Kommentar

Europas Flüchtlingspolitik vor einer immer größer werdenden Herausforderung

, von  David Vilentchik

Europas Flüchtlingspolitik vor einer immer größer werdenden Herausforderung

Italien - ein weiteres europäisches Land auf rechtspopulistischem Kurs - stellt die aktuelle Flüchtlingspolitik infrage. Währenddessen nimmt Spanien die Rolle des proeuropäischen Partners ein. Zur gleichen Zeit befindet sich Deutschland mitten im Streit über die Flüchtlingsfrage. Europa steht somit erneut am Scheideweg.

Seitdem am 1. Juni 2018 der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella die neue Regierung von Giuseppe Conte vereidigt hat, ergreifen die Koalitionäre Movimento 5 Stelle (M5S) und Lega Nord Maßnahmen, die die Europäische Union eher besorgen dürfte. Zunächst versuchte Mattarella, die Regierungsbildung zu verhindern, weil er mit den Ernennungen der Minister nicht einverstanden war. Letztendlich konnten sich die rechtsnationale Lega Nord, die eurokritische M5S und Mattarella einigen. Neben Polen, Ungarn, Tschechien, Österreich ist nun auch Italien auf den rechten Kurs gekommen. Für den europäischen Geist der Humanität ist dies keine gute Nachricht, und dies dürfte sich sehr bald begreifbar machen.

Ein einprägsames Ereignis war die plötzliche Schließung der italienischen Häfen nur zehn Tage nach der Kabinettsbildung. Folglich durfte das Schiff „Aquarius“ mit 629 Geflüchteten, darunter 123 unbegleitete Minderjährige, elf kleine Kinder und sieben Schwangere, bei einer Kapazität von 200 bis 550 Menschen, nicht anlegen. Die Entscheidung des italienischen Innenministers Matteo Salvini war radikal und eine klare Absage an die Europäische Union. Für die Geretteten bedeutete dies, dass sie woanders das Schiff verlassen mussten. Die Vorräte waren nur auf bis zu zwei Tagen beschränkt. Die Situation für die Geflüchteten drohte, sich zu verschlechtern. Als die italienische Regierung dem Inselstaat Malta die Verantwortung aufdrücken wollte, reagierte Malta gleich, man sei für das auf dem Mittelmeer verweilende Schiff „Aquarius“ nicht zuständig - und das in einer brenzligen Lage, in der die Geflüchteten so schnell wie möglich Hilfe brauchten. Italien und Malta behindern nach wie vor die Arbeit der Seenotrettenden von SOS Méditerranée. Zeitgleich verabschiedet Viktor Orbán ein Gesetz, dass die „illegale“ Flüchtlingshilfe unter Strafe stellt. Eine besorgniserregende Entwicklung, die gegen moralische Grundprinzipien spricht.

Spanien übernimmt Verantwortung

Am selben Tag, an dem Mattarella die italienischen Regierung vereidigte, wählte das spanische Parlament den Ministerpräsidenten Mariano Rajoy ab. Bei einem Misstrauensvotum wegen der sogenannten Gürtel-Affäre, ein Korruptionsfall und Parteispendenskandal, stimmten 180 von 350 Abgeordneten gegen den 63-Jährigen. Daraufhin besetzte Pedro Sánchez, ein proeuropäischer Sozialist, den Ministerposten und versprach Besserung für die katalanischen Mitbürger.

Schon bald musste sich der neue Ministerpräsident der Angelegenheit auf dem Mittelmeer annehmen. Nachdem Italien und Malta jede Kooperation versagt hatten, entschied sich Sánchez, die Geflüchteten, die sich zu dem Zeitpunkt noch zwischen Sizilien und Malta befanden, in Valencia zu empfangen. Das geschah nur sechs Tage später. Eine solidarische Entscheidung: Anders wäre es für einen Sozialisten fatal gewesen. Während Italien immer weiter nach rechts rückt, übernimmt Spanien Verantwortung und öffnet die Arme für die Geflüchteten. Die sind zwei konträre Entwicklungen im Süden Europas. Hätte Spanien die Hilfe nicht angeboten, so wäre eine Katastrophe eingeläutet worden. Dies wusste Sanchéz zu verhindern. Jedoch kann er nicht alle von Italien und Malta abgelehnte Geflüchtete aufnahmen, denn auch Spanien hat mit Migrationsströmen zu kämpfen, gerade in den Exklaven Mellila und Ceuta in Marokko sowie auf der Straße von Gibraltar. Die Exklaven sind von hohen Mauern mit Stacheldraht umschlossen, so dass Geflüchtete kaum Chancen haben, das Gebiet zu betreten. Dies zwingt sie wiederum, über das Mittelmeer auf europäischen Boden zu kommen. Das spielt vor allen Dingen den Schleppern die Karten zu, obwohl die EU die Kette durchbrechen möchte.

Nationaler Egoismus als Hindernis für europäische Asylpolitik

Europa steht erneut am Scheideweg. Auf dem Migrationsgipfel am 24. Juni 2018 sollte debattiert werden, wie eine effektive Flüchtlingspolitik aussehen könnte. Nach wie vor sind Italien, Spanien und Griechenland mit der hohen Zahl an Geflüchteten überfordert und benötigen dringend Unterstützung von den Mitgliedstaaten. Die Dublin-Regelungen, wonach Geflüchtete im ersten EU-Mitgliedstaat, in dem sie ankommen, Asyl beantragen müssen, müssen hinterfragt werden und durch neue Konzepte ersetzt werden. Die Idee der Bundeskanzlerin, die sich zurzeit im Streit mit der CSU befindet, eine Verteilung der Geflüchteten anzustreben, ist daher richtig und wichtig. Ein Hindernis ist hierbei der nationale Egoismus einzelner Staaten. Abschotten und Wegsehen bringt weder den europäischen Mitgliedstaaten noch die Geflüchteten weiter. An einer europäischen Lösung hängen tausende Menschenleben daran, deren Schutz das höchste Gut sein muss. Wird die Uneinigkeit in Europa nicht überwunden, so ist auch die europäische Idee existenziell bedroht.

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