Genveränderte Pflanzen: Die Angst vor den Mutanten

Ein Kommentar zu Gentechnik in der Landwirtschaft.

, von  Franziska Henck

Genveränderte Pflanzen: Die Angst vor den Mutanten
Getreide bei Sonnenaufgang. Foto: © Dietmar Rabich / Wikimedia Creative Commons 4.0-Lizenz

Schon seit Jahrhunderten greift der Mensch in das Erbgut von Pflanzen ein. Dieser Prozess begann bereits durch einfache Selektion – also Auswahl nach erwünschten Eigenschaften – in den frühesten Phasen der Landwirtschaft vor etwa 12.000 Jahren und setzte sich kontinuierlich fort. Die Verfahren wurden immer ausgereifter und mittlerweile verfügen wir über etablierte und zielgerichtete Züchtungsverfahren, die es uns ermöglichen, robuste und ertragsstarke Pflanzen zu erzeugen. Gerade in den letzten Jahren erzielte die Forschung erhebliche Fortschritte, die die Züchtung von Kulturpflanzen maßgeblich verändern könnten. Die Rede ist von Gentechnik. Mit neuen Verfahren ist es möglich, die genetische Information von Organismen zielgerichtet und mit hoher Präzision umzuschreiben und so dessen Eigenschaften zu verändern. Die Anwendung dieser Verfahren wird in der EU jedoch noch immer kontrovers diskutiert und strikt reguliert. Jetzt soll Bewegung in die Sache kommen.

Im Februar 2024 stimmte das Europäische Parlament dem Änderungsantrag der Kommission zur Regulierung von genetisch veränderten Pflanzen zu. Jetzt soll es Lockerungen geben. Ein Schritt, der von vielen herbeigesehnt, von anderen gefürchtet wird. Zahlreiche Wissenschaftler*innen betonen schon seit Jahren die Vorteile und das Potential neuer Gentechniken und Züchtungsmethoden – um Pflanzen klima- und schädlingsresistenter zu machen, Erträge zu steigern und Dünger und Pestizide einzusparen. Gerade mit Blick auf den voranschreitenden Klimawandel und das steigende Bevölkerungswachstum scheint dies sinnvoll. Dennoch gibt es weiterhin Gegenwind und viele Verbraucher*innen äußern Bedenken. Woher kommt die Angst vor den „Mutanten-Pflanzen“ und ist sie begründet?

Kurz erklärt: die wichtigsten Begriffe zu genveränderten Pflanzen



Neue Regelungen für genveränderte Pflanzen

Zurzeit unterliegen die sogenannten NGT-Pflanzen noch den strikten Verordnungen zu genetisch veränderten Organismen (GVOs). Diese gehört zu den striktesten Regulierungen weltweit. Das Resultat ist ein zeitaufwendiges und teures Verfahren, das die Zulassung, Entwicklung und Erforschung von NGT-Pflanzen in der EU erschwert.

Die Anwendbarkeit dieser Regularien auf neue genetische Techniken wird jedoch schon lange diskutiert. Die Kritik begründet sich insbesondere darin, dass Organsimen, die durch neue genetische Techniken erzeugt werden, teilweise kaum von konventionell gezüchteten Nutzpflanzen unterscheidbar sind. So erscheinen die strikten Regularien nicht nur obsolet, sondern ihre Umsetzung könnte auch zunehmend schwerer werden. Eine Tatsache der die neue Gesetzgebung Rechnung tragen soll.

Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass NGT-Pflanzen zukünftig in zwei Kategorien unterteilt werden sollen: Die erste Kategorie umfasst Pflanzen, die auch natürlich oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden könnten und nur arteigenes Genmaterial enthalten. In die zweite Kategorie würden Pflanzen mit umfangreicheren genetischen Veränderungen fallen. Das könnten beispielweise Pflanzen sein, in die artfremde Gene eingeführt wurden. Diese würden demnach weiterhin den strikten GVO-Regularien unterliegen. Lediglich für NGT-Pflanzen der ersten Kategorie sollen Lockerungen eingeführt werden, wodurch langwierige Risikoanalysen entfallen würden.

Das steckt hinter NGTs

Im Mittelpunkt der Debatte um neue genetische Techniken steht meist das Verfahren CRISPR/Cas. Dabei handelt es sich um eine Biotechnologie, für deren Entwicklung die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die Molekularbiologin Jennifer A. Doudna im Jahr 2020 den Nobelpreis der Chemie erhalten haben. Die Technik basiert auf zwei Komponenten: die „Gensonde“, fungiert wie ein Platzeinweiser. Sie erkennt eine spezifische Stelle in einer Ziel-DNA und führt Komponente Nummer zwei, die „Genschere“, genau dorthin. Die Genschere schneidet den DNA-Strang an der vorgeschriebenen Stelle. Diese Schnitte werden anschließend mittels zelleigener Mechanismen repariert. In Folge dieser Reparatur können Mutationen entstehen, also Veränderungen des genetischen Materials, zum Beispiel indem kurze DNA-Abschnitte entfernt oder neue eingefügt werden.

Mutationen treten auch unter natürlichen Umständen auf. DNA wird durch unterschiedlichste Faktoren regelmäßig beschädigt. Biologisch betrachtet sind Mutationen ein wesentlicher Treiber der Evolution und als solche keinesfalls unnatürlich. Mit den neuen Techniken ist es jedoch möglich zielgerichtete und präzise Änderungen im Erbgut vorzunehmen und so bestimmte Eigenschaften oder Merkmale eines Organismus zu beeinflussen.

Auch wenn man herkömmliche Züchtungsmethoden betrachtet, fällt schnell auf, dass die Erzeugung von Mutationen keineswegs etwas Neues ist. Insbesondere die Chemikalie EMS (Ethyl Methansulfat) oder Gamma-Strahlen werden hierzu schon seit Jahrzehnten standardmäßig in der Pflanzenzucht eingesetzt und erzeugen – im Gegensatz zu den neuen Techniken - tausende zufällige Mutationen. Aus den Nachkommen solcher genveränderten Pflanzen werden anschließend jene ausgewählt, die gewünschte Eigenschaften ausprägen – also zum Beispiel besonders viel Ertrag liefern oder besonders resistent gegen Kälte sind. Diese werden dann zur Weiterzucht und Erstellung neuer Sorten verwendet. Hierbei handelt es sich jedoch um einen recht langwierigen Prozess, der sich meist über mehrere Jahre zieht. Für diese Organismen besteht außerdem eine Ausnahme von der GVO-Verordnung. Als nicht GVO-Pflanzen werden sie dann lediglich dem sogenannten DUS-Test unterzogen, der die neuen Sorten auf Unterscheidbarkeit, Uniformität und Stabilität prüft.

Die kontroverse Diskussusion um Gentechnik

Wenn man die neuen Techniken also in Relation zur herkömmlichen Züchtung setzt, ergibt sich durchaus die Frage, woher die Ablehnung gegen genetisch veränderte Pflanzen kommt. Die Skepsis vieler Verbraucher*innen liegt wohl vor allem an der Art und Weise, wie die Diskussion geführt wird. Die Meinungen zur neuen Gentechnik scheinen sich in zwei Lager aufzuspalten und selten Raum für Nuancen zu lassen.

Einerseits fürchten Umweltschützer*innen die negativen Auswirkungen der Zulassung von NGT-Pflanzen auf das Ökosystem. Die Frage, in welchem Ausmaß genetisch veränderte Pflanzen mit ihrer Umwelt interagieren und sie beeinflussen, bedarf weiterer Forschung. Denn es gibt immer noch große Wissenslücken hinsichtlich der Anwendung der neuen Techniken bei Nutzpflanzen, insbesondere aufgrund fehlender Langzeitstudien. Allerdings sind mutierte Pflanzen keine Neuheit auf europäischen oder globalen Äckern und auch durch den Einsatz von Pestiziden und Düngern erfolgen bereits erhebliche Eingriffe in das Ökosystem.

Gleichzeitig äußern Kritiker*innen Zweifel am tatsächlichen Beitrag der genetisch veränderten Pflanzen zur Sicherung und Nachhaltigkeit der Ernährungssysteme. Die Sorge vor Verschärfungen bereits bestehender ökonomischer Ungleichheiten ist groß und viele fürchten, dass die neuen Techniken vor allem den Großkonzernen nutzen. Die Bedeutung einer ökologischen und nachhaltigen Agrarpraxis würde zugunsten der Profitsteigerung vernachlässigt.

Von anderer Seite wird argumentiert, die neuen genetische Verfahren seien verhältnismäßig einfach, schnell und kostengünstig anwendbar. Dadurch würde sich gerade für kleine und mittelständische Betriebe die Konkurrenzfähigkeit erhöhen.. Des Weiteren würde die EU durch ein Festhalten an den strikten GVO-Verordnungen riskieren im ökonomischen Wettstreit zurückzufallen. Bereits jetzt siedeln immer mehr Agrarunternehmen sowie Wissenschaftler*innen in andere Länder mit weniger strikten Regularien wie die USA oder China um.

Mut zum Fortschritt

Die EU-Kommission erhofft sich mit der neuen Gesetzgebung Regularien zu entschärfen, die den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt bisher verlangsamt haben und Innovationen zu fördern, die uns gerade im Kontext globaler Krisen von großem Nutzen sein könnten.

Viele Kritikpunkte scheinen hierbei im Änderungsantrag bereits berücksichtigt worden zu sein. Trotz Lockerungen bedarf es für NGT 1 Pflanzen einer zentralen Anmeldung und Registrierung bei den zuständigen Landesbehörden. Um weiterhin Transparenz zu wahren, wird auch die Kenntlichmachung von NGT-Produkten weiterhin verpflichtend sein. Patente sollen einem Verbot unterliegen, um Landwirt*innen und Züchter*innen vor neuen Abhängigkeiten zu schützen und für die ökologische Landwirtschaft erhalten die genetisch veränderten Pflanzen weiterhin keine Zulassung. Zudem soll eine stetige Bewertung und Kontrolle der neuen Verordnung durch die Kommission erfolgen.

Wie genau die Umsetzung der neuen Gesetzgebung aussehen wird, bleibt jedoch im Hinblick auf die noch anstehenden Verhandlungen mit den Ländern abzuwarten. Wenn es um die Diskussion zu den Lockerungen geht, sollte jedoch auch mit dem Glauben von der bösen Biotechnologie aufgeräumt werden. Schließlich sind es Innovationen wie diese, die die Menschheit seit jeher vorangebracht haben. Es ist möglich diese Meinung zu vertreten, ohne den Einfluss, den sie auf unsere Welt und das empfindliche Ökosystem haben können, zu unterschätzen. Es geht nicht darum blind Innovationen hinterherzujagen, aber gerade im Hinblick auf aktuelle globale Herausforderungen, sollten wir sie als das begreifen, was sie sind: Chancen.

Gleichzeitig ist es wichtig, Verbraucher*innen ausreichend aufzuklären und unbegründete Ängste zu mindern. Denn die „Mutanten“ auf den Feldern werden vielleicht nicht der einzige Weg zur Ernährungssicherung sein, aber sicherlich ein Baustein auf dem Weg dorthin.

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