Diplomatische Krise zwischen Marokko und Deutschland

Funkstille in der Sahara: Zwischen kolonialem Erbe und US-Außenpolitik

, von  Leonhard Pfeiffer

Funkstille in der Sahara: Zwischen kolonialem Erbe und US-Außenpolitik
Wie so viele Auseinandersetzungen der heutigen Zeit lässt sich der Ursprung des Westsaharakonfliktes in der Kolonialzeit finden, genauer gesagt in der Berliner Kongokonferenz 1884. Foto: Unsplash / Eugene Ga / Unsplash Lizenz

Die marokkanische Regierung beendet alle diplomatischen Kontakte zur deutschen Botschaft in Rabat, der Hauptstadt des Königreich Marokkos. Grund dafür ist die deutsche Haltung zum Westsahara-Konflikt. Dieser seit Jahrzehnten ungelöste Streit über den völkerrechtlichen Status des Gebiets ist Ende vergangenen Jahres erneut eskaliert. Was das koloniale Erbe und die US-amerikanische Außenpolitik damit zu tun haben? Eine Analyse.

Mit einem Paukenschlag hat Marokkos Außenminister Nasser Bourita unvermittelt den Kontakt zur deutschen Botschaft Anfang März auf Eis gelegt. Doch nicht nur diese ist betroffen, auch politische Stiftungen, wie die Konrad-Adenauer-, Friedrich-Ebert- und Friedrich-Naumann-Stiftung mit eigenen Büros in Marokko haben keinen Kontakt mehr zur marokkanischen Regierung. Eigentlich sind die Beziehungen „eng, freundschaftlich und spannungsfrei“ – so das Auswärtige Amt noch Ende Februar. Jedoch sieht die Lage doch komplexer aus: Es bestehen vielfältige Kontakte in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

Warum dann dieser plötzliche Umschwung? Im Schreiben des Außenministers ist nur von „tiefgreifenden Differenzen“ die Rede, ein offizielles Statement beider Regierungen ist noch nicht erfolgt. Die Gründe liegen wohl in der deutschen Haltung zum Westsaharakonflikt. Marokko erhebt schon lange Anspruch auf das Territorium der Westsahara südlich des Landes, die dort beheimatete Ethnie der Sahrauis hingegen fordert Unabhängigkeit. Der völkerrechtliche Status ist seit Jahrzehnten umstritten. Die internationale Staatengemeinschaft, darunter Deutschland, fordert ein Referendum, dieses macht aber kaum Fortschritte. Eine Lösung liegt somit immer noch in weiter Ferne. Jetzt mehr denn je.

Der Ursprung liegt im Kolonialismus

Wie so viele Auseinandersetzungen der heutigen Zeit lässt sich der Ursprung des Westsaharakonfliktes in der Kolonialzeit finden, genauer gesagt in der Berliner Kongokonferenz 1884. Dort wurde der afrikanische Kontinent unter den europäischen Großmächten aufgeteilt - aus der Westsahara wurde eine spanische Kolonie. Der Widerstand des dort lebenden Nomadenstamms der Sahrauis blieb letztendlich erfolglos, ebenso die jährlichen Forderungen der Vereinten Nationen, ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten. Spanien behielt bis zum Tod des Diktators Francisco Franco 1975 die Kontrolle über das Gebiet. Francos Tod hätte den Wendepunkt zum Guten für die Sahrauis bedeuten können. Die spanischen Truppen zogen ab, Spanien unterstützte die Forderungen nach einem Referendum und der Gründung eines unabhängigen Staates. Doch es sollte anders kommen: die jeweils im Norden und Süden angrenzenden Nachbarstaaten Marokko und Mauretanien nutzten das Machtvakuum und erhoben Ansprüche auf das Gebiet. Zeitgleich rief die noch unter spanischer Besetzung gegründete Befreiungsbewegung Frente Polisario mit der Demokratischen Arabischen Republik Sahara einen unabhängigen Staat aus. Beantwortet wurde dies von Marokko mit dem „Grünen Marsch“ bei dem 350.000 Marokkaner in die Westsahara einwanderten. Nach dem Rückzug Mauretaniens annektierte Marokko 1979 die gesamte Region, was jedoch von der UN nie anerkannt wurde.

Die Situation ist verfahren

Bis heute wird nach einer diplomatischen Lösung für die Westsahara gesucht. Zwar kühlte der Konflikt mit einem Waffenstillstand zwischen Polisario und Marokko etwas ab, die Beobachtungsmission der Vereinten Nationen MINURSO konnte jedoch keine Einigung für eine Volksabstimmung finden, die den rechtlichen Status klären könnte. Ein Grund hierfür ist auch der „Grüne Marsch“, denn es bleibt unklar welche Einwohner der Westsahara für das Referendum wahlberechtigt sind: nur die Angehörigen der Sahrauis oder auch die inzwischen seit fast 50 Jahren dort lebenden Marokkaner und deren Nachkommen? Während die Völkerrechtler*innen nach einer Lösung für dieses Problem suchen, schafft Marokko Fakten. Ein 2.700km langer Grenzzaun – teilweise vermint – trennt die wertvollen Küstengebiete am Atlantik von einem schmalen Wüstenstreifen im Osten des Landes. Dort und in vier Flüchtlingslagern im benachbarten Algerien leben die Sahrauis nun in einer seit 45 Jahren andauernden Übergangslösung. Viele haben die Hoffnung auf eine Rückkehr inzwischen aufgegeben, über 200.000 der sahrauischen Flüchtlinge leben im Ausland.

Die Ausbeutung der Ressourcen führt wieder zum Krieg

Für Marokko ist die Situation ein lohnendes Geschäft. Die Gegend in der Westsahara ist reich an natürlichen Rohstoffen: Gold, Erdöl und wohl eines der weltweit größten Phosphatvorkommen wird in der Region vermutet. Trotz der dünnen Besiedlung entwickelt sich der Tourismus in der Region zu einem lukrativen Wirtschaftszweig. Doch nicht nur Tourist*innen zieht das heiße Wüstenklima der Westsahara an, auch europäische Unternehmen zeigen im Rahmen der Energiewende großes Interesse an der Erzeugung von Solar- und Windstrom in der Region. Das Projekt „Desertec“, welches in den Wüsten Afrikas grünen Wasserstoff herstellen möchte, wurde von vielen Seiten als großer Wurf beim Ausbau erneuerbarer Energien gelobt. Hauptabnehmer des emissionsfreien Energieträgers wären die EU und ihre Mitgliedsstaaten. Das Vorhaben ist dadurch ein wichtiger Baustein der europäischen Strategie, bis 2050 klimaneutral zu werden. Europäische Politik ist also eng mit Marokkos Vorgehen in der Region verbunden. Letztendlich war es diese Ausbeutung der Region, die im November 2020 den Konflikt wieder aufflammen ließ. Um Transporte über eine illegal errichtete Straße aus der Region zu verhindern errichteten 200 sahrauische Aktivist*innen als friedliche Protestaktion eine Straßenblockade. Aufgrund des dünnen Straßennetzes traf der Protest Marokkos Wirtschaft empfindlich. Die Reaktion war ebenso schnell wie folgenreich: am 13.11.2020 räumte das marokkanische Militär gewaltsam die Blockade. Damit verletzte es das Waffenstillstandsabkommen, woraufhin die Polisario die Kampfhandlungen wiederaufnahm. Nun herrscht wieder Krieg in der Westsahara.

Ein Erbe der US-Außenpolitik

Bestärkt wurde Marokko trotz verbreiteter diplomatischer Verurteilung von den Vereinigten Staaten. Im Dezember 2020 erkannten sie Marokkos Herrschaft über die Westsahara an. Im Gegenzug akzeptierte Marokko als viertes muslimisches Land die Existenz des Staats Israel. Wie so oft in den letzten vier Jahren zeigte sich die US-Außenpolitik eher an erfolgreichen „Deals“ und positiven Schlagzeilen interessiert als an Völkerrecht, internationalen Institutionen oder der komplexen Lage in der Region. Auch die erneute Eskalation der Gewalt in dem Gebiet gehört zum unrühmlichen Erbe Donald Trumps Präsidentschaft. Zu den schärferen Kritikern des Deals gehört auch Deutschland. Als Inhaber des Vorsitzes im UN-Sicherheitsrats legte es besonderen Wert auf eine multilaterale Lösung. Nun folgte der diplomatische Kontaktabbruch. Das ist nicht das erste Mal, das Marokko versucht auf diese Weise Druck auszuüben, bereits 2016 im Streit um ein Fischereiabkommen mit der EU wurden die diplomatischen Kanäle gesperrt – erfolglos. Das Abkommen beinhaltet nicht die vom Königreich geforderten Fischereigründe vor der Westsahara, da auch der EuGH Marokkos Herrschaftsanspruch ablehnte.

Wie kann es weitergehen?

Die Vergangenheit zeigt, dass eine einheitliche Reaktion der europäischen Staaten erfolgen muss, um einer weiteren Zunahme der Gewalt entgegenzuwirken. Eine magische Lösung für den Konflikt gibt es nicht, zu komplex ist die politische Situation, zu viele Interessen sind zu berücksichtigen. Dennoch ist der Verzicht auf Gewalt, die Wahrung von Menschenrechten und ein diplomatisches Vorgehen alternativlos.

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