Interview mit Karin Settele zur Lage von Geflüchteten in Bosnien-Herzegowina

„Die meisten von ihnen warten, dass die Zeit vergeht.“

, von  Ella Witzke

„Die meisten von ihnen warten, dass die Zeit vergeht.“
Foto: Alea Horst; Zur Verfügung gestellt von Help e.V.

Seitdem Ungarn und Kroatien 2016 die EU-Außengrenzen schlossen, ließen Migrationsbewegungen in die EU über die Balkanroute nach. Mit dafür verantwortlich ist auch das im gleichen Jahr beschlossene Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Doch auch wenn die Menschen nicht mehr in die Europäische Union gelangen, hat sich die Lage in vielen Krisengebieten nicht gebessert. Folglich sehen sich weiterhin zahlreiche Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Europa. Dabei versuchen viele, über die bosnisch-kroatische Grenze in die EU zu gelangen. Erfolgreich sind die wenigsten und so stranden viele Geflüchtete in Bosnien und Herzegowina, einem Land, das selbst noch mit den Folgen eines Bürgerkrieges zu kämpfen hat.

Die Nichtregierungsorganisation (NRO) „Help – Hilfe zur Selbsthilfe“ ist bereits seit 1995 in dem Land aktiv und half vor allem nach dem Kriegsende 1995 bei der Wiedereingliederung von während des Krieges geflüchteten Bosnier*innen, sowie bei Minenräumungen, Aufbau- und Einkommenshilfen.

Seit der faktischen Schließung der Balkanroute 2016 hilft Help zudem den an der Grenze zu Kroatien strandenden Menschen. Doch welche finanziellen und humanen Kapazitäten haben ein noch vom Krieg gezeichnetes Land und seine Einwohner schlussendlich, um die hilfesuchenden Menschen zu versorgen? Einen Einblick dazu hat uns die leitende Geschäftsführerin von Help, Karin Settele, verschafft.

Frau Settele, Sie haben die bosnischen Geflüchteten-Camps persönlich erlebt. Wie haben Sie die Lage dort wahrgenommen?

Allgemein kann man sagen, dass wir in Bosnien-Herzegowina zwei verschiedene Situationen vorfinden. Zum einen das wiederaufgebaute Camp in Lipa. Dort leben jetzt nahezu 900 bis 1.000 Menschen in Flüchtlingszelten. Die haben Wärme, die haben Essen, deren Versorgung ist vorläufig gesichert. Es ist zwar nicht schön, wenn Menschen im Winter im Zelt leben müssen und eine unklare Zukunft haben, aber es ist vom humanitären Ansatz ausreichend. Dann leben nochmal weitere 1.000 Menschen in anderen Lagern rund um Lipa. Das können verschiedene Häuser oder Einrichtungen sein. Bei Frauen und Kindern wird versucht, sie in Hotels oder anderen Unterkünften unterzubringen.

Wirklich schwer zu versorgen sind jedoch die etwa 1.000 Menschen, die in den Wäldern nahe Lipa leben. Das sind unter anderem Familien und schutzbedürftige Minderjährige, also nochmal eine ganz andere Hausnummer. Diese Menschen versuchen immer wieder den Weg über die Grenze zu finden. Teilweise wurden sie bis zu 30-mal von Grenzbeamten aufgehalten und, man kann es nicht anders sagen, zurückgeschlagen. (Anmerkung: Push-Backs, also illegale Zurückweisungen der kroatischen Grenzbeamten, wurden von mehreren Hilfs-Organisationen bestätigt).

Können Sie eine ungefähre Zahl der momentan in Bosnien lebenden Geflüchteten nennen?

Ungefähr 8.000. Und davon etwa 75 Prozent aus irakischer, iranischer, palästinischer, pakistanischer, afghanischer, marokkanischer, algerischer oder bangladeschischer Herkunft. Die meisten von ihnen warten, dass die Zeit vergeht.

Und wie lange warten manche schon?

Das kann ich nicht genau sagen, aber da kann man sicher schon in Jahren rechnen. Die Hoffnungslosigkeit ist greifbar. Und selbst wenn die Menschen irgendwann in die EU gelängen, und man dort die entsprechenden Asylverfahren anwenden würde, würden sicherlich auch Menschen zurückgeschickt werden.

Gibt es Spannungen innerhalb der Camps?

Momentan ist es wirklich in Ordnung. Schlimm war es, als Teile des Camps in Lipa angezündet wurden. Da kam es zu Verteilungskämpfen, weil eben nicht genug geliefert wurde. Aktuell ist es weitgehend ruhig, da es genug vom Wenigen für alle gibt.

Wie ist die Spendenlage allgemein? Das Thema findet ja nicht unbedingt regelmäßig seine Erwähnung in den Medien.

Wir müssen versuchen, immer wieder die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Und es ist für uns unglaublich wichtig, dass die Situation in den Medien dargestellt wird, denn nichts wird so schnell vergessen wie das Elend von Menschen. Es besteht kein Automatismus, dass solche Krisen-Situationen die ganze Zeit in den Köpfen der Menschen sind.

Seit wann ist Help in Bosnien-Herzegowina in Zusammenhang mit Geflüchteten tätig?

Seit mehr als drei Jahren. Das hing mit der Grenzschließung Ungarns und Kroatiens 2016 zusammen. Natürlich haben wir auch in den vorherigen Jahren mit intern Vertriebenen gearbeitet.

Und mit welchen Organisationen und regionalen Regierung arbeitet Help zusammen?

Eine nicht vor Ort tätige, aber finanziell unterstützende Organisation, ist Action Medeor (Notapotheke der Welt). NAK-karitativ unterstützt uns finanziell, ist aber auch operativ in Bosnien. Als Organisation, die wirklich permanent am Menschen dran ist, ist SOS Bihac zu nennen. Da sind aktuell 30 Mitarbeiter*innen aktiv. Und dann kooperieren wir noch mit dem Roten Kreuz. Ansonsten arbeiten wir viel mit den bosnischen Gemeinden zusammen. Die große Schwierigkeit ist allerdings, dass nach dem Waffenstillstandsvertrag von Dayton 1995 (Anm. d. Red.: Der Friedensvertrag beendete den Bosnienkrieg, der Teil des drei Jahre andauernden Jugoslawienkrieges (1993 - 1995) war), jede kleinste Einheit im Land unglaublich viel Macht hat. Bosnien-Herzegowina ist das Land mit den meisten Minister*innen auf allen Ebenen. Das hat man vor allem gesehen, als vor Weihnachten das Camp in Lipa abbrannte und die Menschen in andere Lager nahe Sarajewo gebracht werden sollten. Die Bewohner*innen der Region nahe der Hauptstadt wehrten sich dagegen und verhinderten somit die Aufnahme. Daran erkennt man, dass das Land einen relativ schwachen Zentralstaat hat, der nationale Beschlüsse nicht in den Gemeinden durchsetzen kann.

Sie haben jetzt den Bürgerkrieg in Bosnien und die eher schwache Zentralregierung bereits angesprochen. Wie steht es um die Einheit in dem Land?

Das Land in sich ist so instabil, dass viele Bosnier*innen selbst keine Zukunft für sich und ihre Kinder sehen. Deswegen emigrieren sie und suchen Arbeit in Zentraleuropa, England, in Kanada oder Amerika.

Diese Instabilität kommt auch daher, dass Bosnien und Herzegowina seit dem Friedensvertrag in zwei Territorien unterteilt ist. 49 Prozent des Landes werden überwiegend von den Republika Srpska bewohnt, das sind die bosnischen Serb*innen. Auf den restlichen 51 Prozent leben zum Großteil bosnische Kroat*innen. Das führt immer wieder zu Spannungen. Beispielsweise sagen die Republika Srpska kategorisch: „Nein, wir nehmen überhaupt keine Geflüchteten auf“. Auf der anderen Seite hat natürlich ein Teil der Menschen sowie die Zentralregierung das Interesse, die Menschen anständig zu versorgen, weil das auch eine Bedingung des EU-Aufnahmeverfahrens ist.

Können Sie eine Entwicklung der Lage erkennen oder ist die Situation seit drei Jahren ähnlich?

Nein, eine Entwicklung kann ich so nicht sehen. Man versucht immer wieder die Lage zu institutionalisieren, sprich die Situation durch Verantwortungsübernahme einer Institution in den Griff zu bekommen. Die EU gibt immer wieder Geld an die UN-Organisation International Organization for Migration (IOM). Die große Änderung, die einen wirklich großen Einfluss auf das Leben der Menschen dort hätte, wäre, wenn sie zu ihrem Recht kämen. Das heißt, dass ihr Asylstatus geprüft werden würde und entsprechende Verfahren in die Wege geleitet werden würden.

Sieht man denn, ob die von der EU bereitgestellten 90 Millionen Euro auch da ankommen, wo sie sollen?

Der Nachweis ist nicht immer gegeben. Wenn wir als NRO Geld kriegen, müssen wir das bis auf den letzten Cent dokumentieren. Öffentliche Geldgeber oder auch bilaterale Förderhilfen sind nicht ganz so durchsichtig.

Wie blicken Sie in die Zukunft? Glauben Sie an eine Besserung der Lage?

Eine positive Entwicklung für den Einzelnen sehe ich als schwierig an. Ich fürchte fast, dass irgendwann die Lösung kommt, dass man die Menschen in Flugzeuge setzt und in ihre Heimatländer fliegt. Nicht zuletzt, weil die europäisch-politische Angst besteht, dass, wenn man die Leute aufnimmt, noch mehr kommen.

Mehr Informationen zu Help e.V. - Hilfe zur Selbsthilfe

Karin Settele, Geschäftsführerin von Help e.V.

Karin Settele, gebürtig aus Ulm, studierte in Bochum Geografie und schloss erfolgreich als Diplom-Geografin ab. Seit 1992 arbeitet Settele für die Bonner Nicht-Regierungs-Organisation „Help – Hilfezur Selbsthilfe“. Nach diversen Einsätzen in Afrika koordinierte sie zwischen 1995 und 2007 das weltweite Krisenengagement und die Nothilfeeinsätze von Help, u.a. in Südosteuropa und Asien. Seit Oktober 2007 ist Karin Settele Geschäftsführerin von Help.

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