Emissionshandel, Green Deal & Verbrenner-Aus: Was ist momentan in Brüssel los?

, von  Moritz Hergl

Emissionshandel, Green Deal & Verbrenner-Aus: Was ist momentan in Brüssel los?
Unterschiedliche Meinungen bei einer Abstimmung über Änderungsanträge im Europäischen Parlament in Brüssel am 22. Juni 2022 Foto: Europäische Union, 2022, EP / Eric Vidal / Copyright

Jubelschreie im Parlament, Abgeordnete rufen wild durcheinander und die Ränge sind fast bis zur letzten Reihe gefüllt – im sonst eher ruhigen Europäischen Parlament geht es derzeit heiß her. Passenderweise, könnte man sagen: Die Parlamentarier*innen verhandeln über nichts Geringeres als die Ausgestaltung des Europäischen Green Deals, der die Erderwärmung auf unter 1,5° Celsius begrenzen soll.

Die 27 EU-Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Sie vereinbarten hierzu, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Dazu hat die EU-Kommission im Juli 2021 ein umfassendes Paket an Gesetzesvorschlägen vorgestellt, das „Fit for 55“-Paket, welches für verschiedene Sektoren konkrete Maßnahmen vorsieht. Jedes einzelne Gesetz braucht nun die mehrheitliche Zustimmung sowohl vom EU-Parlament als auch von den Mitgliedstaaten im Rat. Wir befinden uns also erst auf den ersten Metern eines legislativen Marathonlaufs.

Mehrheit für Verbrenner-Aus und mehr Tempo beim C02-Sparen

Einige Gesetzesinitiativen konnten trotz langer Verhandlungen auf den Weg gebracht werden. So einigten sich die EU-Parlamentarier*innen Anfang Juni auf eine gemeinsame Position für den Vorschlag der Kommission, bis zum Jahr 2035 eine emissionsfreie Mobilität im Straßenverkehr zu erreichen. Dies würde praktisch das Aus für den Verbrenner-Motor bedeuten. Der Knackpunkt lag hier aber vor allem an den Verhandlungen mit den Regierungen der Mitgliedstaaten. Vor allem in Deutschland, aber auch in Italien, war eine Diskussion darüber ausgebrochen, ob eine Ausnahme für Verbrennermotoren, die ausschließlich mit synthetischen E-Fuels betrieben werden, durchzusetzen ist. Dies hatte die FDP befürwortet. Die EU-Regierungen einigten sich schließlich auf einen vagen Kompromiss, der vorsieht, zu prüfen, ob es Ausnahmen für Verbrennerfahrzeuge mit E-Fuels geben kann.

Andere Maßnahmen des “FitFor55”-Pakets beschäftigten Politiker*innen in Rat und EU-Parlament ebenfalls. Das Parlament sprach sich für höhere Ambitionen für Kohlenstoffsenken in der Landnutzung und Forstwirtschaft, für ehrgeizigere Emissionsreduzierungen im internationalen Luftverkehr sowie für strengere CO2-Reduktionsziele der EU-Mitgliedstaaten aus. Zu diesen Punkten haben nun auch die EU-Umweltminister*innen Stellung bezogen und unterstützen auch einen 59 Milliarden Euro schweren Fond, der für sozialen Ausgleich der Klimaschutzmaßnahmen sorgen soll. So weit, so gut. Die Verhandlungen müssen nun zwischen Rat und Parlament zu Ende geführt werden - und die Verwässerung der Regelungen bleibt eine große Gefahr.

Für Aufsehen sorgte die Debatte um die Reform des EU-Emissionshandelssystems Anfang des Monats, welches zuerst von einer Mehrheit des Parlaments abgelehnt wurde. Und das, obwohl die Klima-Uhr tickt:

Eine Stimme dagegen als eine Stimme für mehr Klimaschutz?!

Die Ablehnung der Reform des Emissionshandelssystems der EU hatte in den Reihen der konservativen EVP-Fraktion Anfang Juni für sichtbare Überraschung gesorgt. Dieses stellt einen der Grundpfeiler der Anstrengungen der EU im Klimabereich dar (zur Erklärung). Der zuständige deutsche Berichterstatter Peter Liese (EVP/CDU) schob die Schuld eines nicht erreichten Kompromisses den anderen Fraktionen zu und beklagte die Zusammenarbeit von Rechten und Linken. Diese seien “ihrer Verantwortung für Klimaschutz nicht gerecht geworden”.

Doch was stand eigentlich in dem Gesetzentwurf? Michael Bloss von den Grünen beklagte einen „von der fossilen Lobby und Allianz aufgeweichten Emissionshandel“ und warf dem EVP-Berichterstatter Liese einen Etikettenschwindel vor. Dieser Abschwächung der Reduktionsziele habe man nicht zustimmen können, um das 1,5-Grad-Klimaziel noch erreichen zu können.

Konkret habe der zur Abstimmung stehende Vorschlag vorgesehen, im Jahr 2024 nur 70 Millionen CO2-Zertifikate aus dem Markt nehmen - weniger als der Kommissionsvorschlag von 117 Millionen und noch weniger als die im Umweltausschuss beschlossenen 250 Millionen. Außerdem sei der Vorschlag abgelehnt worden, nach 2030 keine freien Zertifikate mehr zu vergeben. Diese Gratis-Emissionsrechte erhalten momentan noch besonders emissionsreiche Industrien, wie zum Beispiel die Betonindustrie. Die Argumentation der Grünen, der Sozialdemokraten sowie linker und liberaler Abgeordneter hielt den Gesetzesvorschlag insgesamt für verwässert und stimmte dagegen – erfolgreich. Zudem bestand Unklarheit über einen CO2-Zoll an den EU-Außengrenzen, einem Instrument, das der Auslagerung von CO2-Emissionen ins außereuropäische Ausland vorbeugen soll.

Ein Politik-Thriller made in Brussels

In Brüssel wird momentan die politische Zukunft Europas verhandelt; im Kern geht es um die Frage, ob das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann. Diese Dringlichkeit scheint allerdings der großen Mehrheit der Abgeordneten wichtig zu sein: Und so kamen diese nach dem Scheitern des Emissionshandel-Entwurfs am 22. Juni erneut zusammen. Sie verständigten sich schließlich auf Kompromisse zur Reform des Emissionshandels.

Eine neue Allianz aus Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten hat nun einen neuen Deal vorgestellt. Sie wollen, dass die freie Zuteilung von CO2-Zertifikaten bis 2032 auslaufen und ab 2027 sehr langsam reduziert werden soll. Im Rat sind die Minister*innen noch vorsichtiger: Sie wollen das schrittweise zwischen 2026 und 2035 vornehmen. Bis dahin gilt also weiterhin die Praxis, dass besonders emissionsreiche Sektoren CO2-Zertifikate geschenkt bekommen.

Die Parlamentarier*innen haben sich auch darauf verständigt, 70 Millionen Zertifikate einmal nach Inkrafttreten der Richtlinie zu löschen und dann noch einmal 50 Million Zertifikate in 2026. Zum Vergleich: Im letzten Jahr betrugen die verifizierten Emissionen innerhalb des Emissionshandelssystems 1,2 Milliarden Tonnen C02-Equivalent (auf jede Tonne C02 kommt ein Zertifikat). Zusätzlich soll die CO2-Obergrenze zwischen 2024 und 2026 um 4.4% jährlich gesenkt werden, zwischen 2026 und 2029 um 4.5% und dann schließlich ab 2029 um 4.6% (Quelle: Michael Bloss MdEP). Die finalen Verhandlungen mit den nationalen Regierungen stehen noch aus - genauso unklar ist, in welcher Form ein Grenzausgleichsmechanismus in Kraft treten wird - die Umweltminister*innen haben sich nach einer Marathonsitzung jedenfalls generell dazu bereit erklärt und eine gemeinsame Position zu einigen Punkten finden können.

Momentan wird in Brüssel um jede Tonne C02 gerungen und mit Reduktionszielen, Deadlines und Ausnahmeregelungen nur so jongliert. Wer hier welche Interessen vertritt, ist hier oft unklar. Klimaschutz ist in der Ausgestaltung äußerst komplex, doch durch diese Gesetze werden in diesen Tagen die klimapolitischen Weichen in Europa gestellt. Dazu braucht es konstruktiven Dialog und Streit um die besten Lösungen – und davon findet man im EU-Parlament momentan auf jeden Fall reichlich.

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