Beitrag zum EUD-Bürgerdialog „Europas Rolle in der Welt: Die EU-Außenpolitik im Lichte der US-Wahl” vom 05.11.2020

Europa Inside-Out

Möglichkeiten europäischer Interessenvertretung

, von  Nele Aulbert, Timon Satzky

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Brüssel. Europäischer Rat. David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments; Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission. Foto: 15.10.2020. ©European Union/©Philippe Samyn and Partners architects and engineers - lead and design Partner Studio Valle Progettazioni architects Buro Happold engineers/©Colour compositions by Georges Meurant

Die US-Wahlen des 03. November 2020 hielten nicht nur die USA in Atem. Das Wahlergebnis ist von globalem Interesse, es steht mehr auf dem Spiel, als die US-amerikanische Zukunft. Diese Zeit bietet der EU eine Chance, sich neu zu orientieren. Eine Analyse über internationale Verantwortung, Werte, und die zukünftige Souveränität der Europäischen Union in einer sich wandelnden internationalen Ordnung.

Joe Biden wird laut US-Medien neuer Präsident der USA. Viele europäische Politiker*innen reagieren erleichtert, Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert zum Wahlsieg und stellt klar:

„Amerika bleibt unser wichtigster Partner. Aber es erwartet von uns - und das zu Recht - stärkere Anstrengungen, um für unsere Sicherheit zu sorgen und für unsere Überzeugungen in der Welt einzutreten.“

In anderen Worten: Die EU müsse selbstständiger werden. Denn auch wenn sich von Joe Biden eine Verbesserung der Beziehungen zur EU erhofft wird, werden die USA in nächster Zeit mit innenpolitischen Debatten beschäftigt sein. Es gilt, das Land wieder zu vereinen und neu auszurichten. Das bestätigte auch Pamela Preusche, europäische Korrespondentin im Auswärtigen Amt:

„Die transatlantische Partnerschaft bleibt wichtig, bleibt zentral für uns. […] Es ist derzeit zu erwarten, dass die Amerikaner auch erstmal mit innenpolitischen Problemen beschäftigt sind. Für uns ist [diese Zeit] aber auch eine Chance, dass wir uns organisieren können und auch mit Angeboten auf eine [US-amerikanische] Administration zugehen können, zu sagen: Das stellen wir uns vor.“

In einem weiteren Online-Bürgerdialog der Bürgerinitiative Europa-Union Deutschland diskutierte Pamela Preusche zusammen mit Dr. Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik die EU-Außenpolitik im Lichte der US-Wahl. Auch eine Umfrage im Publikum des Online-Bürgerdialogs zeigte deutlich: Man wünscht sich, dass die EU präsenter, wie Preusche sagt, „handlungsfähiger“ auf globaler Ebene wird.



Umfrage unter den Teilnehmenden des EUD-Bürgerdialog am 05.11.2020. Foto: zur Verfügung gestellt von der Europa-Union Deutschland.


Doch welche Möglichkeiten bieten sich der EU? Welche Schritte müssen sowohl innen- als auch außenpolitisch geleistet werden, um die Souveränität der Union in einem multilateralen System auszubauen? Und inwiefern muss die europäische Rolle in der Welt neu definiert werden?

In kleinen Schritten zur gemeinsamen Stimme

In Form von Zuständigkeiten, Hohen Vertreter*innen, und internen Abstimmungsverfahren, sind die notwendigen Schritte schon seit mehreren Jahren bekannt. Durch immer wiederkehrende Debatten ist die aktuelle Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) in einem langjährigen Prozess entstanden, der seinen Ursprung in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit von 1970 (EPZ) hat. Formal gesehen ist eine gemeinsame Außenpolitik der EU-Mitgliedstaaten jedoch erst durch den Vertrag von Maastricht von 1992 und der Gründung der Europäischen Union als eigenständiges Rechtssubjekt möglich geworden. Im Jahre 1999 ist zudem der Posten des Hohen Vertreters der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) entstanden, der seitdem die Beschlüsse der GASP umsetzt und kontrolliert, und für eine gemeinsam koordinierte europäische Diplomatie zuständig ist.

Passerelle-Klausel und Einstimmigkeit

Im Laufe der Debatte um eine stärkere europäische Verantwortung in der Welt wird häufig der Zwang zur Einstimmigkeit in außenpolitischen Entscheidungen herangezogen, der eine gemeinsame Position aller 27 Mitgliedstaaten voraussetzt. Verantwortlich dafür ist der Art. 31 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), der als Ausgangspunkt für die Umsetzung der GASP gesehen wird. Er regelt die benötigten Mehrheiten, Vetorechte, und weitere Beschlussmöglichkeiten der Mitgliedstaaten der EU. Konkret gesagt, hat die EU die Möglichkeit sogenannte Beschlüsse und internationale Verträge zu nutzen, um die Ziele der GASP umzusetzen.

Tatsächlich werden diese Beschlüsse meist einstimmig gefasst. Doch der Artikel lässt eine Möglichkeit offen, Beschlüsse mit einer qualifizierten Mehrheit, also nicht einstimmig, fällen zu können. Nämlich dann, wenn der Europäische Rat oder der Rat der Außenminister*innen diese Möglichkeit zuvor explizit und einstimmig erlassen hat. Diese Methode, auch Passerelle-Klausel genannt, ist durch Art.48(7) integraler Bestandteil des EU-Handlungsspielraums. Ausdrücklich nicht anwendbar ist diese Klausel bei Beschlüssen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen.

Diese ausdrückliche Ausnahme wird häufig kritisiert. Denn Blockaden einzelner Mitgliedstaaten sind in außenpolitischen Entscheidungen nicht unüblich. So hat etwa Zypern lange Zeit die Sanktionen gegen Belarus blockiert und die Blockade als Druckmittel benutzt, um gleichermaßen Sanktionen gegen die Türkei durchzusetzen, obwohl die beiden Konflikte thematisch wenig miteinander zu tun haben. Dieses Vorgehen hat zu einer Verzögerung der EU-Reaktionen bezüglich Belarus beigetragen. Befürworter der Einstimmigkeit sehen jedoch die Notwendigkeit, auf alle Interessen der Mitgliedstaaten einzugehen, und nur geschlossen Position zu beziehen. Eine Aufhebung der Einstimmigkeit in außenpolitischen Angelegenheiten würde die Einheit der EU auf lange Sicht nur verschlechtern.

Standards exportieren

Eine weitere Möglichkeit europäische Außenpolitik gemeinsam zu gestalten bietet die Unterzeichnung völkerrechtlicher Verträge. Seit dem Vertrag von Lissabon (Art.37) hat die EU die Möglichkeit „Übereinkünfte mit einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen [zu] schließen“. Hierfür bekommt die EU-Kommission ein Mandat des Europäischen Rates, um beispielsweise ein Handelsabkommen abzuschließen. Die EU-Kommission ist somit federführend für die Verhandlungen verantwortlich. Obwohl seitens der EU betont wird, wie wichtig die Durchsetzung Europäischer Standards ist, brachten einige Freihandelsabkommen die Öffentlichkeit auf die Straßen, die in diesen Abkommen unter anderem eine Bedrohung für den europäischen Verbraucher- und Umweltschutz sahen.



Einige Parteien und Organisationen befürchten durch Freihandelsabkommen eine Abnahme europäischer Umwelt- und Verbrauchschutzstandards. - 30.09.2015. Foto: Flickr/Mehr Demokratie/Lizenz


Doch gemeinsame Standards, die europäische Werte verkörpern, können auch ohne Handelsabkommen internationale Tragweite erlangen. Hier ist vor allem die Stärke des europäischen Binnenmarktes für ausländische Firmen nicht zu unterschätzen. Wie Frau Dr. Bendiek der SWP im Rahmen des Bürgerdialogs betonte, haben vergangene Regulierungen bewiesen, dass sie eine gute Möglichkeit darstellen, europäische Standards weltweit zu etablieren. Besonders erfolgreich war dies in den Bereichen Datenschutz und Cybersicherheit. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) von 2018 wurde zum weltweiten Vorbild für neue gesetzliche Regelungen und förderte Verbesserungen beim Datenschutz von privaten Unternehmen wie Facebook und Google.

Eine wertegeleitete Handels- und Wirtschaftspolitik der EU kann so, wenn auch indirekt, zu einer Aufwertung der gemeinsamen Außenpolitik und einem stärkeren Einfluss der EU in der Welt beitragen. Doch insbesondere bei wirtschaftlichen und energiepolitischen Angelegenheiten spielen nationale Interessen noch immer eine große Rolle, wie erst kürzlich die unterschiedlichen Reaktionen auf die in Bau befindliche Gaspipeline Nord Stream 2 verdeutlichte. Da es keinen gemeinsamen vollwertigen europäischen Energiemarkt gibt, entstehen unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen für die nationale Energiesicherheit, was eine gemeinsame Positionierung der EU schwierig macht. Hier wird deutlich, dass auch eine wertebasierte Wirtschafts- und Außenpolitik ihre Grenzen hat, wenn die eigene europäische Marktsituation keine gemeinsame Position zulässt.

Werte verteidigen

Doch wie sieht wertebasierte Außenpolitik im internationalen Zusammenhang aus? So ecken beispielsweise einige politische Entwicklungen im EU-Nachbarland Russland an die Wertevorstellungen der EU an. Eine Tatsache, die zu einem diplomatischen Drahtseilakt führen kann. Wie Frau Preusche des Auswärtigen Amtes unterstrich, müsse man dennoch in der Beziehung mit Russland eine wertebasierte Außenpolitik aufrechterhalten. Denn gerade als Nachbar ist Russland von großer Bedeutung für Europa, weshalb ein gutes Verhältnis weiterhin gepflegt werden müsse.

Auch im Hinblick auf die Proteste in Belarus, die sich bereits seit mehr als 80 Tagen hinziehen, steht die Frage im Raum, wie die EU mit politischen Ereignissen umgeht, die nicht dem europäischen Werteverständnis entsprechen. Am 06. November nahm der Europäische Rat 15 Mitglieder der belarussischen Regierung, darunter auch den Präsidenten Alexander Lukaschenko, in die Sanktionsliste auf. Grund dafür sind die gewaltsame Unterdrückung und Einschüchterung friedlicher Demonstrant*innen, Journalist*innen und Oppositionsmitglieder im Anschluss an die diesjährigen Präsidentschaftswahlen.

Frau Dr. Bendiek der Stiftung Wissenschaft und Politik hält im Fall von Belarus ein stärkeres Engagement der EU für möglich. Besonders große Handlungsspielräume sieht sie in einer angepassten “Binnenmarkt-Außenpolitik” durch Wirtschaftssanktionen und stärkeren grenzpolitischen Maßnahmen, etwa in der Visavergabe. Repressive Interventionen in Form militärischer Eingriffe, seien dagegen nicht von der EU erwartbar.

„Es ist wichtig, dass wir an einer realistischen Außenpolitik arbeiten. Eine Außenpolitik, die auf Europas Erhalt zielt und das Europäische Territorium und seine Bürger*innen schützt. Ich sehe die Chance auf eine reaktive Politik, nicht auf mehr.“ - Dr. Annegret Bendiek, SWP

Eigene Interessen im Blick

Ob sich die EU in Zukunft als souveräner und selbständiger Akteur in einer sich wandelnden internationalen Ordnung etablieren und seine eigenen Interessen vertreten kann, wird davon abhängen, inwiefern die EU ihre internen Prozesse reformieren kann. Denn ein langfristiger Erfolg wird sich nicht mit Positionspapieren und wertebasierten Zurechtweisungen anderer Länder erreichen lassen. Hier wird die EU die Frage für sich beantworten müssen, wie man mit künftigen Normbrüchen wirtschaftlicher Partner umgeht. Das heißt, ob man sich mit der bloßen verbalen Verteidigung europäischer Werte zufrieden gibt, oder ob man aktiv europäische Werte zu exportieren versucht.

Durch das Etablieren von universellen Rechtsnormen und Qualitätsstandards stehen der EU dennoch konkrete Möglichkeiten zur Verfügung, mit denen sie ihre wertebasierten wirtschaftlichen und politischen Interessen verteidigen kann. Besonders in Zeiten neuer geopolitischer Konflikte, und einer Neuorientierung der USA in Richtung China, liegt es an der EU sich strategisch klug zu positionieren, um nicht unter die Räder zu gelangen.

Die US-Wahlen haben wieder einmal die Debatte um die Rolle der Europäischen Union in der Welt geweckt. Die Grundsteine sind gelegt, um in einer sich verändernden internationalen Ordnung die eigene Position neu zu bewerten.

Zum Weiterlesen:

Dieser Beitrag ist im Rahmen einer Kooperation zwischen der Europa-Union Deutschland und treffpunkteuropa.de entstanden, in der wir über die bundesweite Bürgerdialogreihe „Europa? Wir müssen reden!“ berichten. Die Bürgerdialoge schaffen durch interaktive Formate den Rahmen, um auch abseits von Wahlen politische Beteiligung zu ermöglichen. Mehr Infos gibt es hier. treffpunkteuropa.de ist Medienpartner der Reihe und erhält im Rahmen dieser Partnerschaft eine Aufwandsentschädigung. Die Inhalte der Berichterstattung sind davon nicht betroffen. treffpunkteuropa.de ist frei und allein verantwortlich für die inhaltliche und redaktionelle Gestaltung seiner Artikel.

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