Divina Frau-Meigs: “Inhalte sollten im Kampf gegen Fake News nicht zensiert werden"

, von  Eurosorbonne, Josselin Petit, Noémie Chardon, übersetzt von Niclas Hüttemann

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Divina Frau-Meigs: “Inhalte sollten im Kampf gegen Fake News nicht zensiert werden"
Bild von S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

Unser Partner Eurosorbonne traf sich mit Divina Frau-Meigs, Professorin am Institut für die englischsprachige Welt an der Universität Paris III – Sorbonne Nouvelle und Mitglied der hochrangigen Expertengruppe für Fake News und Online-Desinformationen der Europäischen Kommission. Die Veröffentlichung ihres Berichts gibt uns die Möglichkeit, dieses wachsende Phänomen und die Mittel zu seiner Bekämpfung zu diskutieren.

Was sind „Fake News“?

Divina Frau-Meigs (DFM): Ich gebe Ihnen meine persönliche Definition: Fake News gibt es nicht. Meiner Meinung nach ist es ein neues Phänomen. Aber ich bevorzuge das Wort „Desinformation“, um es von den drei vorher erschienenen Registern zu unterscheiden. Es gab das Register des Ideals der Wahrheit, das Journalisten zu erreichen suchten, und Fake News sind das Gegenteil davon. Es gab auch das Register der Propaganda, der Bosheit, die aus dem Ausland kam. Aber dieses Register ist sehr alt und existiert seit jeher und eskalierte während des Zweiten Weltkriegs - vor allem durch das NS-Regime.

Die NATO betrachtet diese jedoch inzwischen als „hybride Bedrohungen“, deren Ursprung nicht eindeutig identifiziert werden kann und die nicht offiziell im Namen eines Staates handeln. Das dritte Register ist das derjenigen, die an der Macht sind. Das Problem ist, dass es sich um immer öfters um Plattformen für Social Media handelt. Aber soziale Medien erheben nicht den Anspruch, „Medien“ zu sein, auch wenn sie enorm zur Verbreitung und Monetarisierung von Fake News beitragen.

Ich würde argumentieren, dass es auch ein neues viertes Register gibt, das mit der Geschichte von Falschinformationen bricht und den Ausdruck „Fake News“ rechtfertigt: Das ist es, was wir Malware nennen könnten. Malware ist eine automatische und robotergestützte Interferenz oder künstliche Intelligenz, die verwendet wird, um menschliche Bösartigkeit zu begleiten, wobei sie oft dadurch funktioniert, dass sie reale Fakten aus dem Zusammenhang reißt und diese falsch darstellt.

Dies erzeugt eine neue Art von Viralität, die nun über die zuvor angesprochenen Zielgruppen hinausgeht. Zum Beispiel waren die Skeptiker der extremen Rechten praktisch die einzigen, die negationistische Sichtweisen teilten. Heutzutage werden diese Ansichten an ein neues, viel größeres Publikum weitergegeben, eines welches es nicht erwartet, solche Positionen zu lesen, und dessen Skepsis schleichend zunehmen kann.

Inwiefern stellen gefälschte Nachrichten eine Bedrohung für die Demokratie dar?

DFM: Ein Aspekt, über den wir bei der Analyse von Fake News nicht viel sprechen, ist der Einfluss auf die Gemeinschaften und Communities. Hierzu gibt es noch keine umfangreiche Datenlage, aber die ersten Studien zu diesem Thema deuten an, dass es nicht unbedingt so einschlägig ist, auch wenn diese Studien nur auf kurzfristige Veränderungen aus sind, und nur auf Diskussionen auf Twitter und Facebook basieren. Langfristig geben die sekundären und diffusen Effekte von Fake News jedoch Anlass zur Sorge für die Demokratie, da sie in der Lage sind, unerwartete Folgen, wie etwa einen grassierenden Generalverdacht innerhalb der Bevölkerung, zu erzeugen.

Tatsächlich haben Fake News dazu beigetragen, die Qualität der Institutionen, der Medien und der politischen Akteure in Frage zu stellen. Selbstverständlich gab es diese Zweifel bereits in geringerem Maße vorher, aber jetzt wird dieser Zweifel unter dem Druck von Fake News noch viel intensiver verbreitet. Der ärgerlichste Aspekt ist, dass bestimmte Fake News echte Fakten verwenden, diese aber aus dem Zusammenhang reißen.

Zum Beispiel, nach seiner ersten Rede über den Zustand der Union vor dem amerikanischen Kongress, tweetete Donald Trump, dass seine Rede die am häufigsten gesehene in der Geschichte sei. Er berief sich dabei auf eine Studie eines Instituts für Statistik. Aber in Wirklichkeit unterließ er es, darauf hinzuweisen, dass diese Studie tatsächlich hervorhob, dass seine Rede die am häufigsten gesehene in der Geschichte war... aber nur im Kabelfernsehen.

Und das wird besonders gefährlich, wenn Informationen eine Rolle bei der Entscheidungsfindung und vor allem bei Wahlen und Abstimmungen spielen sollen. Wenn die Entscheidung auf Desinformation beruht, könnte dies das Wahlergebnis verzerren, mit nachhaltigen Folgen für die Integrität der Wahlen.

Aus diesem Grund hat die Europäische Union, genauer gesagt die Europäische Kommission, eine hochrangige Expertengruppe für Fake News und Online-Desinformationen aufgebaut. Im Vorfeld der Europawahlen 2019 fühlt sich die EU durch Fake News bedroht, insbesondere durch die zweifelhaften Präzedenzfälle im Rahmen des Brexit und der Wahl von Donald Trump.

Was kann diese hochrangige Expertengruppe gegen gefälschte Nachrichten unternehmen?

DFM: Diese Gruppe zielt darauf ab, die verschiedenen Standpunkte zwischen all den unterschiedlichen Akteuren zusammenzubringen: Forscher, Journalisten, Vertreter der sozialen Medien und Verbände der Zivilgesellschaft. Dieser von der Generaldirektion Connect initiierte und von Kommissionsmitglied Mariya Gabriel beaufsichtigte Prozess der Mehrparteien-Konsultation, der im Rahmen verschiedener Sitzungen durchgeführt wurde, zielte darauf ab, ein gemeinsames Dokument auszuarbeiten, das politische Initiativen zur Bekämpfung von Fake News und Desinformationen, empfiehlt, um diesen dann den Akteuren zur Verfügung zu stellen. Der Bericht wurde am 12. März veröffentlicht.

Die Teilnehmer hoffen, dass diese Gruppe einen Konsens erzielt oder zumindest klärt, welche Vereinbarungen möglich sind, und weisen gleichzeitig auf Meinungsverschiedenheiten hin. Es ist ein katalytischer Prozess, der für komplexe Fragen optimal ist, wenn es keinen einzigen Akteur gibt, der alle Antworten hat. Der Prozess könnte sogar die Grundlage für einen künftigen Legislativvorschlag der Europäischen Kommission bilden, auch wenn die Selbstregulierung oder gar eine ausgehandelte Ko-Regulierung zunächst die bevorzugte Lösung für alle ist. Ziel ist es, in dieser kontroversen Debatte zu bleiben, die immerhin Teil eines gesunden demokratischen Prozesses ist, ohne Panik oder Zensur nachzugeben.

Indem wir ein Debatte auf der Ebene der EU-27 durchführen, lautet die Botschaft auch, dass wir gemeinsam stärker sind, als wenn jedes Land separat handeln würde. Dies ermöglicht mehr Glaubwürdigkeit gegenüber Drittländern, die sich in europäische Angelegenheiten einmischen wollen. Manchmal kann es ausreichen, eine etwas stärkere Botschaft zu senden, damit der Status quo voranschreitet.

Europa ist jedoch nicht homogen. Einige Länder sind bei der Einführung unabhängiger Medien mehr oder weniger reif, während andere mehr oder weniger von Fake News beeinflusst werden können. Einige fühlen sich stärker bedroht, wie die mittel- und osteuropäischen Länder oder die baltischen Länder, aber dies sind oft auch jene Mitgliedstaaten, in denen Medien manchmal Schwierigkeiten haben, ihrer Arbeit nachzugehen.

Welche Vorschläge würden Sie empfehlen, um gegen Fake News vorzugehen, nachdem Ihre Gruppe gerade ihre Arbeit beendet hat?

DFM: Ich würde davon abraten, Inhalte zu zensieren. Erstens, weil es in einer Demokratie unmöglich ist, aber auch, weil sich das, was auf den ersten Blick als Fehlinformation erscheint, als echte Information erweisen kann, wie zum Beispiel das „Penelope Gate“ (Anm. der Redaktion: In dem Skandal um die Bezahlung von François Fillons Frau Penelope Fillon wurden anfängliche Informationen fälschlicherweise als Fake News dargestellt). Und das ist ein zentraler Punkt von Unklarheit des Projekts von Emmanuel Macron, der ein Gesetz gegen Fake News in Wahlperioden wünscht, denn dies ist auch die Zeit, in der die Debatten am intensivsten und die Kritik am härtesten ist.

Es geht also nicht zwingend um die Wahrheit, sondern um die Zuverlässigkeit und Verantwortung der Plattformen, die im Übrigen bereits einige Verantwortung übernommen haben. Facebook beispielsweise hat die Einstellung von Tausenden neuen Mitarbeitern angekündigt, um gegen Fake News vorzugehen. Aber die Plattformen haben bereits erreicht, was sie im Rahmen ihrer Eigeninitiative erreichen konnten.

Ziel ist es daher, sie zu ermutigen, strukturelle Veränderungen vorzunehmen, um der Verbreitung von Desinformationen entgegenzuwirken, insbesondere durch mehr Transparenz und Verantwortung, sowie durch einen von der gesamten Branche angenommenen Verhaltenskodex, mit der glaubwürdigen Drohung einer Untersuchung, wenn sich die Situation nicht verbessert. Die Idee ist auch, die sozialen Medien zu ermutigen, ihre Algorithmen neu zu konfigurieren, damit sie echte, qualitativ hochwertige Fakten emotionalen und sensationsgierigen Inhalte vorziehen und Rechenschaftsberichte über Fake News veröffentlichen. Daher ist es notwendig, gleichzeitig an der Identifizierung von Websites und Orten zu arbeiten, von denen Desinformationen stammen, und die Suche nach hochwertigen Informationen zu fördern.

Gibt es andere Möglichkeiten, um Fake News zu bekämpfen?

DFM: Natürlich. Wir könnten auch die GAFAM (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft), die viel mit Nachrichten im Allgemeinen verdienen, ermutigen, mehr Steuern in den Ländern zu zahlen, in denen sie sich befinden. Dieses Geld könnte für die Finanzierung hochwertiger Informationen (deren Produktion sehr teuer geworden ist), für Schulungen für Journalisten, damit sie gefälschte Nachrichten besser identifizieren können, und für Gruppen, die für die Verfolgung von Fake News und die Produktion sachlich gestützter Leugnungen zuständig sind, verwendet werden. Einige Referenzmedien haben bereits damit begonnen, z.B. Le Monde mit ihren Décodeurs und Décodex in Frankreich (unter anderem mit finanzieller Unterstützung von Google).

Und dann ist da noch die Bildung für Medien, die Informations- und die digitale Kultur, sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene. Ziel muss es sein, die Menschen so früh wie möglich zu erziehen, damit sie einen kritischen Geist entwickeln und einen wissenschaftlichen Ansatz erwerben können, der es ihnen ermöglicht, Informationen über Massenmedien (z.B. Social Media) besser zu analysieren, zu verstehen, wie Algorithmen und große Daten grundsätzlich funktionieren, etc. Die Sorbonne Nouvelle war zwischen 2005 und 2015 mit der Schaffung eines Masterstudiengangs in „Informatikanwendungen: Management, Medienausbildung, E-Learning“ aus einer flexiblen und interdisziplinären Perspektive heraus ein Vorreiter in diesen Fragen.

Dieses Interview wurde ursprünglich von unserem Partner Eurosorbonne durchgeführt.

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