Europäische Urwahlen: Ein Vorstoß zur Demokratisierung der EU?

, von  Michael Bloss, Theresa Kalmer

Europäische Urwahlen: Ein Vorstoß zur Demokratisierung der EU?
Foto: © Grüne.de/2013

Die Europawahlen stehen vor der Tür und die Wahlbeteiligung droht auf ein Rekordtief zu sinken. Um dem entgegen zu treten, haben sich die Europäischen Parteien darauf geeinigt, paneuropäische Spitzenkandidat*innen für die Wahl aufzustellen. Diese sollen die EU greifbarer machen. Die Grünen veranstalten zusätzlich für die Wahl ihrer Spitzenkandidat*innen Europäische Urwahlen, angelehnt an die Primaries in den USA.

Gerade einmal 43 Prozent der Wahlberechtigten gaben bei der letzten Europawahl 2004 ihre Stimme ab. Die Zahl ist erschreckend niedrig. Im Vergleich dazu lag die Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl bei 71,5 Prozent. Was sagt diese Zahl über den Zustand der Europäischen Demokratie und der Europäischen Öffentlichkeit aus? Die EU spielt in der Lebensrealität vieler Menschen keine Rolle. Sie scheint zu weit weg. Die Bürger*innen haben den Eindruck, sowieso nichts bewegen zu können. Zudem wird der Einfluss und das Gewicht der EU-Politik stark verkannt, da diese immer noch von nationalen Debatten überlagert wird.

Dabei werden schon heute eine Vielzahl an Gesetzen, die uns betreffen, auf europäischer Ebene beschlossen. Viele dieser Entscheidungen werden aber nicht transparent getroffen.Für die EU-Bürger*innen ist es zudem schwierig, direkt Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Die Kompetenzen der EU erweitern sich aber stetig, sodass die europäischen Akteur*innen immer mehr Einfluss auf die nationale Politik haben. Diese enorme Diskrepanz zwischen realem Einfluss und diskursiver Bedeutungslosigkeit der EU muss dringend überwunden werden, um das Europäische Projekt nicht zu gefährden. Das muss sich ändern. Aber wie?

Die Chancen des Internets für mehr Beteiligung

Für die Europawahl im Mai 2014 wollen alle Europäischen Parteien Spitzenkandidat*innen, aufstellen. Diese sollen die Positionen der Parteien in europäischen Debatten repräsentieren. Als Bonbon darf die Partei mit den meisten Parlamentssitzen nach der Wahl ihre*n Spitzenkandidat*in zum Kommissionspräsidenten küren. (Letzter Absatz dieses Artikels: http://www.euractiv.de/europawahlen-2014-000394/artikel/martin-schulz-in-den-startloechern-008209)

Die Kandidat*innen sollen dem so weit entfernten Brüssel Gesicht und Charakter verleihen. Trotz Kritik an der Personalisierung von Politik ist dies ein Instrument, welcher der Forderung nach mehr Bürgernähe gerecht werden möchte. Ähnlich wie die Pan-Europäischen Listen bietet die Spitzenkandidaturen die Möglichkeit, europäische Themen supranational zu behandeln. So könnten medienwirksame Debatten der Europäischen Spitzenkandidat*inneen eine öffentliche Diskussion in Europa über die Ziele und die Richtung der gemeinsamen Union produzieren. Ein Schritt in die richtige Richtung, um eine europäische Öffentlichkeit zu erzeugen.

Gerade das Internet schafft neue Beteiligungsmöglichkeiten, welche die EU unbedingt für sich nutzen sollte. Wie das gehen kann, zeigen die Schweiz und Estland. In beiden Staaten konnten die Menschen bei den Kommunalwahlen online abstimmen. Die Grünen wagen jetzt ein ähnliches Experiment. Sie wollen ihre Spitzenkandidate per Online-Urwahl, der „Green Primary“ festlegen. Es ist vor allen Dingen ein Experiment, das zum Mitmachen aufrufen und die gemeinsame europäische Debattenkultur stärken soll.

Die Grüne Urwahl #GreenPrimary

Bei der Wahl soll ein Spitzenteam bestehenden aus zwei Personen gewählt werden. Das Besondere: Über das Spitzen-Duo dürfen nicht nur Grüne Parteimitglieder auf www.greenprimary.eu abstimmen, sondern alle EU-Bürger*innen ab 16 Jahre. Damit setzen die Grünen ihre Forderung nach einer Senkung des Wahlalters und nach einer Reform des Wahlrechts im Kleinen um.

Eine weibliche Kandidatin muss auf jeden Fall nominiert werden. Außerdem müssen die Spitzenkandidat*innen aus unterschiedlichen Ländern stammen. Insgesamt vier Personen stehen zur Auswahl: Ska Keller, Abgeordnete des Europaparlaments und Flüchtlingsaktivistin, die Föderalistin Monica Frassoni, Co-Vorsitzenden der Europäischen Grünen Partei, die Deutsche Co-Sprecherin der Grünen Europafraktion und Atomkraftgegnerin Rebecca Harms, sowie José Bouve, Europaparlamentarier aus Frankreich. Er setzt sich gegen Gen-Food ein.

Zwischen den Kontrahent*innen sind in den nächsten drei Monaten regelmäßig Offline- und Online-Debatten geplant. Diese werden auch im Internet übertragen, damit jeder sich umfassend über die Kandidat*innen informieren kann.

Pro & Contra der Primary

Das Vorhaben der Grünen stößt nicht nur auf Zustimmung. Es wird beklagt, dass es noch keine technischen Systeme gäbe, die eine vollständig sichere Onlinewahl garantieren könnten. Zudem wäre nicht ausgeschlossen, dass Teilnehmer*innen mehrmals abstimmen oder unter 16 Jahre sind.

Zwei Gründe sprechen jedoch gewichtig dafür, warum es neue Beteiligungsmöglichkeiten für die EU braucht, um die Europa-Lethargie zu bekämpfen: Zum einen hat die Union viele Kompetenzen übernommen. Deswegen muss sie stärker von den Menschen überwacht werden, damit sie ihre demokratische Legitimation behält. Zum anderen kann eine solche demokratische Kontrolle der EU langfristig nur gelingen, wenn sich eine europäische Debattenkultur entwickelt. Beide Notwendigkeiten werden von den Neuerungen bei den Europawahlen erfüllt. Jetzt liegt es an uns, die neuen Instrumente zu nutzen und Europa zu bauen. Wir können über die Zukunft Europas mitentscheiden - wenn wir mitmachen und uns beteiligen!

Vote @ http://greenprimary.eu/

Mehr Informationen gibt es unter: http://greenprimary.europeangreens.eu/primary-process http://www.youtube.com/watch?v=e1NBkM01Oe0 https://www.facebook.com/federationofyoungeuropeangreens http://www.gruene-jugend.de/green-primary

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