Die vor fünfundzwanzig Jahren ins Leben gerufene Visegrád-Gruppe, bestehend aus Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, ist ohne Zweifel zu einer der nachhaltigsten Vereinigung in Mitteleuropa geworden. Das Ziel war, die schnelle europäische Integration dieser Länder voranzutreiben. Im Jahre 2004 sind alle vier der EU beigetreten.
Seitdem sind zwölf Jahre vergangen und vieles hat sich verändert. Die vier Staaten haben immer wieder nach Zielen gesucht, die man zusammen realisieren könnte. Eine Herausforderung wie die Expansionspolitik Russlands gen Westen war früher nicht auf der Agenda. Konsens, wie die Visegrád-Staaten darauf reagieren sollen, war Fehlanzeige. Die größte Abweichung – trotz aller offiziellen Bekundungen – zeigt sich zwischen den Konzepten Polens und Ungarns.
Polen
Die polnischen Regierungen hatten das Ziel, die Entfernung zwischen Mitteleuropa und Russland auszudehnen. Das Konzept Mitteleuropa der neuen polnischen Regierung geht auch in diese Richtung, ihr geht es nicht bloß um eine Zusammenarbeit dieser Völker, sondern um die enge wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit der Länder zwischen den Meeren (Międzymorze) Adria, Ostsee und Schwarzes Meer.
Die gegenwärtige polnische Regierung – wie alle ihre Vorgänger in den 20er-und 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts – vertritt die Ansicht, die engere Zusammenarbeit dieser Staaten wäre die Garantie für Sicherheit, Unabhängigkeit der Energieversorgung und würde Russland von weiteren Expansionen abhalten. Ein solches Bündnis könnte für Polen auch den Status als „Mittelmacht“ sichern. Laut polnischen Experten wären die Staaten im Dreieck Adria-Ostsee-Schwarzes Meer wirtschaftlich stark genug, um im Wettbewerb mit Deutschland oder anderen Ländern des EU- Zentrums zu bestehen. Polens Regierung erkennt die Annektierung der Krim durch Russland nicht an, sie spricht beharrlich vom ukrainisch-russischen Krieg. In diesem Konflikt steht sie eindeutig auf der Seite der Ukraine. Das Dreieck Adria-Ostsee-Schwarzes Meer wäre also stark atlantisch geprägt, denn hier sind sowohl die NATO als auch die USA militärisch präsent.
Der polnische Standpunkt: Die V4 sollten gegenüber Brüssel kritisch sein, sich bemühen, den gegenwärtigen Mechanismus der EU zu verändern und dafür mehr Mitstreiter zu gewinnen. Die V4 sollten keine Einwanderer akzeptieren, doch in dieser Frage ist Polen eher reserviert. Andererseits sollten die Visegrád-Staaten zu Russland Abstand halten und das Streben der Ukrainer nach Unabhängigkeit und territorialer Souveränität unterstützen. Laut polnischer Vorstellung könnten die V4 mit Hilfe des Konzeptes Dreieck Adria-Ostsee-Schwarzes Meer verstärkt/ausgedehnt werden. Sie sollten schlussendlich das östliche Bollwerk der NATO werden. Polen möchte seinen Willen in den Schicksalsfragen der EU auch mit Hilfe der V4 durchsetzen.
Ungarn
Die ungarische Regierung hat sich in den letzten Jahren um Mitteleuropa kaum gekümmert, der Einfluss von Politikern, die sich für eine mitteleuropäische Identität stark machen, hat sich verringert, viele haben die staatlichen Institutionen verlassen. Für die ungarische Regierung hat die Visegráder Gruppe erst letztes Jahr wieder an Bedeutung gewonnen, als nämlich die massenhafte Einwanderung vom Nahen Osten begann. Dann hat sich Budapest die provisorische Unterstützung von Warschau, Prag und Bratislava geholt, denn in diesen Ländern – wie in Ungarn - lehnt die Mehrheit der Bevölkerung eine Flüchtlingsquote von der EU ab. Dennoch kann man hier über irgendeine mitteleuropäische Strategie nicht sprechen. Das Ziel der Orbán-Regierung war lediglich, in der EU weitere Befürworter für ihre Ablehnung zu gewinnen. Natürlich ist die Flüchtlingsfrage eminent wichtig, doch hat sie mit echten Fragen der Zusammenarbeit der Visegrád-Gruppe nichts zu tun. Der ungarische Standpunkt: Der polnische Wiederstand gegen Brüssel ist richtig. Der Unterschied: im Gegensatz zu Polen schreckt die ungarische Führung davor nicht zurück, Brüssel zu erpressen. Geht es nach Viktor Orbán, sollten die V4 mit Russland pragmatische, politische sowie gute wirtschaftliche Kontakte pflegen. Wie man sieht, deckt sich der ungarische Standpunkt mit dem polnischen lediglich im Bezug auf Brüssel. Die Ukraine-Krise darf laut Budapest die Beziehungen nicht stören und mit den USA sollten die V4 nur eine lockere NATO-Beziehung haben.
Es ist in der Tat so, dass Ungarn auch in sicherheitspolitischen Fragen seinen eigenen Weg geht. Allerdings kann es die Politik der V4 weder anhand seiner ökonomischen Leistungen, noch mit seinem geringen internationalen Einfluss nachhaltig bestimmen. Vielmehr besteht für Ungarn die Gefahr, dass es sich isoliert, denn Polen ist der ausschlaggebende Staat, der imstande ist, die anderen Staaten in Mittel/Osteuropa auf seine Seite zu ziehen. Die Position Warschaus stärkt, dass es Tschechien und die Slowakei leicht zu überzeugen vermag. Auch weil in Prag Stimmen laut werden, die den Austritt der Tschechischen Republik aus dem Verbund der V4 fordern. Daran kann ernsthaft nur gedacht werden, wenn unter den V4 die Mehrheit aus der EU austreten wollte, während die tschechische Regierung und die Bevölkerung mehrheitlich für die EU sind.
Tschechien und Slowakei
Wie reagieren die beiden anderen Länder der V4? Die Standpunkte Tschechiens und der Slowakei sind nicht eindeutig. Anfang 2015 suchten beide die Zusammenarbeit mit Österreich. Viele haben zu dieser Zeit die Auflösung der V4 thematisiert, dann hat die Flut der Migranten vom Nahen Osten das Bündnis gerettet. Der gemeinsam festgelegte Standpunkt hatte alle anderen wichtigen, ungelösten Probleme unter den Teppich gekehrt. Hier muss man feststellen, dass die gemeinsame Ablehnung von Flüchtlingen, selbst wenn sie in diesen Ländern von der Bevölkerung mehrheitlich befürwortet wird, auch dem Interesse Russlands entgegenkommt - zu Ungunsten von Brüssel und Berlin. Anders gesagt, all das steht im Widerspruch zu den ursprünglichen Zielen der V4. Gleichzeitig kann man nicht behaupten, dass Prag und Bratislava sich auch in anderen Angelegenheiten hinter die ungarische Regierung stellen möchten. Nicht nur weil in beiden Ländern die Sozialisten am Ruder sind, sondern weil beide Regierungen sich eher Richtung USA orientieren. Tatsächlich lehnen beide – wenn auch etwas leiser als die Ungarn – die Sanktionen gegen Russland ab, pflegen jedoch zu Russland nicht annähernd so gute Beziehungen wie Budapest.
Die Diskussion über Zusammenarbeit der Visegrad Staaten untereinander wird wesentlich auch vom wirtschaftlichen Kräfteverhältnis innerhalb der Region beeinflusst. Polen ist die achtgrößte Volkswirtschaft in der EU, selbst wenn der pro Kopf BIP weit hinter dem EU-Durchschnitt liegt. Polen war der einzige Staat in Europa, der eine wirtschaftliche Rezession in 2008/2009 vermeiden, beziehungsweise das größte Wachstum auf dem Kontinent aufweisen konnte, sein pro Kopf BIP ist mehr als 100 Milliarden Dollar höher als das Tschechiens, der Slowakei und Ungarns zusammen. Im Pro Kopf BIP folgen Tschechien und die Slowakei, während Ungarn weit nachsteht. Doch, die gesamte V4 Gruppe ist mit Deutschland verglichen nicht wettbewerbsfähig, dessen BIP viermal so hoch ist wie die V4-Staaten zusammen. Die verhältnismäßig große wirtschaftliche Bedeutung Polens ist in der Region unstrittig und die dynamische Entwicklung wird seine Führungsrolle zukünftig noch verstärken. Darum ist Polen bemüht, sich Sicherheit und Garantien zu verschaffen.
Bewährungsproben für die V4: Russland und Flüchtlingspolitik
Seitdem auf dem NATO-Gipfel im Juli, an dem auch Obama teilnahm, fast alle polnischen Vorschläge teilweise oder gänzlich angenommen wurden, hat Polen an Bedeutung gewonnen. Es herrschte Konsens darüber, dass Russland einer der Hauptverursacher der globalen Verunsicherung ist, weswegen die NATO nunmehr vier Bataillone nach Polen und in die baltischen Staaten verlegt. Auch Ungarns Vorschläge wurden auf dem Gipfel nicht ignoriert. Dementsprechend wird die NATO Aufgaben beim Schutz der Seegrenzen Europas übernehmen. Dies ist wichtig bei der Kontrolle von illegaler Einwanderung. Man kann behaupten, dass Polen das wichtigste östliche Bollwerk des euroatlantischen Verteidigungsbündnisses geworden ist.
Dennoch wird die Flüchtlingskrise voraussichtlich nicht in Mittel/Osteuropa gelöst, daher dürfte es den Visegrád-Staaten schwerfallen, dieses Thema lange auf der internationalen Agenda zu halten und so ihre scheinbare Einheit zu demonstrieren. Wiederum ist es unwahrscheinlich, dass die polnische Regierung eine führende Rolle innerhalb der NATO bekleidet, während sie in der EU die euroskeptischen Kräfte unterstützt.
Warschau erweckt jetzt den Eindruck, als wäre es sich dieses Problems bewusst. Ungarn wird vorläufig der polnischen Linie nicht folgen, mehr noch: Viktor Orbán ist in seiner jährlichen Rede im rumänischen Băile Tușnad offen für Donald Trump eingetreten. Die Reaktion darauf seitens der anderen drei Visegrád Staaten steht noch aus…
1. Am 29. August 2017 um 21:46, von Ich Als Antwort Die Visegrád-Staaten auf dem Scheideweg
Selten dämlich geschrieben und sichtbar von einem Einwohner dieser lächerlichichen V4 Länder verfasst. Ich sage mal nur V2 auf euch! Und bitte tretet alle aus der EU aus, keiner wird euch vermissen! Und die Kosten, welche wir dadurch sparen würden in good old Germany... Tschüß.
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