Rijeka ist die drittgrößte Stadt Kroatiens und liegt an der Kvarner-Bucht am Adriatischen Meer. Die Stadt, deren Name auf deutsch übersetzt „Fluss“ heißt, steht mit ihrer Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt repräsentativ für die Bevölkerung des Landes. In Zeiten der Wirtschaftskrise 2009-2015 befanden sich die Werften an den Küsten Kroatiens im Umbruch. Durch die Umstrukturierungs- und Neuorganisationsphase an den Häfen Kroatiens fielen viele Arbeitsplätze weg und die Arbeitslosenquote stieg. Seit 2016 geht die Arbeitslosigkeit durch den zunehmenden Tourismus wieder zurück. Und auch Rijeka, die als ehemalige sozialistische Stadt Jugoslawiens vor allem durch ihre Industrie glänzte, löst sich mehr und mehr von ihrer industriellen Vergangenheit.
Europäische Vielfalt
Die Kommission rund um Rijeka 2020, die größte Hafenstadt des Landes mit etwa 200 000 Einwohner*innen, beschreibt sich als „einen Ort für dynamisches Leben, ein Symbol für libertären Geist und progressive Ideen, und eine Stadt die jede*n willkommen heißt“. Eine perfekte Grundvoraussetzung für den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt, der von der Europäischen Kommission vergeben wird und für das Hervorheben vom „Reichtum und [der] Vielfalt der Kulturen in Europa“ wirbt.
Mit einem Budget von 30 Millionen Euro, unterstützt von EU-Geldern, bereitete man sich auf eine große Anzahl an Events im kulturellen und künstlerischen Bereich vor. Das Kulturprogramm baut auf drei Themen auf, die sich mit der Identität Rijekas auseinandersetzen: Wasser, Arbeit und Migration. Wasser ist in der Stadt allumgebend: Rijeka liegt an einem Fluss und am Adriatischen Meer und ist stark von ihrer Geschichte als industrielle Werftstadt geprägt. Jetzt bedeutet Wasser und Meer für Rijeka vor allem Tourismus und die Frage nach nachhaltigem Lebensstil und Erhaltung der Biodiversität. Mit dem Thema „Arbeit“ befasst sich die Kommission Rijekas 2020 mit neuen Arbeitsmodellen und der technologischen Zukunft in Rijeka. Migration spielt eine große Rolle im europäischen Raum und auch Rijeka ist eine Stadt, die von Migration geprägt ist. Rijeka 2020 durchleuchtet das Thema mit anregenden Fragen rund um Toleranz und Akzeptanz gegenüber „anderer und unterschiedlicher Menschen“.
Mit 250 kulturellen Institutionen und Organisationen aus Kroatien, 40 europäischen und etlichen internationalen Ländern sollte Kulturaustausch auf kroatischem Boden gefeiert werden. Sollte. Denn scrollt man jetzt auf der offiziellen Seite Rijeka 2020 im Kalender sieht man nur abgesagte Veranstaltungen mit dem Hinweis: POSTPONED.
Programmpunkt: Corona
Konzerte finden nicht statt, Theaterstücke sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Mit verändertem Programm versucht man, nicht gänzlich alles ausfallen lassen zu müssen. So stehen stattdessen nun Autokino und zwei neue Ausstellungen im Croatian Cultural Centre und im Museum of Modern and Contemporary Art auf dem Programm. Unter den Namen „Neizvjesna izložba/The Uncertain Exhibition” und „COVID19“ werden die aktuelle Situation und die neuen Lebensumstände unter dem Virus beschrieben. Mit Buchclubs via Zoom für die Erwachsenen und einem virtuellen Puppen-Theater für Kinder versuchen die Veranstalter*innen, das Programm nicht komplett streichen zu müssen. Dazu sind in der Stadt überraschende Show-Einlagen verteilt, die unter den Corona-Verordnungen genug Abstand zu den Zuschauer*innen gewährleisten.
Es ist schade, dass der Sommer hier in Rijeka nun von Corona Meldungen statt von Berichten über atemberaubende Shows und fantastische Künstler*innen, überschattet wird. Irena Kregar Šegota, die Direktorin der Rijeka Kommission 2020, berichtet, dass vor allem auf italienische Besucher*innen gesetzt wurde. Aufgrund der hohen Infektionszahlen in Italien und den restriktiven Beschränkungsmaßnahmen der italienischen Regierung fielen die Besuche der italienischen Tourist*innen weg. Die höchste Besucher*innenzahl konnte am 1. Februar festgestellt werden, als ca. 30 000 Menschen zur Eröffnungsfeier nach Rijeka kamen. Bis Ende Februar waren es 90 000 Besucher und Besucherinnen, die an etlichen Events teilnahmen. Danach brachen die Besucher*innenströme abrupt ab. Irena erzählt, dass „niemand glücklich darüber ist, dass eine Epidemie unsere Pläne ruiniert hat.“ Andererseits ist besser, damit umzugehen, wenn man sich die Geschehnisse auf der Welt ansieht und andere Großveranstaltungen, wie zum Beispiel die Olympischen Spiele, ebenfalls abgesagt wurden. Unter diesen Umständen, glaubt sie, verstehen die Bürger*innen Rijekas, dass die Dinge dieses Jahr eben nicht so sind, wie man erwartet hatte. Man kann und sollte aber das Beste aus der Situation machen.
Positive Resonanz
Trotz aller Umstände wird die Vergabe des Titels „Europäische Kulturhauptstadt 2020“ für Rijeka als Gewinn betrachtet. Der Bevölkerung wurde ein neues Kulturprogramm ermöglicht, das auch nach 2020 noch Wellen schlagen wird. Die Kulturszene in Rijeka profitiert langfristig von den Mühen, die man in die Vorbereitungen steckte. So wird durch das neue Augenmerk, das auf die „cultural industry“ gelegt wurde, auch das kroatische Publikum mehr für kulturelle Veranstaltungen sensibilisiert und einbezogen.
Neben allen verpassten Veranstaltungen gingen die Bauarbeiten in der Stadt trotzdem weiter. In einem vorherigen Industriebau entsteht momentan das „cultural quarter“ mithilfe der europäischen Unterstützungsgelder; ein Bau-Projekt, das auch nach Ende des Kulturhauptstadt-Jahres eine wichtige Funktion für das Leben in Rijeka haben wird. Das Rijeka-Stadtmuseum findet ein neues, modernes Zuhause in einer alten Zuckerfabrik und ein „Kinder-Haus“, das ab sofort auch Kindern kulturellen Zugang ermöglichen möchte, ist bald fertig. Ein weiteres besonderes Bau-Projekt, das durch die Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas 2020 möglich wurde, ist das Schiff „Galeb“ im Hafen Rijekas, das zu einem Museum umgebaut wird. Das Schiff wurde von Josip Broz Tito, dem kontrovers diskutierten Präsidenten des damaligen Jugoslawiens, als private Yacht verwendet. Es soll an diese Epoche der Geschichte und die „Bewegung der Blockfreien Staaten“ erinnern und sie kritisch aufarbeiten.
Die internationale Aufmerksamkeit, die man sich durch die Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2020 erhofft hatte, ging unter den Auswirkungen, die das Corona-Virus mit sich zog, unter. Für die Stadt Rijeka sowie für das Land Kroatien wäre das Projekt eine tolle Möglichkeit gewesen, kroatische Künstler*innen vorzustellen und die Stadt/das Land von einer neuen Seite, fernab des Bade-Tourismus, wahrzunehmen. Das Fazit ist trotzdem positiv: Irena erzählt, sie schaue mit Zuversicht auf die kommenden Monate und empfinde die baulichen Veränderungen schon jetzt als eine großartige Bereicherung für die Stadt. Die Verbindung zu Galway als zweite Europäische Kulturhauptstadt 2020 ist seit der Ernennung 2016 sehr eng. Irena beschreibt, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Städten bis heute sehr gut funktioniert.
Den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ trägt man nicht nur für ein Jahr. Die Früchte der Mühen, die in die Projekte gesteckt wurden, wird man noch lange ernten können. Und so wird trotz Virus, vielleicht sogar erst wegen des Virus, Rijekas Kulturszene eine ganz besondere sein.
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