Nicole Diekmann (ZDF), Anna-Lena von Hodenberg (HateAid), Ursula Duplantier (Regisseurin und Autorin) und Aline Abboud (Journalistin und Moderatorin) haben darüber im Rahmen des Panels „Feindbild Frau in Europa- wie bekämpft man Hass und Hetze gegen Frauen?“ bei dem EuropaCamp 2022 der Zeit-Stiftung gesprochen. Der Grund: Die steigende gesellschaftliche Akzeptanz von Frauenfeindlichkeit in der Öffentlichkeit, aber auch im Privaten. Sie haben sich sich in dem Panel damit auseinandergesetzt, wo sich das Feindbild Frau in Europa aber auch weltweit zeigt, was sich ändern muss, um davon wegzukommen und wie auf ein gleichberechtigtes Rollenbild hinwirken können.
Frauenfeindlichkeit im deutschen Bundestag
Weibliche Bundestagsabgeordnete erleben Tag für Tag frauenfeindliche Angriffe im Netz - seit dem Einzug der AfD in den Bundestag mit steigender Tendenz aber auch innerhalb des Parlaments. Nach der Bundestagswahl 2017 und dem damit verbundenen Einzug der AfD in das Parlament berichten immer mehr Abgeordnete von Sexismus in den Debatten. Die ehemalige Familienministerin Anne Spiegel stellt dazu fest, Frauen erlebten im Bundestag „sehr unverschämte Angriffe, weil sie Frauen sind“. Einer Studie über Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen aus dem Jahr 2021 zufolge, klagen vier von zehn Politikerinnen über Erfahrungen mit Sexismus im politischen Alltag. Zudem zeigt sich, dass Frauen in ihren Reden häufiger unterbrochen werden als Männer und die Art und Weise der Unterbrechungen und Politikerinnen berichten, dass sie „Zwischenrufe unter der Gürtellinie erlebt“ haben.
Nicole Diekmann beschreibt diese Entwicklung als Gegenbewegung zu 20 Jahren Emanzipation und beobachtet diese nicht nur im deutschen Bundestag oder Europa, sondern weltweit. „Alle Gruppen, die nicht der machtvollen Gruppe angehören, bekommen Widerstand, wenn sie den Kuchen mitbacken wollen.“ Claudia Roth, Grüne Kultusministerin, ergänzt dazu in der Dokumentation „Feindbild Frau” von Ursula Duplantier: „Maskulinisten wollen sich zurückholen, was ihnen eigentlich nicht gehört“.
Was steckt hinter der Frauenfeindlichkeit?
Rechtspopulist*innen und -extrimist*innen machen Sexismus wieder salonfähig. “Das große Problem ist, dass Deutschland, dass Europa ihre Männlichkeit verloren haben. Ich sage: Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken.”, sagte Björn Höcke (AfD) bei einer Rede in Erfurt im Jahr 2015. Doch woher kommt diese aufsteigende Frauenfeindlichkeit? Anna-Lena von Hodenberg erklärt, dass es quasi unmöglich sei, ein rechtsextremes Weltbild zu pflegen, ohne Frauen zu hassen. Dahinter stehen Verschwörungstheorien, wie die des „großen Austausch“.
Die Verschwörungstheorie postuliert die Existenz eines geheimen Plans, weiße Mehrheitsbevölkerungen gegen muslimisch und/oder nicht-weiße Einwander*innen auszutauschen Der Ansatz basiert auf Migrations- und Islamfeindlichkeit und ist Ethnokolletivistisch.
Während der letzten Legislaturperioden wurde dieser „große Austausch“ der Merkel Regierung vorgeworfen und jetzt der neuen Regierung unter Scholz. Ein Teil der Schuld wird aber auch in feministischen Ansätzen gesucht. Nach dem Narrativ der Verschwörungstheoretiker*innen sind Feminist*innen Schuld daran, dass es nur noch so wenige „Deutsche“ gäbe. Von Hodenberg erklärt es damit, „weil die (Feminist*innen) nämlich so wenige Kinder bekommen und selber über ihren Körper bestimmen“. Sie merkt allerdings noch einmal an, dass Narrative wie dieses sich generell in extremistischen Bewegungen finden. Gemein sei ihnen, dass sie auf patriarchal geprägten Systemen basieren, „in denen die Frau objektifiziert wird und eine ganz klare Rolle (…) zur Aufwertung des Mannes hat“.
Welche Rolle spielt Social Media?
In der Verbreitung eines patriarchal geprägten Ansatzes spielen soziale Medien eine wichtige Rolle. Die positiven Aspekte des Internets, wie Barrierefreiheit und die Chance, dass nahezu jede*r über jedes Thema mitreden, Diskussionen führen und sich einbringen kann, bringen aber auch immer mehr Beleidigungen, Hassreden und Shitstorms mit sich. In Bezug auf Politiker*innen zeigt sich dies häufig in gefälschten Zitaten, die mit Politiker*innen in Verbindung gebracht werden sollen und so Shitstorms auslösen. Eine der Politikerinnen, die teilweise aktiv gegen solche vermeintlichen Zitate vorgeht, ist Claudia Roth oder die ehemalige Bundestagsabgeordnete Margarete Bause, die 2018 auf ihrem twitter Account aktiv auf ein Fakezitat aufmerksam machte.
+++ ACHTUNG FAKE +++
Seit letzter Woche kursiert ein Fakezitat von mir im Internet. Die Folge: wüste Beschimpfungen und Drohungen gegen meine Mitarbeiter*innen und mich.
Mehr Infos: https://t.co/CR4yG9ZFmf pic.twitter.com/7mFxUQhXiY— Margarete Bause (@MargareteBause) August 20, 2018
Von Hodenberg ist Gründungsgeschäftsführerin von HateAid, einer Beratungsstelle für Betroffene von digitaler Gewalt, und berichtet, dass zwar die Anzahl von Meldungen bezüglich digitaler Gewalt von Frauen und Männern fast gleich hoch seien, aber die von Frauen gemeldeten Vorfälle viel häufiger strafrechtliche Relevanz haben. Soziale Medien führen durch ihre Algorithmen zu einer Reproduktion von Hass und Sexismus und ermöglichen eine weltweite Vernetzung.
Was kann dagegen gemacht werden?
Auf die Frage, was der nächste Schritt sein muss, um diesen Zustand zu verändern, finden die drei Rednerinnen unterschiedliche, aber sich ergänzende Antworten. Anna-Lena von Hodenberg fordert die Umsetzung von einer feministischen Politik, in allen Bereichen, aber ganz besonders in der Digitalpolitik. Man brauche Daten darüber, wie groß ist das Problem aktuell und wie kann das Strafrecht an diese Situation angepasst werden. Des Weiteren fordert sie, dass in der Ausbildung von Lehrer*innen Digitalkompetenz ein größerer Schwerpunkt wird, wodurch sich automatisch auch mit Themen wie Mobbing im Internet und dann auch der Umgang mit Frauen und Mädchen im Internet intensiver auseinandergesetzt wird.
Nicole Diekmann ergänzt, dass eine reine Etablierung eines Strafrechtsbestandes nicht ausreicht, wenn dieser im Endeffekt nicht durchgesetzt wird und fordert ein höheres Bewusstsein bei Staatsanwält*innen und Polizist*innen zu fördern. Handlungen müssen Konsequenzen haben. Außerdem fordert sie einen Umbau der Plattformen. Diese seien aktuell kein sicherer Ort für marginalisierte Gruppen. Die Verstärkung von Hass durch die Plattformen müsse besser reguliert werden. Letztendlich sei der entscheidende Aspekt aber zu definieren, was normal ist. Sie fordert das Wegkommen von einem derzeitigen toxischen Männlichkeitsbild und hin zu gerechten Rollenbildern.
Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer dafür, dass Hass und Seximus im Internet nicht folgenlos bleibt! Nachdem 2019 das Landgericht in Berlin feststellte, dass sexistische Beleidigungen gegen die Grünen Politikerin Renate Künast von der Meinungsfreiheit gedeckt seien und die Politikerin diese „überspitzte Kritik“ auszuhalten habe, führte sie zusammen mit HateAid einen Grundsatzprozess gegen Facebook. Dieser führte dazu, dass im April 2022 ein Urteil bestätigte, dass „die beleidigenden Äußerungen gegen die Grünen-Politikerin (...) eben doch nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt [seien], weil sie die Politikerin in ihren Persönlichkeitsrechten verletzen."
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