Das Pariser Klimaabkommen feierte im Dezember 2020 seinen fünften Geburtstag. Mit ihm einigten sich die unterzeichnenden Staaten darauf, dass maximal 2 Grad Celsius (angestrebt sogar 1,5 Grad Celsius) Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter der Menschheit zuzumuten sei. Zeitgleich verkündete die Europäische Kommission voller Stolz das neue Emissionsreduktionsziel von mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 bis 2030. Bis 2050 soll Europa anschließend zum ersten klimaneutralen Kontinent werden.
Mittel zum Zweck ist der 2019 verabschiedete „European Green Deal”, den die Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen vorstellte. Als „Mann auf dem Mond”- Moment von letzterer gefeiert, sollte er gemeinsam mit dem neuen Klimaziel das „Jahrzehnt des Klimaschutzes” einleiten. Doch das neue Klimaziel stößt bei Wissenschaftler*innen und Klimaaktivist*innen auf Kritik: Es käme nicht nur zu spät, sondern sei auch nicht ausreichend, um eine Verschärfung der Klimakrise abzuwenden. Ihren Forderungen nach mehr Klimaschutz liegt das weltweite Emissionsbudget zugrunde, laut dem die Weltgemeinschaft nur noch eine bestimmte Menge an Treibhausgasen ausstoßen darf, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erfüllen. Das CO2-Budget der EU ist demnach spätestens 2032 verbraucht. Klar ist: Es eilt, es wird gestritten und es bewegt sich wenig.
„Im Sommer 2019 bin ich Teil der treffpunkteuropa.de-Redaktion geworden und das „Klima, Ökologie und Energie“-Ressort wurde geschaffen - unabhängig voneinander. Ich habe es von Anfang an übernommen. Das Ressort hat mich besonders angesprochen, denn die Klimakrise muss dauerhaft eine zentrale und konstante Rolle in der journalistischen Berichterstattung spielen, auch ohne dass scheinbar lokale Naturkatastrophen das Thema kurzzeitig ins öffentliche Interesse rücken. Die Folgen der Klimakrise bleiben für die meisten Europäer*innen abstrakt und Diskussionen um Tempolimits auf deutschen Autobahnen, Mindestabstände zu Windkraftanlagen und den eigenen ökologischen Fußabdruck zeigen, wie emotional aufgeladen und individualisiert die Debatte noch immer ist. Die klimapolitischen Entscheidungen bleiben dabei schwer zugänglich und komplex, die europäische Ebene noch stärker als die nationale, auch wenn inzwischen die zentralen klimapolitischen Entscheidungen in Brüssel getroffen werden. Das muss in den Bildungsstätten und Medien viel stärker in den Fokus rücken - und wir möchten mit diesem Themenschwerpunkt dazu beitragen.
Als Jugendliche wurde mir das Thema der Klimakrise zunehmend wichtiger, je wärmer die Winter und je trockener die Sommer wurden. Das ist nur die Spitze des Eisberges. Die Komplexität der ökologischen Krisen und die Angst vor dem Eingeständnis von Versäumnissen sind lange Gründe dafür gewesen, dass Politik und Medien vor dem Thema zurückschreckten. Den Bürger*innen kann aber nur dann Sicherheit vermittelt werden, wenn wissenschaftlicher Konsens in politische Maßnahmen umgesetzt wird. Aufgabe der Medien ist es, diese kritisch zu begleiten und für alle Bürger*innen aufzuarbeiten. “ - Charlotte Felthöfer
„Ein Jahr, nachdem Charlotte das neue Ressort übernahm, war ich im Sommer 2020 auf der Suche nach einer Idee für einen Themenschwerpunkt. Im Internet gibt es Tipps, um selbst verantwortungsbewusster mit Ressourcen umzugehen, Berichte über Kohleenergie und Tierschutz, sogar halbwegs verständlich formulierte, wissenschaftliche Erklärungen des Klimawandels. Ich kann mich nicht daran erinnern, in der Schule etwas darüber gelernt zu haben, in meinem Studium hat es keine Rolle gespielt. Ich habe mich mit Nachhaltigkeit und globaler Ungerechtigkeit beschäftigt, aber nicht mit der Klimakrise. Heute glaube ich, dass das daran lag, dass es in der damaligen Art und Weise, wie über die Klimakrise gesprochen wurde, nicht um das ging, was mich interessierte - um Politik.
treffpunkteuropa.de hatte schon vor diesem Themenschwerpunkt Beiträge, die es schafften, politische Entscheidungen in den Mittelpunkt zu stellen. Für das neue Redaktionsjahr sollte aber mehr her. Spätestens seit Fridays for Future haben wir als Gesellschaft ausdiskutiert, dass individuelle Entscheidungen zu mehr Klimaschutz beitragen, die Klimakrise aber nicht gänzlich abwenden können. Es braucht politische Weichenstellungen, die nur mit Druck von unten erreicht werden können. Um den herbeizuführen, reicht Wissen über den Treibhauseffekt und fossile Brennstoffe nicht: Es braucht Wissen darüber, wo gerade auf europäischer Ebene Weichen gestellt und Entscheidungen getroffen werden.“ - Marie Menke
Der in den nächsten Wochen folgende Themenschwerpunkt ist in Teamarbeit entstanden. Gemeinsam haben wir uns sechs Themen überlegt, die wir aus europapolitischer Perspektive erzählen möchten: Klimakommunikation, Kreislaufwirtschaft, Biodiversität, globale Gerechtigkeit, Klimaklagen und Energiepolitik. Dann haben wir Zeitungsartikel und wissenschaftliche Texte gesammelt, Interviews organisiert und das vorbereitete Material beim Redaktionstreffen 2020 in Würzburg an die Redaktion übergeben. In Zweierteams haben Redakteur*innen an ihren Themen gearbeitet, Wissenschaftler*innen und Abgeordnete interviewt, Texte geschrieben und Multimedia-Inhalte produziert. Zu den ursprünglich geplanten Themen ist ein Thema hinzugekommen, das eine Autorin vorgeschlagen hat - der Einfluss von Lobbygruppen. Für treffpunkteuropa.de ist es das erste Mal, dass die gesamte Redaktion gemeinsam an einem solchen Projekt gearbeitet hat.
Entstanden sind sieben Texte über europäische Klima- und Nachhaltigkeitspolitik - und zugleich über so viel mehr: Es geht um Lobbyismus, Unternehmensinteressen und Einflussnahme, um globale Auswirkungen von lokalen Entscheidungen und die Frage nach Gerechtigkeit, um Menschen, die Regierungen und Unternehmen wegen ihrer Klimapolitik verklagt haben, um Kreislaufwirtschaft, Recycling und Zukunftsvisionen, darum, ob und wie die EU Biodiversitätsschutz und Agrarpolitik zusammen denkt, um Energiepolitik und um die Frage, warum die Klimakrise für europäische Kommunikationsabteilungen und journalistische Redaktionen so ein schwieriges Thema darstellt. Und immer geht es dabei auch um Zukunft, um Forderungen und um Hoffnung.
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