Ein Europa der jungen Generation?

Die Rede zur Lage der EU 2021

, von  Mia Schepe

Ein Europa der jungen Generation?
Foto: European Union, 2021 / Christophe Licoppe / Copyright notice EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen währen ihrer jährlichen Rede zur Lage der Europäischen Union im EU-Parlament, 15. September 2021

Europas Jugend, Pandemiebekämpfung und Klimawandel, damit setzte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am vergangenen Donnerstag (15.09.) die Agenda für das kommende Jahr in Europa. In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union, die jährlich einen Rückblick über vergangene und auf anstehende Projekte gibt, versucht die Kommission ihre Modernität und Zukunftsgewandheit zu zeigen.

Von der Leyen zeichnet ein idealisierendes Bild einer EU, die sich gemeinsam und geeint globalen Problemen widmet. In ihrer 59-minütigen Rede bezieht sich die Kommissionspräsidentin oftmals auf die junge Generation. Weniger in konkreten Worten, sondern vielmehr als symbolisches Element, um die unmittelbare Relevanz ihrer Ausführungen zu betonen: Das Jahr 2022 soll ein Jahr der Jugend werden!

This has […] been a time of soul-searching”, ist einer der anfänglichen Sätze mit dem Ursula von der Leyen ihre Rede um 09:08 Uhr beginnt. Die Jugend sei in diesen Zeiten das, woran sich Europa ein Vorbild nehmen sollte: ”reflective, determined and caring, grounded in values and bold in action”. Zu Beginn ihrer Rede widmet sich die Kommissionspräsidentin der Covid-19 Pandemie. Stolz lobt Ursula von der Leyen die Erfolge der EU in der Pandemiebekämpfung: 70% geimpfte Bürger*innen, 700 Millionen Impfdosen in der EU, 700 Millionen Dosen im Ausland, sowie die schnelle Einführung eines einheitlichen Impfausweises. Für das kommende Jahr seien jetzt die Ziele, den globalen und europäischen Impffortschritt zu fördern sowie die Pandemiebereitschaft der EU zu erhöhen.

Zum Thema Wirtschaft berichtet von der Leyen, dass die Kommission für das nächste Jahr, neben einer erneuten Aushandlung des Economic Governance Review-Prozesses zur Überprüfung der Staatsfinanzen, einen sogenannten „European Chips Act“ vorschlägt. Die EU will damit die Beschaffung und Herstellung der auf dem Markt häufig aus Asien kommenden „semi conductor chips“ selbst übernehmen. Auch zum Thema Sozialpolitik hat die Kommission für das folgende Jahr Pläne: Die Kommissionspräsidentin kündigt hier unter anderem an, dass sie sich in Zukunft auf das Thema der Steuergerechtigkeit konzentrieren wird:

„Asking big companies to pay the right amount of tax is not only a question of public finances, but above all a question of basic fairness.“

Im Jahr der Jugend 2022 plant die Kommission die Einführung des ALMA-Programm, mit dem junge Leute temporär Arbeitserfahrungen in anderen europäischen Ländern sammeln können. Damit spricht sie erst nach knapp 15 Minuten Rede zum ersten Mal einen konkreten Vorschlag für das Thema an, mit dem sie ihre Rede eröffnete: die Jugend.

Die wichtigste Frage für die junge Generation ist jedoch die, nach den Maßnahmen der EU gegen den Klimawandel: Von der Leyen begrüßt, dass Europa die erste wichtige Volkswirtschaft sei, die die Einhaltung ihrer Klimaziele verbindlich festgehalten habe, und bezieht dies stolz auf den European Green Deal. So sollen ein Social Climate Fund, eine Initiative zur Klimawandelfinanzierung im Globalen Süden und eine Verdopplung des Biodiversität-Fonds umgesetzt werden. Mit Blick auf den Klimagipfel in Glasgow (COP26) merkt die Kommissionspräsidentin an, dass alle Bemühungen jedoch ins Nichts laufen würden, wenn andere Staaten der Weltgemeinschaft nicht mitziehen würden.

Philipp Lambert, der Fraktionvorsitzende der Europäischen Grünen, wird Ursula von der Leyen für diesen Teil der Rede später in der Parlamentsdebatte kritisieren. Er fragt: "Wie können wir eine hinreichende Klimapolitik vom Rest der Welt verlangen, wenn wir selbst nicht genug für unseren Teil am Klimawandel tun? Dabei bezieht er sich auch auf den Fit für 55-Teil des European Green Deals, der eine Treibhausgasreduktion von 55% bis 2030 anstrebt. Für viele geht diese Maßnahme nicht weit genug.

We are entering a new era of hyper-competitiveness.

Die Außenpolitik leitet den zweiten Teil ihrer Rede ein. Von der Leyen spricht die Solidarität der EU mit den Bürger*innen Afghanistans aus und verkündet die Einrichtung eines Afghanistan Support Package. Was genau dieses beinhalten soll bleibt jedoch weitestgehend offen. Dann leitet sie über zur Frage nach Europas Rolle in der Welt. Vor dem Hintergrund des Wandels der bestehenden Weltordnung bekräftigt von der Leyen das Ziel der Kommission für mehr Autonomität der EU. So könnten in einer gemeinsamen EU-Defense Union europäische Ressourcen zum Nutzen aller Mitgliedstaaten vereint und gebündelt werden. Darüber hinaus soll ein neuer Global Gateway als Pendant zur chinesischen Seidenstraße ein Netzwerk der Kooperation zwischen der EU und Ländern im Südpazifik und Afrika schaffen.

We are good at financing roads. But it does not make sense for Europe to build a perfect road between a Chinese-owned copper mine and a Chinese-owned harbour.

Das Thema Migration spricht von der Leyen danach nur noch kurz an. So kritisiert und bedauert sie das Vorgehen in Belarus mit Geflüchteten und spricht sich für den Zusammenhalt mit den Nachbarstaaten Litauen, Lettland und Polen aus. Die Zeit sei gekommen für einen New Pact On Migration and Asylum. Nur so kann, laut von der Leyen, eine Instrumentalisierung von Menschen gegenüber der EU verhindert werden. Der Appell geht auch an die europäischen Mitgliedstaaten und das Parlament, auf eine gemeinsame Basis in der Migrationspolitik zu kommen.

Für das letzte Thema „Rechtsstaatlichkeit und demokratische Werte“ wechselt Ursula von der Leyen auf Deutsch. Sie verweist auf die demokratischen Ideen und Visionen der Gründer*innen der EU, die heute als unanfechtbare Werte und Rechte der Union in Gesetzen festgesetzt sind. Zur Verteidigung dieser Rechte sollen die jährlichen Berichte zur Rechtsstaatlichkeit der europäischen Mitgliedstaaten ab 2022 durch konkrete Empfehlungen ergänzt werden. Ohne konkrete Namen zu nennen ist klar, dass sich diese Maßnahmen auf jüngste antidemokratische Entwicklungen in Polen und Ungarn beziehen. Wie sich in der anschließenden Debatte herausstellen wird, geht die vorgeschlagene Verschärfung den Mitgliedern des EU-Parlaments nicht weit genug.

Dacian Cioloș der Liberalen Renew-Fraktion mahnte, dass Europa seine Macht nutzen und mit finanziellen Ressourcen gegenüber jenen Mitgliedstaaten härter durchgreifen sollte, die die Rechtsstatlichkeit verletzen. Von der Rechtsstaatlichkeit leitet von der Leyen zur Freiheit über. Sie verzichtet darauf, die prekäre Situation von LGBTQI+ Personen in einigen EU-Staaten direkt anzusprechen. Stattdessen liegt der thematische Fokus auf Frauen in Gewaltsituationen und auf der Erinnerung der Gewalttaten an den Journalist*innen Daphné Caruana Galizia, Ján Kucia und Peter de Vries. Wichtige Programme für das kommende Jahr sollen eine Initiative zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, sowie ein Medien-Freiheits-Akt zur Verteidigung journalistischer Rechte sein.

In ihren Schlussworten stellt die Kommissionspräsidentin die italienische Sportlerin Beatrice Vio vor. ‚Bebe‘ gewann im April 2021 bei den paralympischen Spielen Gold. An ihr sollte Europa sich ein Vorbild nehmen, sagt Ursula von der Leyen:

If it seems impossible – then it can be done!

Am Ende der Rede bleibt das Gefühl, dass eine moderne europäische Union sich neben den realen globalen Problemen, auch ihren eigenen Baustellen widmen muss. Ein Jahr der Jugend lässt sich aus den vorgeschlagenen Maßnahmen in der Rede nicht erkennen. Themen, die konkret die Jugend betreffen, wurden kaum in den Fokus gestellt. Vielleicht ist mit dem Jahr der jungen Generation auch weniger ein programmatischer, sondern vielmehr ein philosophischer Fokus gemeint. Es wird sich zeigen, inwieweit die Kommission dieses Ziel, „reflective, determined and caring“ zu sein, in die Tat umsetzen kann.

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom