Historische weibliche Figuren Europas im Portrait

European HerStory: Ágnes Heller

, von  Christian Gibbons, übersetzt von Jagoda Pokryszka

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European HerStory: Ágnes Heller
Ágnes Heller auf der Göteborger Büchermesse 2015. Foto: Arild Vågen (CC BY-SA 4.0) / Bearbeitung: Anja Meunier für treffpunkteuropa.de

Geschichte setzt sich nicht nur aus Fakten zusammen, sondern zeichnet sich auch durch die Art und Weise, wie wir sie festhalten und sie interpretieren aus. An was wir uns erinnern, ist geprägt von unserem gesellschaftlich konstruierten Verständnis der Welt, wie sie damals gewesen sein soll und wie wir sie heute kennen.

Da die weibliche Geschichte unseres Kontinents unter dem Gewicht andauernder patriarchalischer Strukturen oft zu kurz kommt, werden die Beiträge von Frauen in Wissenschaft, Kunst, Politik und darüber hinaus bestenfalls überschattet oder sogar vergessen.

Der folgende Artikel ist Teil unseres Features „European HerStory“, in dem wir inspirierende Geschichten von Frauen präsentieren, die einen Beitrag zu Europa geleistet haben.

Wir hoffen, mit diesem Feature dazu beizutragen, das Ungleichgewicht, das sich aus unserem kollektiven Prisma der Geschichte ergibt, auszugleichen und uns und unsere Leser*innen über weibliche Errungenschaften und Innovationen zu informieren.

Die vollständige Präsentation des Features gibt es hier zu lesen.

Agnes Heller war eine ungarische Philosophin. Als sie 15 Jahre alt war kam ihr Vater in Auschwitz ums Leben, der selbst Anderen auf der Flucht aus dem besetzten Ungarn geholfen hatte. Die darauffolgenden Monate waren fürchterlich und vom Gedanken des unmittelbar bevorstehenden Todes überschattet. Der kam aber nicht – dennoch hinterließ diese Erfahrung ihre Spuren. Heller verbrachte ihr ganzes Leben damit, die Tragödien des 20. Jahrhunderts zu verstehen.

Sie überlebte nicht nur den Holocaust, sondern auch die sowjetische Machtübernahme in Ungarn. Sie entschied sich gegen die Auswanderung nach Palästina, obwohl sie zu Beginn eine Zionistin war, und begann das Studium an der Universität in Budapest. Schnell verfiel sie den Ideen des umstrittenen György Lukacs, einem ungarischen Philosophen und Literaturwissenschaftler. Sie wurde eine überzeugte Marxistin, aber, wie sie selbst betonte, eine Gegnerin des ungarischen Kommunismus. Nach der brutalen Unterdrückung des Aufstands 1956, änderte sie ihre Einstellung und bemerkte die Notwendigkeit eines humanistischen Marxismus. Aufgrund ihrer Teilnahme an der Revolution verlor sie ihre Stelle an der Universität, wurde aus der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei ausgeschlossen und bekam das Forschungsverbot bis in die 1960er-Jahre. Zu diesem Zeitpunkt intensivierte sie die Arbeit mit dem Philosophen Lukacs und anderen Philosoph*innen (u.a. ihrem späteren Ehemann, Ferenc Feher), die ihr Interesse an dem reformierten Sozialismus teilten.

Die Gruppe gründete die Budapester Schule, bestehend aus intellektuellen Dissident*innen. Die Mitglieder wurden weiterhin verfolgt, sodass Heller und ihr Mann 1977 schlussendlich nach Australien und in weiterer Folge in die USA auswandern mussten. Damals hatte Agnes Heller den Glauben an den Marxismus-Leninismus bereits vollkommen verloren, interessierte sich aber weiter für die Fragen der Politik, Ethik und Geschichte. Sie sprach sich immer im Sinne der Unabhängigkeit und Freiheit gegen die gefährlichen, intoleranten Regime auf der ganzen Welt aus, auch gegen die Fidesz-Regierung in Ungarn, an dessen Spitze heute der ungarische Ministerpräsident und Parteivorsitzender Viktor Orbán steht.

Agnes Heller verstarb 2019 in Ungarn. Zu ihren wichtigsten Werken zählen: „Theorie der Gefühle“, „Der Mensch der Renaissance“, „Der Affe auf dem Fahrrad. Eine Lebensgeschichte“ und „Paradox Europa“.

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