EU-Mitgliedschaft für den Kosovo?

, von  übersetzt von Anna Weber, Yané Christov

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EU-Mitgliedschaft für den Kosovo?
Foto: Pixabay / Mesut Toker / Pixabay Lizenz Blick auf die Altstadt von Prizren im Kosovo mit der Sinan-Pascha-Moschee im Hintergrund, die aus der Anfangszeit der osmanischen Herrschaft stammt

Die Beziehungen zwischen dem Kosovo und der Europäischen Union sind noch sehr jung. Sie begannen 2008 mit der EULEX-Mission der EU, die darauf abzielte, den Rechtsstaat im Kosovo zu stärken und funktionierende staatliche Institutionen und Strukturen zu schaffen.

Dennoch bleibt die vollständige Unabhängigkeit für den Kosovo in weiter Ferne: weder die EU, noch die UNO erkennen ihn als voll souveränen Staat an. Derzeit haben nur 23 von 27 EU-Staaten das kleine Land anerkannt. Wird sich der Kosovo –wie seine Nachbarländer auf dem Balkan – trotz dieser ungünstigen Situation irgendwann um die Aufnahme in die Europäische Union bemühen können? Als kleines Land in der Mitte des Balkans hat der Kosovo lediglich 1,7 Millionen Einwohner*innen, verteilt auf eine Fläche von 10 000 km2. Er liegt zwischen Serbien, Nordmazedonien, Montenegro und Albanien. Mit 87% stellen Albaner*innen die Bevölkerungsmehrheit, doch gibt es auch zahlreiche Minoritäten, zum Beispiel Serb*innen (5.1%). In konfessioneller Hinsicht bekennen sich 95% der Bevölkerung zum Islam und 3,7% zum Christentum, vor allem der byzantinisch-orthodoxen Kirche. Unter jugoslawischer Oberhoheit war der Kosovo eine autonome Provinz in der Sozialistischen Republik Serbien. Nach der unilateralen Ausrufung der Unabhängigkeit von Serbien wurde der Kosovo 2008 zum jüngsten Staat Europas.

Emmanuel Macron sagt nicht „Nein“

Am 25. Juni trafen sich der französische Präsident und der kosovarische Premierminister Albin Kurti im Elysee-Palast, um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu diskutieren. Anlässlich des ersten Besuchs des kosovarischen Premierministers in Frankreich erinnerte Emmanuel Macron daran, dass nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 „Frankreich das erste Land war, das den Kosovo anerkannt hat". Seither habe Frankreich dem Kosovo zur Seite gestanden.

Die beiden Staatschefs diskutierten aber auch über einen möglichen Beitritt des Kosovo zur EU. Laut den Aussagen des französischen Präsidenten steht Frankreich einer möglichen EU-Erweiterung eher offen gegenüber – wenn „die Bedingungen vollständig erfüllt sind„. Zwei Jahre zuvor noch hatte Emmanuel Macron auf dem EU-Westbalkan-Gipfel in Sofia im Mai 2018 Vorbehalte gegenüber der Aufnahme von Staaten aus der Balkanregion gezeigt. Damals trat Macron eher für eine Vertiefung der EU und eine Reform ihrer Institutionen als eine Erweiterung ein. Die Priorität des französischen Präsidenten war, die Beziehungen zur Region zu stärken und „den Westbalkan an der Seite der Europäischen Union zu verankern“, bevor weiterführende Verhandlungen aufgenommen würden. Laut Sébastien Gricout, Direktor des Balkan-Instituts der Jean-Jaurès-Stiftung, „kalkuliert der französische Präsident auch, so die geostrategischen Interessen Europas abzusichern". Tatsächlich würde die Vernachlässigung der Region einen stärkeren Einfluss Russlands und der Türkei dort nach sich ziehen. Dagegen verteidigte der französische Präsident die Idee der europäischen Souveränität auf geopolitischer Ebene.

Wie ist diese Veränderung im Ton zu verstehen? Laut Sébastien Gricout hat „die französische Diplomatie seit dem EU-Westbalkangipfel ein Glaubwürdigkeitsproblem in der Region, die sie durch Dialog zu lösen versucht“.

Beitrittsbedingungen, die erfüllt werden müssen

Obwohl der Kosovo derzeit weder Beitrittskandidat noch Beitritts-Vorkandidat der EU ist, könnte sich das Land der EU anschließen, sobald es gewisse Bedingungen zur Genüge erfüllt. 2020 evaluierte und definierte die EU-Kommission in einem die Westbalkanerweiterung betreffenden Bericht ihre Reformprioritäten für prospektive EU-Mitglieder. Der Bericht behandelt diesbezüglich verschiedene Schlüsselbereiche, in denen Probleme bestehen oder in denen Verbesserungen absehbar sind. Er lud den Kosovo dazu ein, „den Schwerpunkt auf Grundsatzreformen bezüglich des Rechtsstaats, der Wirtschaft und des Funktionierens der demokratischen Institutionen und der öffentlichen Verwaltung zu legen“, um „die ordnungsgemäße Umsetzung der Errungenschaften der Union zu garantieren“.

Der Kosovo hat gewisse Fortschritte im Bereich der Justiz und der Grundrechte zu verzeichnen, wenn auch das Justizsystem instabil bleibt. Die weiterhin verbreitete Korruption bleibt besorgniserregend. Laut Transparency International belegt der Kosovo im internationalen Vergleich bei der Korruption den 104. Platz von 179. Davon abgesehen ist die Meinungsfreiheit der Bereich, bei dem im vergangenen Jahr am wenigsten Fortschritt verzeichnet wurde, da laut dem Bericht „das Fehlen von finanzieller Unabhängigkeit die Medien anfällig für politische und wirtschaftliche Interessen macht“.

Weiterhin bleibt das politische Leben im Land fragil. Letztendlich ist die politische Landschaft des Kosovo von großer Instabilität und häufigen Machtwechseln gezeichnet. Seit 2008 haben sich nicht weniger als sieben Präsident*innen und fünf Premierminister an der Spitze des Landes abgelöst. „Der Referenzzeitraum (der Studie) im Kosovo war gezeichnet von vorgezogenen Wahlen und Regierungswechseln genauso wie von relativ langen Zeiträumen, während derer lediglich ein Übergangskandidat im Amt war“. Der Bericht stellt Irregularitäten bei der Auszählung der Stimmzettel und fehlende Pluralität in den serbischen Gebieten fest. Er weist auch auf die Instabilität der Gesetzgebung im Land hin, da „die Nationalversammlung im Referenzzeitraum ihre allgemeine Wirksamkeit als Forum, das der Repräsentation und dem konstruktiven politischen Dialog förderlich ist, nicht verbessert hat, wie die häufige Beschlussunfähigkeit zeigt“.

In der wirtschaftlichen Entwicklung hat der Kosovo ebenfalls nur begrenzte Fortschritte erreicht. Tatsächlich basiert die kosovarische Wirtschaft hauptsächlich auf Finanztransfers aus der Diaspora in das Land, die 2019 15,6 % des BIP ausmachten. Diese Kapitalströme treiben die Wirtschaftswachstumsrate des Landes an, die im Zeitraum 2015-2018 4,1 % erreichte. Leider bleibt die Wachstumsdynamik stark von den Dienstleistungsexporten, den Bruttoanlageinvestitionen und dem privaten Konsum abhängig. Der Kosovo bleibt auch heute das ärmste Land des Westbalkans, mit 30 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und einer Jugendarbeitslosenquote von rund 26 %.

Vučić weigert sich, den Kosovo anzuerkennen

Eine Frage bleibt offen: die der kategorischen Nicht-Anerkennung des Kosovo durch das Nachbarland Serbien. Trotz der der Gespräche unter EU-Führung blockiert der seit der Jugoslawien-Ära andauernde Konflikt zwischen den beiden Ländern nicht nur die Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat durch die UNO, sondern auch alle Integrationsszenarien des Kosovo in die EU.

Am 19. Juli trafen sich die serbischen und kosovarischen Führungsspitzen in Brüssel, zum ersten Mal in Präsenz. Die Gespräche scheinen nicht zu überzeugenden Ergebnissen geführt haben, sondern eher zu den üblichen Rückschritten. Im Moment wurde kein Kompromiss gefunden, und die beiden Länder schieben sich gegenseitig die Schuld am Krieg zu.

Es war jedoch nicht das erste Mal, dass die beiden Länder in Dialog miteinander traten; die ersten Gespräche unter der Vermittlung der EU fanden im Jahr 2011 statt. Diese ruhten jedoch fast sieben Jahre lang, bevor sie 2018 wieder aufgenommen wurde, diesmal unter der Ägide des Weißen Hauses. Trotz der vielen Versuche, den Konflikt zu lösen, liegt alles auf Eis.

Wenn jedoch keine Einigung zur Anerkennung des Kosovo durch Serbien erzielt wird, können weder Serbien noch der Kosovo auf einen zukünftigen EU-Beitritt hoffen. Für Serbien ist diese Frage von entscheidender Bedeutung, da die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern Teil der Bedingungen ist, die die EU im Rahmen des Beitrittsprozesses des Landes festgelegt hat.

Bisher wurden nur Einigungen in organisatorischen Punkten gefunden, jedoch nicht über wesentliche politische Fragen. Zu welchem Kompromiss könnten die Diskussionen führen? Zunächst zu Entwicklungshilfe für Serbien oder zu einer beschleunigten Integration in die EU. Eine zweite Lösung könnte ein Territorialaustausch zwischen den beiden Ländern sein, ein Projekt, das nach dem Krieg konzipiert und 2018 überarbeitet wurde. Solche Projekte erscheinen jedoch noch illusorisch und zu komplex, und könnten noch nicht verheilte Wunden wieder aufreißen.

Während das Territorialaustauschprojekt auf dem Papier überzeugend erscheint, muss dessen mögliche Ausführung noch überprüft werden. Tatsächlich sah der Grenzziehungsplan den Austausch bestimmter Gebiete zwischen Serbien und dem Kosovo vor. So hätten im Nordwesten die Gemeinden Zubin Potok, Zvecan und Leposavic Serbien angegliedert werden können, und umgekehrt im Osten des Landes die hauptsächlich von Albaner*innen bevölkerten serbischen Gemeinden Medveda, Bujanovac und Presevo umgekehrt an den Kosovo. Streitpunkte wie Minen und Fabriken, die beide Länder für sich reklamieren, gefährden aber das Projekt.

Ein neuer Lebensatem für den Kosovo

In der bereits erwähnten Erklärung vom 25. Juni wies Emmanuel Macron auf die ständigen Verbesserungsbemühungen des Kosovo hin und betonte die Bedeutung der Wahl von Albin Kurti, die „von schöner demokratischer Vitalität“ im Land zeuge. Die Wahl von Vjosa Osmani zur Präsidentin des Kosovo ist ein Lichtstreif am Horizont für die kleine parlamentarische Republik. Als erste Frau in diesem Amt wurde sie im November 2020 als Nachfolgerin von Hashim Thasi gewählt, der vom Sondergerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen während des Kosovo-Konflikts (1998-1999) angeklagt worden war. Sie gründete ihre eigene Partei Guxo („Wagt es“) und verbündete sich mit der reformistischen Linkspartei von Premierminister Albin Kurti, bevor sie am 4. April 2021 mit 71 von 120 Stimmen im Parlament wiedergewählt wurde.

Ihre Wahl stellt für das Land einen großen Schritt nach vorn dar, insbesondere bei der Gleichberechtigung. In einer immer noch sehr patriarchalischen Gesellschaft leiten in der aktuellen Regierung sechs Frauen ein Ministerium, bei fünfzehn Minister*innenposten insgesamt eine beispielloses Zahl. Doch die Gleichstellung ist nicht Osmanis einziges Kernanliegen: die Präsidentin will auch die endemische Korruption im Land ausrotten und ist dabei eine der ersten kosovarischen Politiker*innen, die dieses Phänomen überhaupt anprangert.

Osmanis Zusammenarbeit mit dem Premierminister Albin Kurti markiert den Beginn eines neuen Kapitels im politischen Leben des Kosovo. Als Nachfolger*innen der vorherigen politischen Führungsriege, die im Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte, setzen sie sich dafür ein, das von Armut und Korruption geplagte Land zu reformieren. Obwohl es bis zur europäischen Integration noch ein weiter Weg ist, zeichnen sich Anzeichen einer Demokratisierung ab.

Aufseiten des Kosovo sind somit Bemühungen und gewisse Verbesserungen anzumerken, doch leider behindern die Herausforderungen, denen sich der Kosovo in den kommenden Jahren stellen muss, die enge Anbindung des Landes an die Europäische Union. Die Integration des Kosovo und der Balkanländer im Allgemeinen bleibt teilweise aufgrund des Misstrauens der europäischen Bevölkerung gegenüber dieser Region schwierig. In einem 2021 veröffentlichten Bericht hielten 65 Prozent der Franzosen die Aufnahme des Kosovo in die EU für „eher schlecht oder sehr schlecht“. Dieses Gefühl wird durch die aktuelle Situation in den Ländern Mitteleuropas und der Missachtung für den Rechtsstaat in Polen und Ungarn verstärkt.

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