigungsdrohungen und Sexismus, insbesondere online. Ein tragisches Beispiel hierfür ist der Mord an der Labour Politikerin Jo Cox, angeblich ausgeführt von einem „politischen Aktivisten“ im Jahr 2016. Der Abgeordneten von Glasgow East, Natalie McGarry, wurde geraten, die Sicherheit in ihrem Büro zu erhöhen, als sie Mord- und Vergewaltigungsdrohungen erhielt. Die Labour-Abgeordnete Jess Philips berichtete, dass sie in einer Nacht einmal mehr als 600 Vergewaltigungsdrohungen erhalten hat. Dabei sind nicht nur Politikerinnen, die Missbrauch erfahren, sondern vor allem auch Journalistinnen: In einer Umfrage hatten 73% der Journalistinnen Online-Missbrauch, Belästigung, Drohungen oder Angriffe erfahren. Diese Fälle von Belästigung und Bedrohung können sich nachteilig auf die Vertretung von Frauen in Politik, Medien und anderen öffentlichen Berufen auswirken und Frauen davon abhalten, sich zu engagieren oder ein Amt festzuhalten. Ein darauffolgender Mangel an ausreichender Repräsentanz von Frauen hätte vermutlich verheerende Auswirkungen auf die Förderung der Rechte von Frauen, der Rechte von LGBT+ und der Menschenrechte im Allgemeinen.

In allen Lebensbereichen erfahren Frauen Formen von sexueller Belästigung. Seien es Online-Bedrohungen gegen Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen oder tägliche Belästigungen auf dem Heimweg. Jeden Tag werden weltweit Frauen getötet, einfach weil sie Frauen sind. Großbritannien und die EU verstehen sich als Vorbild der Demokratie und der Wahrung von Menschenrechten. In der Tat wurden einige positive Schritte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unternommen. Ein wichtiger Schritt war die Unterzeichnung des Istanbuler Abkommens, eines Vertrags des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (die Türkei hat sich kürzlich zurückgezogen und ihre Besorgnis über die Untergrabung der „Familienwerte“ zum Ausdruck gebracht). In Bezug auf eine ausreichende Gesetzgebung und die spezifische rechtliche Anerkennung der Tötung von Frauen ist jedoch noch viel zu tun. Ein Land kann nur dann frei sein, wenn seine Bürger*innen gehört, gesehen und angehört werden, was jedoch nicht möglich ist, während Femizid und geschlechtsspezifische Gewalt weit verbreitet sind. So werden immer noch viele Bürger*innen zum Schweigen gebracht, sei es durch geschlechtsspezifische Gewalt, Rassismus, Klassizismus, Fähigkeitsbewusstsein, Homophobie, Transphobie oder andere Formen von Intoleranz. Während sich an diesen Umständen nichts ändert, wird es für uns immer schwieriger sein zu behaupten, wir lebten in wirklich freien und demokratischen Ländern.

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