In kaum einem Jahr könnte die Wählerschaft stärker polarisiert sein, als im Jahr 2022. Mehr als zwei Jahre Pandemie, wirtschaftliche Not, Proteste gegen Polizeigewalt, Russlands Angriff auf die Ukraine und für Frankreich: Die Französische EU-Ratspräsidentschaft.
12 Kandidat*innen haben sich für die Wahlen aufgestellt – wir stellen euch die top 5 vor: Emmanuel Macron, Marine Le Pen, Jean-Luc Mélenchon, Éric Zemmour und Valérie Pécresse. Wo sind die Kandidat*innen politisch zu positionieren? Und was sind die konkreten Ziele der einzelnen Politiker*innen?
Emmanuel Macron
Macron hatte seine Hände voll, doch das hält den 44-Jährigen nicht davon ab, sein Glück ein weiteres Mal zu versuchen. Aufgestellt von der im Jahr 2016 gegründeten Partei “La République en marche” will Macron die Souveränität Frankreichs stärken und das Land durch eine, wie er beschrieb, neue Ära der Krise zu führen. Sein Wahlprogramm ist in der politischen Mitte anzusiedeln, wobei seine Wirtschaftspolitik eher neoliberal und seine Sozialpolitik sozial-demokratisch sind. Der Fokus: mehr Kernreaktoren, größere Investitionen in die Armee und die landwirtschaftliche und industrielle Unabhängigkeit Frankreichs.
Für Frankreichs Wähler*innen jedoch eher kontrovers: Macron will das Rentenalter von 62 auf 65 Jahre heben, die Erbschaftssteuern senken und die öffentlichen Investitionen in grüne Energie und neue Technologien erhöhen. Vor allem Letzteres lässt die Frage offen, ob Dekarbonisierung-Ziele fristgerecht eingehalten werden können. Um die die Programme der Präsidentschaftskandidat*innen in Bezug auf Umwelt und Klima zu bewerten, hat der französische Sender FranceInfo eine Artikelreihe veröffentlicht. Frankreich muss bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um 40 % gesenkt haben, um das Pariser Klimaabkommen einhalten zu können. Um dies zu schaffen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Wirtschaft und Politik Sektor für Sektor verändert werden. Die Kategorien, in welchen die Politiker*innen bewerten werden, sind Transport, Gebäude und Wohnen, Agrikultur, Wald, Industrie, Energie und Abfall. Macron wurde insgesamt als „Fern“ von den Klimazielen eingestuft. Nur sein Energieprogramm könnte dazu beitragen, die Emissionen zu senken und wurde deswegen als den Klimazielen „Nah“ eingeordnet.
Macron war in den letzten Wahlen während seiner Präsidentschaft und ist es jetzt wieder: eine spaltende Figur. Das liegt nicht zuletzt an den 2017 auf den Weg gebrachten unternehmensfreundlichen Arbeitsrechtsreformen, die ihm den Spitznamen “Präsident der Reichen” verschafften sowie an seiner schroffen Persönlichkeit, welche 2018 unter anderem zu den teils gewalttätigen Gelbwesten Demonstrationen gegen die Regierungspolitik geführt habe.
Der jüngste Skandal, auch bekannt als McKinseyGate, empört auf Macrons politischer Linken und Rechten – seine Regierung hat seit 2018 Verträge im Wert von mindestens 2,4 Milliarden Euro mit Beratungsunternehmen unterzeichnet. Dieser Einsatz von Beratungsunternehmen wie McKinsey ist während seiner fünfjährigen Amtszeit sprunghaft angestiegen. Ob er sich trotz dieses Skandals durchsetzen kann wird sich in der Wahl am 10. April zeigen.
Marine Le Pen
Macron’s stärkste Konkurrenz scheint, so wie 2017, die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen zu sein. Es ist nun das dritte Mal, dass Le Pen sich von ihrer Partei der Front National aufstellen lässt. In den aktuellen Umfragen ist Le Pen oft nur 8 Prozent-Punkte hinter Macron zu finden. Le Pen verfolgt zwar nicht mehr das konkrete Ziel die EU verlassen. Eines ihrer Kernthemen bleibt es jedoch die Französische über die Europäische Rechtsordnung zu stellen. Während Europäisches Recht generell Vorrang vor den Konstitutionen der Mitgliedsstaaten hat, möchte die rechtsextreme Kandidatin die Überlegenheit des französischen Verfassungsrechts gesetzlich verankern - eine Problematik, welche jüngst durch die rechtsextreme PiS Partei in Polen zum Gesprächsthema wurde.
Des Weiteren plant sie, ganz im Gegensatz zu Macron, dass Franzosen und Französinnen, die vor dem 24. Lebensjahr mit der Arbeit begonnen haben, im Alter von 60 Jahren in Rente gehen können. Klima und Klimaziele haben in Le Pen’s Programm kaum Platz gefunden. Das Programm Le Pen’s ist „sehr weit“ von dem Erreichen der Klimaziele entfernt. In Bezug auf Energie arbeite ihr Programm sogar gegen die Klimaziele, indem sie die Nutzung von Windturbinen und Photovoltaik-Subventionen vollständig stoppen möchte. Auch Migration ist weiterhin Thema dieser Wahlen: Le Pen möchte die sogenannte nationale Präferenz in der Verfassung verankern. Das würde bedeuten, dass Menschen mit französischer Staatsangehörigkeit Vorteile gegenüber Ausländer*innen vorbehalten wären.
Eric Zemmour
Neben Le Pen hat sich dieses Jahr ein weiterer rechtsextremer Kandidat ins Präsidentschaftsrennen gewagt: Eric Zemmour. Sicherheits- und Migrationspolitik sind die zentralen Themen für den französischen Politiker, Journalisten und Autor. Mit polarisierenden Aussagen und Eier-Attacken schafft es der „French Trump“ regelmäßig in die Schlagzeilen. Erst Anfang dieses Jahres wurde Zemmour, Sohn einer eingewanderten jüdischen Familie aus Algerien, von einem französischen Gericht verurteilt. Er hatte im September 2020 öffentliche Bemerkungen über unbegleitete Minderjährige in Frankreich gemacht. Dies war seine dritte Verurteilung wegen “Rassenhasses” (haine raciale) in zehn Jahren. Auch aus diesem Grund, scheint dem Polemiker langsam der Boden unter den Füßen zu entgleiten, deutet Gilles Paris in einer Kolumne für Le Monde an
Zemmour’s Programm wird geleitet von Islamophobie, Sexismus, Rassismus und Queer-Phobie. So wie Le Pen will auch Zemmour Sozialhilfe für Ausländer*innen zu streichen, um Geld zu sparen. Le Pen, Zemmour und Valérie Pécresse, die Kandidatin für die Republikanische Partei, fordern Frankreich dazu auf, seine Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Außerdem möchte sich Zemmour dafür einsetzen, dass Menschen, die mehr arbeiten, besser bezahlt werden. Er möchte das Rentenalter auf 64 Jahre anheben. Ähnlich wie Le Pen’s Programm scheint auch das von Zemmour “sehr weit” von den Klimazielen entfernt. Zwar möchte er bis 2050 14 neue EPR Kernkraftwerke bauen, doch auch er positioniert sich strikt gegen Photovoltaik- und Windkraftanlagen.
Valérie Pécresse
Moderater als Le Pen und Zemmour, aber auch aus dem Rechten Zentrum, stammt die Kandidatin Valérie Pécresse. Sie gehört zur pro-europäischen Mitte-Rechts-Partei der Republikaner. Auch für Pécresse ist das Thema Immigration und „Überfremdung“ zentral – sie beteuert Macron’s „Versagen“ gegenüber Immigration und Integration. Als „zwei Drittel Merkel und zu einem Drittel Thatcher" bezeichnet Pécresse sich als Feministin, die sich Macron entgegenstellt. Ihr Programm soll „keine Ähnlichkeit mit dem von Macron“ haben.
Doch viele Wähler*innen scheinen verwirrt von ihrem Projekt – sie möchte die staatlichen Ausgaben kürzen und im französischen öffentlichen Dienst knapp 150.000 Stellen streichen. Zusätzlich will Pécresse das staatliche Rentenalter von 62 auf 65 Jahre anheben. Auf der anderen Seite fühlen sich Wähler*innen verschreckt durch ihre xenophob-nationalistischen Aussagen, welche darauf abzielen, auf die „unkontrollierte Einwanderung“ aufmerksam zu machen. Auch Pécresse ist “sehr weit” davon entfernt, mit ihrem Programm die 2030 Klimaziele einhalten zu können. Während ihr Energieprogramm zwar der sogenannten Stratégie Nationale Bas-Carbone (SNBC), der Nationalen Niedrig-Kohlenstoff-Strategie, entspricht, möchte Pécresse als Präsidentin einen Fond in Höhe von 150 Millionen Euro kreieren, um eine Holzbranche in Frankreich entstehen zu lassen. Dies würde wahrscheinlich zu einer Übernutzung des Waldes führen.
Als Pécresse im Dezember 2021 die Parteivorwahl gewann, verzeichnete sie einen Umfrageanstieg, der sie zur ernsthaftesten Kandidatin gegen Macron machte. Seitdem sind jedoch fast 4 Monate verstrichen und Pécresse ist inzwischen 18 Prozent-Punkte hinter dem Spitzenreiter.
Jean-Luc Mélenchon
Der einzige Kandidat aus dem linken Spektrum mit Chancen in die zweite Runde einzuziehen, ist Jean-Luc Mélenchon. Die alleinige Gemeinsamkeit zwischen der rechtsextremen Le Pen und dem linksextremen Mélenchon ist wohl, dass beide zum dritten Mal für das Präsidentenamt kandidieren. Abgesehen davon könnten die Personen und ihre jeweiligen Programme nicht unterschiedlichere Ziele verfolgen.
Der 70-jährige Mélenchon ist seit den 1970er Jahren als Mitglied der Sozialistischen Partei (PS) in der französischen Politik präsent. Sein Flirt mit der PS endete im Jahr 2008. Danach gründete er seine eigene Partei, die „Parti de Gauche“. Mit Blick auf die Wahlen 2017 rief Mélenchon 2016 die Bewegung „La France insoumise“ ins Leben. Ziel dieser Bewegung ist es, eine öffentliche, von den Bürger*innen Frankreichs angeführte Revolution zu lenken. Er fordert eine 6. Republik, spricht sich gegen Oligarchie, die NATO und „Herrschaft des Geldes“ aus . Mélenchon setzt sich für mehr Steuergerechtigkeit ein, kritisiert die EU und die Sparpolitik der Troika und verfolgt das Ziel, die Macht an das Volk zurückzugeben.
Von den 5 Kandidat*innen ist Mélenchon der Einzige, dessen Programm „Nah“ an Frankreichs 2030 Klimaziele herankommt. Er spricht sich gegen Fossile Energien sowie Atomkraft aus und für einen Strommix aus 100 % erneuerbaren Energien bis 2050. Doch: Dieses Ziel ist „mit Unsicherheiten hinsichtlich seiner Durchführbarkeit behaftet“, schreibt FranceInfo. Auch deswegen fehlt es in Mélenchon’s Programm an ausreichend sicheren Maßnahmen hinsichtlich Energie, Abfall und Industrie.
Einen großen Anteil seiner heutigen Popularität hat Mélenchon der französischen Jugend zu verdanken, die er seit 2017 durch den strategischen Einsatz sozialer Medien, insbesondere YouTube, mobilisierte. In Umfragen liegt Mélenchon oft nur 5 Prozentpunkte hinter Marine Le Pen auf Platz drei. Es bleibt jedoch unwahrscheinlich, dass er in die zweite Runde der Wahlen kommt oder Präsident wird und seine ehrgeizigen Pläne verwirklichen kann.
Vielen Umfragen zufolge scheint es fast sicher, dass sich Macron über einer weitere Amtszeit als Präsident freuen kann. Interessant wird trotzdem sein, wer in der zweiten Runde gegen ihn Antritt. Eine weitere Frage wird auch die Wahlbeteiligung darstellen. Le Figaro zufolge ist es möglich, dass sich jede*r vierte Wähler*in der Stimme enthalten wird. Das wäre die zweit niedrigste Wahlbeteiligung seit 1965. Frankreich scheint also im Wahlfieber zu sein, doch nur wenige Französinnen und Franzosen fühlen ihre Stimme gehört – das Symptom eines Trends, welches auch Konsequenzen für die Wahlen 2027 haben könnte.
Kommentare verfolgen: |