Digitaler Widerstand in Europa

, von  Moritz Hunger

Digitaler Widerstand in Europa

Das Thema digitale Überwachung ist in Deutschland und Europa durch den NSA-Skandal aktueller denn je. Netzaktivisten fordern Datenverschlüsselung für jedermann. Die EU befindet sich am Scheideweg: Sie könnte Vorreiter beim Datenschutz werden und ein Grundrecht auf Privatsphäre etablieren – oder eben nicht. Auch beim taz.lab am vergangenen Wochenende war das Thema präsent.

Jährlich lädt die taz gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung zu der politischen Veranstaltungsreihe in Berlin ein. Unter dem Motto „I love EU – Solidarität ist machbar“ diskutierten diesmal Experten, Politiker und Journalisten unter anderem über Ukraine-Krise, europäische Energiewende, Jugendarbeitslosigkeit und Migration. Mit dabei waren auch der deutsch-französische Fernsehsender Arte, der Ökostrom Anbieter Lichtblick, der Think Tank „Das Progessive Zentrum“ und viele andere, die sich zum Thema Europa positionieren und auf die kommende Wahl am 25. Mai aufmerksam machen wollten.

Die Datensammelwut der Behörden

Unter dem Slogan „Digitaler Widerstand: Der Kampf gegen Überwachung“ widmete sich das taz.lab in einer besonderen Veranstaltungsreihe der digitalen Überwachung. Ein Thema, das in Deutschland und Europa aktueller ist denn je: Snowden-Asyl, NSA-Affäre, Assange-Hausarrest, Vorratsdatenspeicherung.

Spätestens seit der NSA-Affäre letzten Sommer ist klar, dass die Massenüberwachung allgegenwärtig ist. Die Datensammelwut der Geheimdienste ist dabei grenzenlos. Mit Unterstützung von Google, Facebook und Co. wird unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung fleißig gesammelt: Orte, Gesprächspartner, Suchbegriffe, Online-Bestellungen. Jede einzelne Information an sich scheint harmlos, doch zusammen geben die Daten einen vollen Einblick in die Privatsphäre jedes Bürgers. Dabei hilft den Geheimdiensten der Geltungsdrang der heutigen Gesellschaft. Durch das rege Posten in sozialen Netzwerken sind wir bereit, den Datensammlern unsere Vorlieben mitzuteilen.

„Unschuldige Daten gibt es nicht“

Wozu werden diese Daten verwendet? Die Netzaktivistin und Piratenpolitikerin Anke Domscheidt-Berg veranschaulichte auf einem Panel beim taz.lab den Missbrauch von Dateninformationen am Beispiel der DDR. Sie selbst sollte als Stasi-IM ihre Kommilitonen an ihrer Hochschule ausspionieren. Ihr Vater war damals Alleinernährer der Familie. Damit sie mitmacht, missbrauchte der DDR-Geheimdienst diese Information mit der Drohung, er könne wegen ihrer mangelnden Kooperation seinen Job verlieren. Nicht genug, hatte sich die Kunststudentin Domscheidt-Berg zudem kurz zuvor für einen Studienaufenthalt an einer Hochschule in Paris beworben. Der Stasi-Beamte bot ihr an, sie könne das Stipendium gewinnen. Für DDR-Bürger ein unglaubliches Angebot. Doch Domscheidt-Berg lehnte ab.

Zwar ist die DDR seit über 20 Jahren passé, doch es gibt zahlreiche Beispiele aus der Gegenwart, die ähnliche Geschichten schreiben: Johannes Niederhauser berichtete im Herbst 2013 von einer geplanten Einreise in die USA, die ihm aufgrund einer E-Mail verwehrt wurde. Der Journalist war aus Recherchezwecken in die Staaten geflogen, um einen Bericht über die dortige Musikszene zu schreiben. Nebenbei wollte er selbst mit seiner Gitarre durch die Bars der Südstaaten ziehen. Der Grenzbeamte am Flughafen von Minneapolis, wo Niederhauser einreisen wollte, hatte Zugriff auf eine seiner E-Mails mit einer Bar in Nashville, die ihm als „Bezahlung“ ein Essen angeboten hatte. Ohne Arbeitserlaubnis durfte er aber in den USA nicht arbeiten. Niederhauser musste zurück nach Deutschland fliegen. Für die Netzaktivistin Anke Domscheidt-Berg ist deswegen klar: „Unschuldige Daten gibt es nicht.“

Kann die EU etwas gegen Datenklau tun?

Vergangene Woche beschloss der Europäische Gerichtshof, dass die „Speicherung von Kommunikationsdaten ohne Verdacht auf Straftaten“ nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Dadurch wurde die bestehende Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Diese hatte Telekommunikationsbetreibern und Internetanbietern vorgeschrieben, Verbindungs- und Standortdaten für eine etwaige Strafverfolgung zu speichern. Ein Guter Tag für den Datenschutz in Europa. Das Urteil wird von Aktivisten bereits als „Zeitenwende im europäischen Grundrechtsschutz“ gefeiert.

Dennoch gibt es beim Datenschutz in Europa noch viel zu tun. Ein Problem sind die Standorte der Internetprovider. So befinden sich viele Daten de facto auf amerikanischem Staatsgebiet. Angela Merkel und François Hollande haben sich jüngst getroffen, um eine Lösung für dieses Problem zu besprechen: Das europäische Internet. Dieses würde zwar die amerikanische NSA davon abhalten, an unsere Daten zu kommen, aber wer verspricht uns, dass die europäischen Regierungen nicht ähnlich frivol mit unseren Daten umgehen?

Hilfe zur Selbsthilfe

Das taz.lab Panel mit dem absichtlich militant gewählten Titel „Die Abwehrschlacht“ kommt zu dem Fazit, dass stärkere Medienkompetenz eine Lösung gegen die digitale Überwachung sein könnte. Experten müssten die Menschen in Verschlüsselungssoftware wie Truecrypt oder PGP schulen, um so den Datensammlern Einhalt zu gebieten. Passieren müsste dies schon in der Schule, denn vor allem Teenager und Jugendliche sind in sozialen Netzwerken naiv aktiv. Das Problem sei das „mangelnde Verständnis, was Daten sind und wie sie verwendet werden“, sagte die Piratin Marina Weisband, die neben Domscheidt-Berg, Hauke Gierow, Anne Roth und Sebastian Mondial am Panel teilnahm, das von Martin Kaul von der taz moderiert wurde.

Es liegt also an uns, mit unseren Daten sorgfältiger umzugehen. Noch steckt die netzpolitische Zivilgesellschaft Europas in den Kinderschuhen. Sie muss sich emanzipieren, um ein Gegengewicht zu den Regierungen bilden zu können. Nur so kann ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass unsere Daten im täglichen Gebrauch geschützt gehören. In ein paar Jahren gehen wir dann hoffentlich mit Verschlüsselungssoftware so um, wie heute mit Facebook, Twitter und Google.

Auch in Deutschland werden regelmäßig Online-Daten von der Regierung angefordert. Facebook stellte vergangene Woche zum zweiten Mal seinen Transparenzbericht vor, der aufzeigt, wie häufig das soziale Netzwerk im Jahre 2013 Daten an Regierungen herausrückte. In Deutschland gab es demnach im zweiten Halbjahr insgesamt 1.687 staatliche Anfragen zu Nutzerdaten. Daraufhin wurden 84 Posts verändert, oder gelöscht, also in die Privatsphäre und Meinungsfreiheit der Bürger von staatlicher Seite eingegriffen. Für Domscheidt-Berg der „Anfang für einen digitalen Totalitarismus.“

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