Anfang der 2000er Jahre hat die Europäische Union eine regelrechte Klima- und Energiepolitik angestoßen, die auf dem basiert, was nach und nach die „Energiewende“ wurde. Diese Politik baut auf zwei Grundsätzen auf: erstens der Energieeffizienz, die auf europäischer Ebene erstmals von François Lamoureux, Generaldirektor der Europäischen Kommission, in seinem Grünbuch im Jahr 2000 skizziert wurde, und zweitens der Entwicklung erneuerbarer Energien, insbesondere von Solar- und Photovoltaikenergie. Diese beiden Grundsätze bilden heute noch den Kern der europäischen Klima- und Energiepolitik.
Nach einer ersten Phase reger Rechtsetzungstätigkeit hat sich die EU mit einer solideren Rechtsgrundlage ausgestattet, damit ihre Klima- und Energiepolitik auch in Zukunft Bestand haben würde: Artikel 194 des Vertrags von Lissabon führt eine Energiepolitik ein, die auf der Einrichtung eines Energiebinnenmarktes und auf der Energiewende beruht. Das Klima- und Energiepaket „20-20-20“ aus dem Jahre 2008 ist ein grundlegender Gesetzestext: Bis 2020 sollen die erneuerbaren Energien 20% des europäischen Energiemixes ausmachen, die CO2-Emissionen sollen um 20% gegenüber dem Stand von 1990 zurückgehen und die Energieeffizienz soll um 20% verbessert werden. Der Gesetzestext schreibt ziemlich ambitionierte Ziele vor, die vor allem auch verpflichtend sind. Die Reform von 2014 für das Jahr 2030 war leider nicht genauso ambitioniert. [1]
Die Europäische Union ist also ein Vorbild in der Welt, wenn es um die Energiewende und den Kampf gegen den Klimawandel geht. Aber welche Rolle hat die Kommission Juncker bei der Bestimmung der Klima- und Energiepolitik gespielt?
Klima und Energie: eine echte Priorität
Der Beginn der Amtszeit Jean-Claude Junckers als Kommissionspräsident war von der anhaltenden europäischen Wirtschaftskrise geprägt. Im Rahmen seiner Antrittsrede hat Juncker zehn Prioritäten angerissen, die bis 2019 verfolgt werden sollten. An Platz drei steht die „Energie- und Klimaunion“, was wiederum belegt, dass die Energiewende eine wichtige Rolle bei der Ankurbelung der Wirtschaft spielt und dass Klima und Energie zwei verschiedene Seiten derselben Medaille sind: Es geht um eine emissionsarme Wirtschaft.
Zurzeit kümmern sich drei Kommissare um Bereiche, die mit der Klima- und Energiepolitik der Europäischen Union verbunden sind: Karmenu Vella (Umwelt), Miguel Arias Cañete (Klimaschutz und Energie) und Maroš Šefčovič (Energieunion), der gleichzeitig Vizepräsident der Kommission ist. Klima und Energie gehören also ganz klar zu den Prioritäten Junckers, obwohl die Lebensläufe seiner Kommissare zum Teil kontrovers sind, was ihren Einsatz für die Umwelt in der Vergangenheit angeht.
Energieunion, Juncker-Plan, COP 21: Diese Erfolge sind Verdienste der Kommission
Jean-Claude Juncker hat seinen Worten schnell Taten folgen lassen, indem er im Februar 2015 die Schaffung einer Energieunion ankündigte, die der europäischen Energiepolitik neue Impulse verleihen sollte. Die Energieunion soll den Europäer*innen eine sichere, preiswerte und klimagerechte Energie ermöglichen. Sie wird von fünf Prinzipien geleitet: Garantie der Energiesicherheit der EU durch Solidarität und Koordination zwischen den Mitgliedsstaaten, Vollendung des Energiebinnenmarktes, Erhöhung der Energieeffizienz in der Industrie und im Bausektor, Förderung von erneuerbaren Energien, und Investitionen in Forschung und Innovation im Energiebereich. Der Rahmen der Energieunion wird den Mitgliedsstaaten auferlegt: Sie müssen Pläne für die Zeit von 2021 bis 2030 erarbeiten, die im Einklang mit den fünf Prinzipien stehen. Seit 2015 veröffentlicht die Europäische Kommission Berichte zur Lage der Energieunion und unterstreicht hierin die Fortschritte bei der Umsetzung der Initiative.
Neben dieser reinen Klima- und Energiepolitik hat Jean-Claude Juncker im Juli 2014 die Einführung eines großangelegten Investitionsplans angekündigt, der die europäische Wirtschaft ankurbeln sollte. Der „Juncker-Plan“ ist seit 2015 voll funktionsfähig und hat es sich zum Ziel gesetzt, von 2015 bis 2018 Investitionen von 315 Milliarden Euro durch den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) zu mobilisieren. 21 Milliarden Euro sollen hierbei vom Europäischen Budget und der Europäischen Investitionsbank (EIB) kommen. Mit dem Juncker-Plan sollen 15-mal mehr Privatinvestor*innen angelockt werden, da diese in Krisenzeiten mehr staatliche Garantien benötigen. Das Ziel von 315 Milliarden Euro konnte im Juli 2018 erreicht werden, was die Kommission dazu veranlasst hat, den Juncker-Plan zu verlängern und ihn auf 500 Milliarden bis 2020 zu erhöhen. Dieser Investitionsplan ist eine gute Initiative der Europäischen Kommission und fördert Investiotionen in eine emissionsarme Wirtschaft.
Die Kommission Juncker kann sich auch rühmen, einige Erfolge in der Klima- und Energiediplomatie erzielt zu haben. Die Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015, auch bekannt als COP 21, stellte einen diplomatischen Erfolg dar: 195 Länder unterzeichneten das Übereinkommen von Paris. Das Übereinkommen zielt darauf ab, die globale Erwärmung auf 2°C gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Obwohl die Kommission Juncker nicht die erste war, die sich um klimapolitische Außenpolitik gekümmert hat, hat sie eine wichtige Rolle in der Unterzeichnung des Pariser Abkommens gespielt. Die EU hat das Übereinkommen im Oktober 2016 und damit weniger als ein Jahr nach Unterzeichnung ratifiziert.
Energieunion, Juncker-Plan, COP 21: Das sind die drei emblematischen Erfolge der Kommission Juncker, was ihre Klima- und Energie-Prioritäten angeht. Und doch sieht in der Europäischen Kommission nicht alles so rosig (oder grün) aus.
Chronische Ambitionsarmut?
Die Klima- und Energiepolitik leidet unter einem erheblichen Widerspruch: Der „Pro Energiewende“-Diskurs ist da, aber es folgen nicht immer konkrete Taten. Die Kommission ist nicht aktiv genug, vor allem was das Klima- und Energie-Paket 2030 angeht. Dieses Paket ist der Grundstein jeder Klima- und Energiepolitik. [2] Zur Erinnerung, das Paket beinhaltete eine innovative legilative Komponente: verbindliche nationale Ziele, die die Reduzierung von Treibhausgasen vorsehen. Somit soll erreicht werden, dass die EU in ihrer Gesamtheit bis 2020 ihren Emissionsausstoß um 20% verringert. Leider haben es Lobbys aus dem Energiebereich sowie staatliche Akteure geschafft, dass diese verbindlichen nationalen Ziele für 2030 nicht mehr gelten. Trotz der Tatsache, dass die entsprechende Überarbeitung des Klima- und Energiepakets unter der Kommission Barroso stattgefunden hat, hätte Jean-Claude Juncker sich für die Wiedereinführung der Verbindlichkeitsklausel einsetzen können. Aktuell ist nur das Ziel zur Reduzierung der Emissionen um 32% bis 2030 verpflichtend, allerdings haben die Mitgliedsstaaten freie Wahl, aus welchen Energiequellen sie ihren Energiemix zusammenstellen.
Kritik wird auch am Widerspruch zwischen der Ratifizierung des Pariser Abkommens und der Klimaziele geübt. Die EU habe sich im Rahmen des Klima- und Energie-Pakets 2030 „obsolete und wenig ambitionierte“ Ziele gesetzt, findet Jean-Pascal van Ypersele, ehemaliges Mitglied des IPCC. Tatsächlich wurde das Klima- und Energiepaket 2014, also ein Jahr vor der Unterzeichnung des Pariser Abkommens, abgeändert. Die Überarbeitungen beinhalten auch eine Erhöhung von 27% auf 32% des Anteils an erneuerbaren Energien, was zeigt, dass die EU trotz allem versucht, ihre klimapolitischen Ziele in Taten umzusetzen, auch wenn noch viel zu tun bleibt.
Es sind nicht nur die europäischen Institutionen, die sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, nicht engagiert genug zu sein. NGOs werfen den Mitgliedsstaaten regelmäßig vor, ihre Klimaziele nicht einzuhalten. Das gilt insbesondere für Frankreich, das bei der Umsetzung seiner Ziele immer mehr in Verzug gerät. Aber auch Deutschland ist betroffen, das seine Ziele für 2020 nach unten korrigieren musste. Die Bundesrepublik plant jetzt, die Treibhausgase um 32% gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, statt wie zuvor um 40%.
Bürger*innen müssen im Zentrum der neuen Klima- und Energiepolitik stehen
Die nächste Europäische Kommission wird 2019 ernannt und den Spuren der Kommission Juncker folgen, insbesondere was die Definierung einer neuen bürgerschaftlichen Klima- und Energiepolitik angeht.
Eine der bedeutsamsten Innovationen der Energieunion besteht im Willen der EU, die Bürger*innen ins Zentrum jeglicher Energie- und Klimapolitik zu rücken, statt sie nur als bloße Verbraucher*innen zu verstehen. Die soziale Innovation im Rahmen der Energiewende ist überaus wichtig, damit sich die Bürger*innen diese Energiewende aneignen können. Viel zu oft wird der Bereich der Energieinnovationen auf „technologische Überlegenheit“ reduziert. Klima- und energiepolitische Maßnahmen müssen sich daher von den Sozialwissenschaften inspirieren lassen, um besser auf die energetischen Bedürfnisse der Bürger*innen eingehen zu können.
Das ist umso dringender, als in den nächsten Jahren ein neues Ungetüm Europa heimsuchen wird: der „Karbopopulismus“. Mit der Wahl Donald Trumps, Rodrigo Dutertes oder Jair Bolsonaros wird nicht nur die Demokratie zerstört, sondern auch, wenn nicht sogar noch mehr, das Klima. Das rührt von ihrer pro-fossile-Energie-Haltung her, die katastrophale Folgen für die Artenvielfalt hat – denken wir beispielsweise an das Schicksal des Amazonas unter dem brasilianischen Präsidenten. Europa kann sich dieser gefährlichen Entwicklung nicht entziehen: Die polnische PiS-Partei ist gerade dabei, den letzten Primärwald Europas zu zerstören, die AfD ist größtenteils Befürworterin von Kohle und klimaskeptisch eingestellt, und der Brexit könnte zur Förderung von Schiefergas führen. Mehr als je zuvor muss der oder die nächste Kommissionspräsident*in – ob nach Spitzenkandidatenprinzip ernannt oder nicht – aus der Europäischen Kommission eine uneingeschränkte Unterstützerin einer bürgerschaftlichen und engagierten Energiewende machen, um gegen den Klimawandel zu kämpfen. Hierbei steht eine sehr wichtige Komponente zum Fortbestand des Projekts Europa auf dem Spiel.
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