Ein kleines Land mit großen Fragen - Eine kurze Geschichte Österreichs

, von  Stephan Raab

Ein kleines Land mit großen Fragen - Eine kurze Geschichte Österreichs
Ein Gespräch über den Nachbarn jenseits der Alpen: Stephan Raab, Mitglied des JEF-Bundesvorstands, mit seinen Gesprächspartnern in Wien Foto: Stephan Raab/ treffpunkteuropa.de zur Verfügung gestellt

Treffen sich zwei Piefke, ein Bosnier und ein Österreicher in einem Wiener Kaffee, um wie einst Freud über die österreichische Psyche zu diskutieren. Was wie eine Pointe klingt, ist der Beginn eines spannenden Gesprächs über ein Land zwischen Geschichte und Zeitgeschehen.

Alles gleich ganz anders – Austria not Germany!

„Die Deutschen wolle die Österreicher verstehen, können es aber nicht. Die Österreicher könnten die Deutschen verstehen, wollen aber nicht“, wusste schon der Wiener Hofkomponist Franz Grillparzer (1791-1872). Immer wieder schafft es unser südlicher Nachbar durch diverse Skandale in die Schlagzeilen der deutschen Presse. Aber wie tickt eigentlich das kleine Land?

Seit vielen Jahren versuche ich aus Bayern, das Land zu verstehen, das gleich ganz anders ist. Gemeinsam mit drei Wahlwienern versuche ich nun diese Frage zu beantworten. Jan stammt ursprünglich aus NRW, Adnan ist gebürtig aus Bosnien- Herzegowina und Jörg kommt aus der Steiermark. Nun kreuzen sich ihre Wege in der Metropole des einstigen Vielvölkerstaats.

„Ehrlich gesagt ist Österreich eher unscheinbar“, stellt Jörg fest. „Während Deutschland eine große internationale Bedeutung zukommt, ist Wien eben sehr klein.“ Jede*r kenne hier jede*n. „Österreich lebt irgendwie ein bisschen in der Vergangenheit. Alles bewegt sich einfach etwas langsamer. Österreich hat sein eigenes Tempo“, beschreibt Adnan die Seele der Alpenrepublik. Ein Teil der österreichischen Identität ist es, nicht deutsch zu sein. „Ich denke eine wichtige Sache ist hier vor allem auch die Lokalidentität. Diese ist hier sehr präsent. Während in Westdeutschland eher Ängste um Statusverlust dominieren, ist es hier eher der Verlust der eigenen Identität. Daher spielen hier Themen wie Heimat oder Identität eine größere Rolle“, stellt der deutsche Zuwanderer Jan fest, der schon seit vielen Jahren in Wien lebt. Anders drückt es der Bosnier Adnan aus: “Österreich ist in vielen Dingen einfach konservativer. Während Deutschland international agiert, reagiert Österreich, lebt in einer eigenen Welt.“

Neue Gesichter, alte Geschichten- die Große Koalition

„Machen wir es wie immer“, waren sinngemäß die letzten Worte des Kaisers Franz Joseph. „In Österreich, so denke ich, besteht einfach kein großes Verlangen nach einer Veränderung. Die Leute wollen, dass das Land so bleibt, wie es ist, nur dass es eben sicher ist,“ stellt der deutsche Politikbeobachter fest. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich aus dem Kampf zwischen Arbeiter*innenschaft und Bürgertum eine besondere Sozialpartnerschaft gebildet. Diese Strukturen hatten sich in den letzten 70 Jahren verfestigt aber auch zu einer großen Verkrustung geführt. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges war die Politik von der großen Koalition dominiert.

„In Österreich hatte schon lange ein frischer Wind gefehlt“, begrüßt der deutsche Wahlwiener die politischen Veränderungen. Der Steirer Politologe Jörg ergänzt: „Die beiden Parteien (SPÖ und ÖVP) haben die Gesellschaft extrem geprägt. Vieles ist über Generationen gleichgeblieben.“ „Die Wahlen wirken wie neue Gesichter mit alten Geschichten“, ergänzt der Jurastudent Adnan. Im Grunde wüsste man nicht mehr, was man als Wähler*in für seine Stimme bekommen würde. Dies schade vor allem der Glaubwürdigkeit der Regierung selbst. In Deutschland sieht der engagierte Europäer Jan an der Großen Koalition vor allem eine Selbstdemontage der Parteien. Es sei wichtig, dass die SPÖ auch einmal Wien verliere. Dies sei wirklich nicht gut. Dann wäre wohl Adnan auch weg. „Ich habe einen Aufenthaltstitel“, erwidert der Bosnier und beide lachen. Es böte aber eine Chance sich endlich neu aufzustellen.

Kernkompetenz und Kurzzeit - Koalition und Kontroversen

Auf einmal jedoch überraschte das kleine Land zwischen den Bergen ganz Europa und die Welt. Am 18. Dezember wurde der gerade einmal 31-jährige Jurastudent Sebastian Kurz jüngster Regierungschef weltweit. Ein Land, das nicht gerade für seine revolutionsfreudigen Tendenzen bekannt ist, gelang etwas Unvorstellbares. „Über Jahrzehnte hatte keiner geglaubt, dass es möglich wäre, die bestehenden Strukturen aufzubrechen“, erinnert sich der Steirer Politologe. Von außen und innen beobachtet Adnan, das gesamte System in Österreich müsse sich ändern. Das Phänomen Sebastian Kurz stünde hier als Inbegriff dafür, als eine Art Wind of Change. Auf einmal wurde deutlich, so Jörg, dass junge Österreicher*innen nicht zwingend ins Ausland gehen müssen, um erfolgreich zu sein, eine Chance zu haben und sich etwas aufzubauen. Angesichts einer kleinen Parteienlandschaft gebe es für junge Menschen nicht viele Optionen.

Sogar der eher linke Kritiker Jan, muss zugeben: „Wenn Kurz links wäre, fände ich den gar nicht so schlecht.“ Anders als sein Vorgänger, der sozialdemokratische Kanzler Christian Kern, hätte Kurz es geschafft, sich nicht als Teil des politischen Systems darzustellen. Während Kern versuchte durch einen starken Staat und interne Reformen, das Land zu verändern, sei dies kaum außerhalb wahrgenommen worden. Im Gegensatz hätte das Amt des Integrationsstaatssekretärs und später Außenminister Kurz die Möglichkeit gegeben, verschiedenste Projekte zu besuchen, sich in den unterschiedlichsten Gruppen Österreichs Sympathien zu erwerben. Dies sei durch die Bevölkerung besser wahrgenommen worden, oder wie es der deutsche PR Berater meint: „Von einer Marke wie Kurz träumt jede PR-Agentur.“

Allerdings hätte der junge Kanzler inhaltlich nicht viel Neues zu bieten. Viel eher seien es viele junge, gut ausgebildete junge Menschen, die Lust auf Karriere in der Politik haben, die ihm unterstützen. Sebastian Kurz stünde als Inbegriff des politischen Karrieristen, bis hin zur Koalition mit der europaskeptischen Freiheitlichen Partei Österreich, kurz FPÖ.

Eine Alternative für Österreich: AfD gleich FPÖ?

Großes Aufsehen, insbesondere im nördlichen Nachbarland, erregte die Entscheidung des Kanzlers, eine Koalition mit der europaskeptischen FPÖ einzugehen. Insbesondere rechte Kreise der Union sehen hierin ein Vorbild für eine mögliche Koalition aus Union und AfD.

Allerdings sind beide Parteien nur bedingt miteinander zu vergleichen. Während die FPÖ, gegründet 1955, bereits in der österreichischen Parteienlandschaft etabliert ist, erscheint die AfD als ein neues Phänomen. Bei der FPÖ sei diese aus der Geschichte leichter zu positionieren, während bei der AfD vielfach noch unklar, wofür sie bei verschiedenen Themen konkret stehe. „Bei der AfD sind es viele Protestwähler, während die FPÖ eher für viele für das traditionelle Österreich steht“, vergleicht Jan die Veränderungen nördlich und südlich der Alpen. Dies zeige sich auch daran, dass die FPÖ bei den Wahlen kaum Stimmen eingebüßt hat. Der österreichische Politologe Jörg ergänzt, dass die FPÖ in vielen Gemeinden vertreten sei, viele Bürgermeister*innen stelle. Zudem gibt es eine Koalition aus SPÖ und FPÖ im Burgenland die einigermaßen erfolgreich liefe, da es hier einige gemeinsame Themen gebe. Viele die Sebastian Kurz unterstützt haben und dies immer noch tun, wollten vor allem, dass sich dieser traue eine Veränderung herbeizuführen, ein politisches Experiment durchzuführen. Die SPÖ um Christian Kern hätte sich durch interne Debatten selbst geschwächt. Bei der ÖVP hingegen gelte das Prinzip auf einen starken Kandidaten zu setzen. Ob fehlende Debatten, vielleicht gar eine fehlenden Diskussionskultur nach außen positiv sind, die Antwort lässt Jörg bewusst offen. Eine Koalition mit der AfD in Deutschland wie mit der FPÖ schätzt sein deutscher Gesprächspartner Jan aber aufgrund der internationalen Rolle Deutschlands als unwahrscheinlich ein. Die Opposition in der Bundesrepublik sei einfach stärker aufgestellt.

Große Erwartungen an ein kleines Land- Österreich in Europa

Insbesondere der Einsatz von (sozialen) Netzwerken hätte einen großen Anteil am politischen Aufstiegs Sebastian Kurz. In seinen verschiedenen Ämtern habe er versucht, sich jeweils als Experte in seinem Fachbereich zu etablieren, durch Expertise international bekannt zu werden. Im Zuge der Migrationsfrage sei ihm dies zu Gute gekommen, da er sich aufgrund seines Amtes einen Ruf als einer der besten Experten für internationale Entwicklungen aufgebaut hat. Wie lange es dabei funktioniere, kontroverse Themen auszublenden, dies ist schwer zu sagen.

Allerdings, findet Jörg, habe der junge Regierungschef dazu beigetragen Österreich internationaler zu machen. Es sei deutlich geworden, dass dieses junge Mitgliedsland eine eigene Position in Europa und der Welt, auch gegen Deutschland entwickeln könne. „Wir wollen mitreden. Viele finden dies gut, wenn wir größer und wichtiger erscheinen, wenn wir größer wirken, als wir eigentlich sind. Jedoch geht hiermit auch mehr Verantwortung einher.“ Die zukünftige Rolle Österreichs, schätzt Jan, aus der Geschichte des Vielvölkerstaates sei vor allem als Tor zum Osten zu wirken. Von hier könnten positive Tendenzen in die Visegradstaaten ausgehen. „Vieles klingt dort anders, wenn es nicht aus Brüssel, Paris oder Berlin, sondern Wien kommt“, beobachtet Adnan aus der ehemaligen Habsburger Monarchie. Daher sei es die Aufgabe Österreichs durch eigene Erfahrung als Mittler zu wirken, die jungen Mitgliedsstaaten in Osteuropa nach Europa und Österreich in Europa stärker zu integrieren.

Mutig in die neuen Zeiten

Seit vielen Jahren versuche ich aus Bayern unseren südlichen Nachbarn zu verstehen. Österreich hat sich in den letzten Jahren verändert, wie sich auch die Welt darum verändert hat. „Ich denke, die Leute verlieren ihren Glauben. Die Leute wollen einfach etwas glauben. Daher suchen sie sich etwas Neues, dass einfach greifbarer ist“, konstatiert der Wahlwiener Jan. Es sei klar, dass sich etwas ändern müsse, fügt Adnan hinzu. Die Welt funktioniere heute anders. Lange Zeit hat sich Österreich auf seine Neutralität berufen. Aber die neuen Zeiten sorgen auch für Veränderungen in dem kleinen Land zwischen Bodensee, Burgenland und den Alpen. Vielleicht wird nun deutlich, was bereits die neue(n) Bundeshymne (n) verkündet: „Mutig in die neuen Zeiten. I kenn die Leit’, I am from Austria“

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