Entsandte Arbeitskräfte - eine sinnvolle Debatte zum falschen Zeitpunkt

, von  Alice Stradi, übersetzt von Stéphanie-Fabienne Lacombe

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Entsandte Arbeitskräfte - eine sinnvolle Debatte zum falschen Zeitpunkt

Emmanuel Macron hat angekündigt, die EU-Entsenderichtlinie zu entsandten Arbeitskräften reformieren zu wollen. Auch wenn es sich dabei um einen legitime Debatte handelt, ist der aktuelle politische Kontext dafür momentan wenig geeignet.

Was haben ein polnischer Maurer und eine französische Ingenieurin, nennen wir sie Jan und Marianne und beide arbeiten im Ausland, miteinander gemein? Wenn sie beide im Ausland für eine Firma aus ihrem Herkunftsland arbeiten sind sie entsandte Arbeitskräfte. Das bedeutet, dass sie beide über die Bewegungsfreiheit verfügen, die die europäischen Verträge ihnen garantieren, mit dem Ziel, ihren Lebensunterhalt in einem anderen EU-Mitgliedsstaat zu verdienen. Die europäische Kommission hat 2016 eine Reform der Richtlinie 96/71/CE zu entsandten Arbeitskräften vorgeschlagen, die das europäische Parlament momentan bearbeitet. Dass die Mehrheit der europäischen Bürger davon wahrscheinlich noch nie gehört hat, hängt damit zusammen, dass nur 1% der Arbeitskräfte zu dieser Kategorie gehören. Obwohl also nur ein geringer Teil der EU-Bürger von der Richtlinie betroffen ist, hat diese eine Debatte entfacht, die weitere Widersprüche der EU-Politik deutlich machte.

Zunächst richtet sich die Richtlinie explizit nur an entsandte Arbeitskräfte, und nicht an alle Arbeitskräfte, die in einem EU-Land als ihrem Heimatland arbeiten. Laut Kommission, sollte die Richtlinie in Zukunft für „gleiche Löhne für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsplatz“ sorgen, was die westeuropäischen Staaten befürworten. Die osteuropäischen Mitglieder hingegen befürchten, ihren Wettbewerbsvorteil im Bezug auf die Löhne zu verlieren (den die Gegner der entsandten Arbeitskräfte als Sozialdumping bezeichnen). Momentan werden entsandte Arbeiter mit dem Mindestlohn des Landes, in dem sie arbeiten, bezahlt. Heimischen Arbeitern muss meist mehr gezahlt werden, weil bei ihnen branchenspezifische Auflagen gelten.

Um zum Beispiel des polnischen Maurers Jan zurückzukehren, stellen wir uns einmal vor, er sei von der polnischen Firma, bei der er angestellt ist, nach Frankreich entsandt worden. Laut der Richtlinie von 1996 muss sein Arbeitgeber nun die französische Gesetzgebung respektieren und ihm den französischen Mindestlohn zahlen. Wenn er Vollzeit arbeitet, würde Jans Lohn nun 1150 Euro betragen, was das Minimum in Frankreich ist. Allerdings beträgt der Durchschnittslohn eines Maurers in Frankreich rund 1800 Euro monatlich. Hinzu kommt, das Jan ein entsandter Arbeiter ist, dass die Arbeitgeberbeiträge in Polen gezahlt würden, wo sie 22,67% von Jans Lohn betragen, während es in Frankreich bis zu 49% des Lohns des Arbeitnehmers sein können. Jans Arbeit kostet den Arbeitgeber demnach weniger als die Arbeit eines französischen Kollegen. Wäre Jan bei einer französischen Firma in Frankreich angestellt, würde er gleich viel wie seine Kollegen verdienen.

Der Vorschlag der Kommission diesbezüglich ist richtig: in Frankreich sollten Jan und sein französischer Kollege für gleiche Arbeit gleich entlohnt werden. Das Problem ist allerdings nicht der Inhalt der Reform, sondern ihre praktischen Konsequenzen. Sie würde die Zahl entsandter Arbeitskräfte drastisch reduzieren, ohne denen, die davon profitieren, eine Alternative anzubieten.

Seit 1996, und insbesondere seit der Osterweiterung 2004, hat die Möglichkeit, Arbeitskräfte aus Mitgliedsstaaten mit niedrigem Einkommen in Länder mit höherem Einkommen zu entsenden, für eine Umverteilung des Reichtums gesorgt, die sich allerdings nicht negativ auf die Beschäftigungsraten in reicheren Ländern ausgewirkt hat.

In Frankreich zum Beispiel, gibt es 6,35 Millionen Arbeitslose, das sind9,5% der 66,9 Millionen Einwohner. Wenn die 177 674 entsandten Arbeitnehmer in ihre Heimatländer zurückzukehren würden, hätte dies keine großen Auswirkungen auf die Beschäftigungsrate, insbesondere wenn man bedenkt, dass die französischen Arbeitnehmer nicht unbedingt qualifiziert für die jetzigen Arbeitsplätze der entsandten Arbeiter sind. Gleichzeitig würden 139 040 französische ins Ausland entsandte Arbeiter ebenfalls ihren Job verlieren.

Die Praxis der entsandten Arbeitskräfte hat de facto teilweise die nicht existierende europäische Fiskalpolitik ersetzt. Diese könnte für ein europäisches Arbeitsgesetz und somit für die Umverteilung des Reichtums innerhalb der EU sorgen, womit die ärmeren Länder der EU ihre Wirtschaft in Schwung bringen und die reicheren Länder einholen könnten. Ein solcher Mechanismus wäre weitreichender als eine Reform der Entsenderichtlinie und könnte Ungleichheiten zwischen EU-Bürgern verringern. Hinzu kommt, dass die entsandten Arbeiter die einzigen wirklich mobilen Arbeitskräfte sind. Dies sollte die EU fördern, anstatt Entsendungen komplizierter zu machen. Dass das System auch missbraucht wird, darf nicht außer Acht gelassen werden. Allerdings wurde die Richtlinie von 2014, die gegen illegale Praktiken helfen sollte, nie wirklich in Kraft gesetzt.

Die Debatte um die Richtlinie von 1996 instrumentalisiert gute Intentionen, um die strukturellen Probleme des europäischen Arbeitsmarkts zu verstecken. Gleichzeitig kommt sie protektionistischen Bestrebungen in Westeuropa gerade recht. Das Ziel der Reform scheint zu sein, europäische Arbeitnehmer an einer wahren Arbeitsmobilität innerhalb der EU hindern zu wollen. Anstatt Grenzen zu schließen, sollten die Bürger verbesserte Möglichkeiten bekommen, diese zu überqueren: indem ein europäischer Rentenfonds, eine wirkliche europäische Sozialversicherung und eine europäische Fiskalpolitik geschaffen werden. Stattdessen wird gegen Menschen agiert, die nach besseren Lebensbedingungen streben. Das ist sicher nicht im Sinne des europäischen Gründungsgedankens.

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