Allmachtsfantasien aus Kreuth

Der Showdown zwischen Merkel und Seehofer spaltet die Union

, von  Grischa Alexander Beißner

Allmachtsfantasien aus Kreuth
Die Zeiten des gemeinsamen Grinsens sind längst vorbei. Der Streit zwischen Merkel und Seehofer spaltet die Union. Foto: Michael Panse/ / Flickr / Attribution-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0)

Die Kanzlerin steht unter Druck. Angela Merkel ist nicht angezählt, sie wird gerade ausgezählt. Statt jetzt, in ihrer schwächsten Stunde, Kante zu zeigen, gibt sie der CSU nach - erst beim Ultimatum, nun beim europäischen Kompromiss. Es offenbart, wie sehr sich die Union aus Angst vor AfD und Europa bereits aufgerieben hat. Alles, was Angela Merkel nun noch tun kann, ist ihr Vermächtnis zu gestalten. Viel steht auf dem Spiel. Vor allem Deutschlands Rolle in der Europäischen Union und die Zukunft der EU selbst.

Als Angela Merkel mit der CDU erneut in eine große Koalition eintrat, war bereits sicher, dass wir die letzte Regierung mit “Mutti” erleben werden. War die große Koalition in 2013 eine Vernunftehe, so gleicht sie diesmal einer Verzweiflungsehe. Wie ein zerrüttetes Ehepaar, das alt und grau geworden ist, das sich Abends darüber streitet, in welches Glas die dritten Zähne gehören und die voneinander längst genug haben - aber wissen, dass sie alleine noch schlechter dran wären. Also blieb man zusammen. Für vier weitere Jahre an der Macht hat man noch einmal den Status Quo erhalten. Vier Jahre, bevor man sich zwingend erneuern muss - oder untergehen. Dabei sinkt das Schiff schon längst. Eigentlich sollte man annehmen, dass der Koalitionszwist zwischen SPD und Union ausbrechen würde - stattdessen rumort es zwischen den Schwesterparteien.

Kleine Partei ganz groß

Schon in 1976 liebäugelte die CSU damit, sich von der CDU zu trennen. Der Kreuther Trennungsbeschluss hielt damals ganze vier Wochen. Und auch damals ginig es bereits um persönliche Eitelkeiten. Die bizarre Sonderstellung der CSU verwirrt alle Nicht-Bayern im Land. Für sich allein gerechnet kommt sie mit gerade mal 6,2% nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Dennoch darf sie auf höchster Ebene die Politik Deutschlands mitbestimmen. Obwohl sie lediglich ein einzelnes Bundesland repräsentiert, maßt die CSU sich eine Gleichstellung mit ihrer Schwesterpartei. Für jeden SPD-Unterhändler gab es in den Koalitionsgesprächen und Sondierungen somit zwei Unionsgesandte: Einen von der CDU und einen aus Bayern. Ähnliches galt dann auch für die Ministerposten.

Dass die CSU sich nicht schämt, mit ihren paar Prozent ein ganzes Land als Geisel zu halten, sollte daher nicht verwundern. Ihre Selbstüberhöhung scheint allgemein akzeptiert. Und wenn selbst die Kirche kritisiert, dass die Gestrigen der CSU in jedem Amt ein Kruzifix hängen sehen wollen, dann haben halt Gottes Vertreter auf Erden auch keine Ahnung. Die CSU weiß nicht viel - aber sie weiß alles besser. Berauscht an der eigenen Herrlichkeit aber Arm an Lösungen wollen Bayerns alte Herren nun dem ganzen Land ihren Willen aufzwingen - denn sie stecken in einem großen Dilemma.

Es wird eng am rechten Rand

„Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!“, so die Worte des von der CSU kultisch verehrten ehemaligen Vorsitzenden Franz Josef Strauß. Nun aber ist mit der AfD eine Gruppe in die Parteienlandschaft getrampelt, die auf dem äußersten rechten Rand balanciert - und diesen auch häufiger überschreitet. Wie ein Geier kreist die AfD über der deutschen Politik, sie kann die Schwäche der alten Parteien mit ihren versumpften Machtstrukturen bereits spüren. Aktuell treibt sie alle Parteien vor sich her - die CSU allerdings versetzt sie schier in Panik.

Dort hat man keine Ahnung, wie man mit der neuen Rechten umgehen soll. Also versucht man, die AfD rechts einzuholen, vielleicht gar zu überholen. Seehofer und sein Hofstaat scheinen überzeugt davon, den Rechtspopulisten die Wähler abgrasen zu können, indem sie sich noch weiter rechts oder zumindest gleich weit rechts positionieren. Statt den Menschen zu zeigen, warum man eben nicht die AfD wählen sollte, eifert die CSU den Rechtspopulisten panisch nach. Statt eigene Inhalte zu bieten, übernimmt man Positionen der AfD, trägt sie mitten ins bürgerliche Lager und legitimiert sie damit. Natürlich ist das eine Milchmädchenrechnung, denn die AfD-orientierten Wähler stimmen für das Original statt der Kopie. Seehofer liefert sich den Gaulands und Weidels des Landes willig aus, die komfortabel zusehen können, jedes Zugeständnis Seehofers an Merkel als Schwäche verurteilen und sich so um keinen ihrer Wähler sorgen machen müssen. Die einzigen, welche die CSU damit ansprechen kann, sind jene Unionswähler, die insgeheim schon immer AfD wählen wollten, aber sich ob des sozialen Stigmas nicht trauen.

Die CSU hat Angst davor, ihre beinahe absolute Machtstellung in Bayern bei den kommenden Landtagswahlen zu verlieren - und ist bereit, alles zu riskieren - unabhängig, was dieser Kurs langfristig mit der deutschen Gesellschaft macht. Stimmungsmache gegen Flüchtlinge wird ebenso willig in Kauf genommen, wie Hetze gegen Europa. Die Positionen der CSU verschieben sich, verlassen das bürgerliche Lager und beginnen einen Kampf mit der AfD darum, wer die fremdenfeindlichste im ganzen Land ist. Dabei könnte die CSU sich gegenüber der AfD viel besser mit anderen Themen behaupten. Denn die AfD hat kaum Positionen zu anderen politischen Fragen. Es wäre ein leichtes, einfach sachlich und thematisch zu überzeugen. Stattdessen treibt die CSU die rechtspopulistische Eskalationsspirale an - ohne aber davon zu profitieren. Denn indem sie der AfD nacheifert, gibt sie ihr nur recht.

Deutschland als Geisel der 6,2%-Partei

Die CSU riskiert bewusst das Ende der Koalition, vielleicht gar das Ende der Union selbst. Schon jetzt können beide Lager nur verlieren. Bringt Seehofer Merkel zu Fall, stürzen CDU, Deutschland und EU ins Chaos, fällt Seehofer gegen Merkel, zerbricht das Bündnis der Schwesterparteien. Es wird sogar bereits davon gesprochen, dass die CSU bundesweit antreten soll und dubiose Meinungsforschungsunternehmen sehen sie bereits im zweistelligen Prozentbereich.

Dass im Übrigen die in der Koalition gefangene SPD Seehofers Anti-Flüchtlinge Kurs mittragen wird, scheint trotz der eigenen Schwäche der Sozialdemokraten schwer vorstellbar. Aber aus deren Ecke hört man bisher erstaunlich wenig. Es könnte die Sternstunde der Sozialdemokraten sein, doch man schafft jenseits des Hissens der Europafahne über dem Parteihauptquartier als symbolischen Akt keine konkreten Gegenvorschläge. Seehofers “Masterplan für Flüchtlinge” haben die Sozialdemokraten bisher nicht einmal zu Gesicht bekommen. Die SPD bleibt durch den inkompetenten Parteivorstand gelähmt, verpasst es, sich einzubringen. Letztlich wird die SPD aber Merkel stützen. Sie hat gar keine andere Wahl. Eine Koalitionskrise droht. Aber Innenminister Seehofer und mit ihm die CSU fest sind entschlossen, die eigene Vorstellungen durchzusetzen - egal, wie wenig Deutsche sich wirklich mit der CSU-Version von “Heimat” identifizieren.

Was steckt hinter dem Zwist?

Um was es geht ist schlicht ein europäisches Rosinenpicken: Die CSU möchte bereits in einem anderen europäischen Land anerkannte Flüchtlinge an der Grenze abweisen dürfen. Ansonsten ist von Seehofers „Masterplan“ nicht viel bekannt. Selbst hochrangige Parteimitglieder scheinen ihn nicht zu kennen. Rechtlich beruft sich die CSU dabei auf die von vielen Ländern als unfair kritisierte Dublin-Regelung - behauptet aber gleichzeitig, dass deutsches Recht über dieser Regelung stünde, wenn Seehofer fordert, er müsse ein „Zurückweisungsrecht“ haben. Natürlich ist “Dublin” für Deutschland praktisch, denn da zwischen den Fluchtländern und Deutschland immer mindestens ein anderes europäisches Land liegt (es sei denn, die Flüchtlinge kämen über die Nordsee), wäre die Bundesrepublik fein raus. Die Probleme blieben auf Ländern, wie Griechenland und Italien abgewälzt, die schon jetzt straucheln. Aber europäische Solidarität - ja bitte - aber nur dann, wenn sie Deutschland nützt. Dass Seehofer die Grenzen gar nicht “dicht machen” kann und eine flächendeckende Grenzkontrolle faktisch unmöglich ist scheint nicht länger relevant. Auch Seehofer arbeitet mit gefühlter Wahrheit und der Illusion des “starken Mannes”. Seine Grenzsicherung hat genauso wenig Substanz wie Trumps Mauer zu Mexiko - aber sie resoniert mit den Ängsten der Menschen.

Allein auf weiter Flur in Europa

Deutschland hat sich zunehmend selbst isoliert - der zaghafte, fast ängstliche Kurs in der Europapolitik hat andere Länder und Persönlichkeiten ins Rampenlicht gerückt. Allen voran der Visionär und Reformer Emmanuel Macron und der Flüchtlingsgegner Viktor Orban mit seinen autokratischen Tendenzen. Merkel und Deutschland brauchen Europa. Aber trotz der Absichtserklärung im Koalitionsvertrag ist bisher kaum etwas passiert. Das kann sich nun ändern. Einfach wird es jedoch nicht. Jeder weiß um Merkels Schwäche und wird versuchen, das maximale aus Verhandlungen rauszuholen. Beim Vorab-Gipfel am Sonntag wurde daher auch kaum über Merkels Vorschlag bilateraler Rücknahmeabkommen gesprochen. Letztlich muss aber auch allen Beteiligten klar sein, dass sich mit Zeitdruck und auf Zwang kaum langfristige Lösungen finden lassen werden.

Die Bundesrepublik selbst hat jahrzehntelang auf Kosten der EU-Partner gelebt, hielt die eigenen Löhne (viel zu) niedrig und exportierte dafür kräftig - gleichzeitig wurden andere Länder zur Austerität gezwungen. Nachdem Italien lange mit der Problematik der Flüchtlinge allein gelassen wurde, regiert dort inzwischen ein Bündnis aus Populisten und Rechtsradikalen. Europa steht längst am Scheideweg: Reform oder Rückschritt. Selten war die EU so gespalten wie heute. Macron ist der klassische Verbündete Deutschlands und Merkels, die CSU hingegen tendiert zu Viktor Orban, der sich gegen die Flüchtlingspolitik Merkels positioniert und die innereuropäische Solidarität in Frage stellt. Gleichzeitig bekämpft er Kritiker, missliebige Bildungseinrichtungen und Journalisten - doch damit scheint man in der CSU wenig Probleme zu haben. Der CSU nachzugeben, hieße, diese autoritären und solidaritätsfeindlichen Bestrebungen in Europa zu verstärken, die der EU langfristig schwer schaden werden. Mit Denkstrukturen wie denen Seehofers hat Europa keine Zukunft. Hin- und hergerissen zwischen diesen beiden aufsteigenden Führern Europas verharrte die CDU/CSU in ihrer Identitätskrise. Erst jetzt schafft es Merkel, sich mit Macron zusammenzutun. Jüngst wurde ein gemeinsames Budget für die Eurozone von beiden beschlossen. Wenn Merkel wirklich die Flucht nach vorne antreten will, dann muss sie jetzt Durchsetzungswillen und Führungsstärke beweisen.

Allein auf weiter Flur im eigenen Land

Leider war Führungsstärke selten ein Markenzeichen der Kanzlerin. Oft wurde reagiert statt aktiv zu gestalten oder mutig voranzugehen. Es wurde geforscht, wohin der Wind blies und dann wurde das Fähnchen gedreht. Merkels Republik war oft begleitet von sozialer Kälte - bis zu dem Tag, an dem die Kanzlerin mehr Mut und Moral zeigte, als viele ihr zugetraut hatten - und sie den verzweifelten Flüchtlingen die Grenzen öffnete. Es war ein beispielloser Akt der Humanität und der Menschenwürde. Was folgte war allerdings vermeidbares Chaos. Die Verwaltung der Flüchtlinge wurde einer überforderten Institution mit zu wenig Personal und Spielraum übertragen, die Integration der Neuankömmlinge blieb oft an der Zivilgesellschaft hängen, die sich selbst organisieren musste und nach besten Kräften bemühte, die Flüchtlinge aufzunehmen. Konfrontiert mit dieser Mammutaufgabe schlug die Stunde der Spalter und Populisten. Die Grenzöffnung für Flüchtlinge ist die moderne Version der Dolchstoßlegende.

Mutti was nun?

Wer zu lange im Amt ist, der wird bequem, macht Fehler. Wie jüngst im Dieselskandal. Merkel versuchte stets, nach dem - oft wankelmütigen - Willen des Volkes zu regieren, stößt aber den Regierten zunehmend vor den Kopf. Man kann es nicht allen recht machen. Auch wenn Merkel das Durchwursteln zur Staatskunst erhob, in Krisenzeiten braucht es Führung, egal, ob jemand meckert oder nicht. Das hat die Kanzlerin lange durchgehalten - oder zumindest umgangen.

Sie hat die CDU ins 21. Jahrhundert geführt. Wagte es, progressiv zu sein - in einer Partei, in der viele lieber an der unwiederbringlichen, romantisierten Vergangenheit festhalten. Mehr als einmal brach Merkel mit der Unionstradition. Als in Fukushima die Reaktoren schmolzen und Japan verstrahlten, kehrte sie der Kernkraft den Rücken. Das hat die CDU nicht „links“ gemacht, aber eben verändert. Eigentlich wurde die CDU durch Merkel zukunftsfähiger - aber viele wollen ihr das nicht danken. Nun steht die Kanzlerin vor der Frage, ob sie sich noch einmal durchsetzt, Deutschland ein letztes Mal ihren Stempel aufdrückt. Ein europäisches Vermächtnis, dazu hat sie noch immer die Chance. Die Alternative ist ein schrittweiser Rückzug, der vieles, was sie geschaffen hat, wieder aufheben wird. Man möchte dieser Tage nicht an Stelle der Kanzlerin stehen.

Sammelager, in denen Flüchtlinge konzentriert werden - die Lösung?

Die CSU setzt ihr nun die Pistole auf die Brust, stellte ihr ein Ultimatum, vor dem Merkel zunächst einknickte. Doch die EU braucht eine starke Kanzlerin, braucht dringend diese “gemeinsame Lösung”. Das katastrophale Dublin-Konzept muss ersetzt werden, wenn man die Flüchtlingsfrage in Europa endlich in den Griff kriegen will - aber die zwei Wochen, die Seehofer der Kanzlerin gnädig gewährt hat sind lächerlich kurz - und das weiß er auch. Er weiß eigentlich auch, dass er eine Mücke zum Elefanten macht: Denn zum Einen sind die Zahlen der ankommenden Flüchtlinge extrem rückläufig, zum anderen sind Asylbewerber, die vom einen Land ins andere Reisen ein sehr geringfügiges Problem. Dass sich nun die ebenfalls konzeptlose und vor der AfD getriebene CDU in Sachsen hinter Seehofer stellt und gegen die Kanzlerin aufbegehrt macht klar, wie tief die Gräben in der CDU inzwischen verlaufen. Und wie viel Angst dort herrscht.

Auf dem gestrigen EU-Gipfel gab es nun eine Einigung in letzter Minute. Das Ergebnis ist Zweifelhaft. Für die einen ein großer Erfolg, für die anderen eine moralische Bankrotterklärung. Die wohl wichtigsten Punkte dieser Einigung sind, dass Sammellager außerhalb der EU entstehen sollen, in denen Flüchtlinge interniert werden und über deren Asylanträge dort entschieden werden soll. Auch sollen Länder die Möglichkeit erhalten, nach eigener Entscheidung geschlossene, konzentrierte Sammellager für Flüchtlinge zu errichten. Im Übrigen wurde beschlossen die nicht unumstrittene Grenzschutzbehörde FRONTEX bereits 2020 aufzustocken und weitere Milliarden aus dem Flüchtlingspakt von 2016 an die Türkei zu schicken.

Was fehlt ist die Lösung des eigentlichen Problems: Eine Neuregelung des Dublin-Systems. Denn dieses benachteiligt weiterhin die Mittelmeerstaaten und ist - neben der mangelnden Solidarität von Staaten wie Ungarn - die eigentliche Ursache der ungerechten Verteilung von Menschen und Kosten.

Wo ist das Europa der Humanität geblieben?

Die Ergebnisse des Gipfels zeigen, wie sehr die CSU inzwischen Merkel vor sich her treibt. Es ist ein Entgegenkommen in fast allen Punkten - und dennoch ist noch nicht bekannt, wie sich Seehofer äußern wird. Aber während selbst Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), das Abkommen lobt, reagiert die Opposition mit harscher Kritik. Hilfsorganisationen sind schlicht entsetzt. Sie kritisieren, dass auf dem Rücken von Menschen, die vor Krieg und Folter fliehen, kleinstaatliche Innenpolitik betrieben wird. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die nach dem Horror zweier Weltkriege geschaffen wurde, um zu verhindern, dass menschliches Leid und die Abweisung von Schutzsuchenden (wie zB vor dem Naziregime flüchtende Juden durch die USA und andere) sich jemals in diesem Maß wiederholt. Die Genfer Flüchtlingskonvention war eine zivilisatorische Errungenschaft. Heute wird sie von den Kurz, Seehofer, Orban und co. missachtet, mindestens aber ignoriert. Europa hat sich einen weiteren Schritt von seinen Werten und seiner globalen Verantwortung entfernt. Dass viele Fluchtbewegungen ein Resultat europäischer Außen- und Wirtschaftspolitik sind, bleibt unter den Tisch gekehrt. Es mag bezeichnend sein, dass erst heute wieder ein Schlauchboot mit über 100 Flüchtlingen auf dem Mittelmeer gekentert ist. Bisher ist nur die Rettung von 14 Menschen bestätigt. Dass es jenseits das politischen Stimmenfangs tatsächlich um Menschenleben geht, dass die eigene Politik letztlich andere Menschen dem Tod ausliefert, dass scheint weder einen Söder, noch einen Seehofer zu interessieren. Aber auch im Rest von Europa sieht es inzwischen düster aus.

Allgemein steckt Europa inzwischen in einer tiefen Krise. Und antieuropäischer Populismus hat Hochkonjunktur. Zwar spricht die CSU noch immer von einem Bekenntnis zu Humanität und Europa, aber faktisch spricht ihre Politik eine andere Sprache. Selbst gegen Merkels Bündnis mit Macron regt sich bei der CSU widerstand, sie maßt sich an, nun überall mitbestimmen zu dürfen, gar letzte Instanz für alle Entscheidungen zu sein. Es ist eine ziemlich lächerliche Vorstellung, welche die deutsche Politik dieser Tage abgibt. Merkel hat lang gezögert, Europa immer wieder vor sich hergeschoben wie ein Student seine Hausarbeit. Nun naht ihre persönliche Deadline. Dass sie es schafft, wäre wünschenswert, doch der aufgestaute Groll derer, die in der Vergangenheit festgefahren scheinen, ist größer als je zuvor. Auf dem Spiel stehen Deutschlands und Europas Zukunft. Aber auch an dieser hat die CSU nun Zweifel, attackiert Merkel für ihre Abmachung mit Macron - obwohl Europa fest im Koalitionsvertrag verankert ist. Es scheint, als würde die CSU erwarten, dass sie bei jeder Entscheidung um Erlaubnis gefragt wird. Denn für Seehofer ist Merkels Einigung mit Macron über ein Budget für die Eurozone nichts weiter als ein Manöver, um Frankreich auf ihre Seite zu bringen. Das Denken der Christsozialen wird zunehmend eindimensional - und zur Bedrohung für Deutschland und Europa. Denn wer beides riskiert, nur um eine Landtagswahl zu gewinnen, in dessen Hände darf man die Zukunft eines Landes oder gar Kontinents nicht legen. Dass obendrein die vorgeblich „christlich-soziale“ Union in Bayern bewusst den Tod von mehr Menschen auf dem Mittelmehr billigend in Kauf nimmt, nur um eine Wahl zu gewinnen ist beschämend - kann aber leider kaum noch überraschen.

Der Zwist in der Union der CDU und CSU beschert beiden immerhin den ersten, wirklich christlichen Bezug seit Jahrzehnten: Kain und Abel.

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