Die GASP/GSVP – (k)eine Sprache der Macht?

, von  Lina Abraham

Die GASP/GSVP – (k)eine Sprache der Macht?
Josep Borrell mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Frühjahr 2022 EC Audiovisual Service / Christophe Licoppe / Lizenz

Wer europapolitische Medien konsumiert, stolpert gerne mal über den Begriff der europäischen, „Gemeinsamen Außen und Sicherheitspolitik“. Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges scheint die Zeitenwende auch in der EU angekommen zu sein. „Die Stärke unserer Union liegt in Einheit, Solidarität und Entschlossenheit“, so erklärt der „Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“, Josep Borrell, sein Ressort. Doch ist das wirklich so? Und was ist eigentlich die GASP/GSVP? Und wieso nennt man Borrell dann nicht „Außenminister“?

An der Brust Josep Borrells glänzt eine Pinnnadel in Form der EU-Flagge. „Die EU muss lernen, die Sprache der Macht zu sprechen“, sagt der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik. Er spricht langsam, betont jedes einzelne Wort. Die Szene ist Teil einer Pressemitteilung. Im März 2022, kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, veröffentlichte der Rat der Europäischen Union einen neuen „Strategischen Kompass“ zur gemeinsamen Sicherheit und Verteidigung.

Doch gibt es überhaupt eine einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik der EU?

Am Tenor des neuen Aktionsplans besteht kein Zweifel. Die EU soll bei Themen der Sicherheit und Verteidigung eine einheitliche Sprache sprechen. Doch die „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“, kurz GASP, ist ein heikles Thema. Erst 1992 wurde sie im Vertrag von Maastricht kodifiziert. Erste Versuche, außenpolitisch stärker zusammenzuarbeiten, scheiterten an der Angst Frankreichs vor einem Kompetenztransfer nach Brüssel. Denn Sicherheitsfragen sind Machtfragen – und berühren den Kern nationaler Souveränität.

Im Pressevideo im Frühjahr 2022 wechselt die Szene. Noch bevor Borrell das Wort „Macht“ zu Ende ausgesprochen hat, ertönt dramatische Musik. Soldat*innen laufen im Gleichschritt über den Bildschirm, ein Militärhubschrauber landet.

Entgegen der Videoaufnahme besitzt die EU keine eigene Armee. Die Union greift auf Ad-hoc-Streitkräfte aus den Mitgliedstaaten zurück, um weltweit Friedensmissionen in verschiedene Krisengebiete zu senden. Ad-hoc-Streitkräfte sind keine bestehende Truppe, sondern flexible Einsatzkräfte. Sie werden für bestimmte Mission in einem festgelegten Umfang eingesetzt. Für die militärische Ausstattung und das nötige Personal der Ad-hoc-Streitkräfte ist die EU auf den politischen Willen ihre Mitgliedstaaten angewiesen. So wie die GASP, ist auch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) von nationalen Interessen geprägt. Seit 1999 ist diese, damals noch unter dem Namen „ESVP“, ein eigenes Politik- und Handlungsfeld in der EU und integraler Bestandteil der GASP. 2009 änderte sich ihr Name im Vertrag von Lissabon zu „GSVP“. Auch mit einem neuen Namen bleibt das Mandat der GSVP begrenzt: Die Verteidigung des Unionsgebietes ist nicht vorgesehen. Mehr noch, nach Art. 42 Absatz 1 EUV ist ein Einsatz im Innern der EU sogar vertraglich ausgeschlossen. Die GSVP kann nur außerhalb der Unionsgrenzen eingesetzt werden. Laut der Website des Diplomatischen Dienstes der EU hat die Union seit 2003 36 zivile und militärische GSVP-Missionen durchgeführt.

Rechte und Pflichten

Die GSVP enthält auch eine wechselseitige Beistandsklausel. Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats soll diese eine wechselseitige Unterstützung der EU-Mitgliedsstaaten zusichern. Sprachlich erinnert die Klausel an Art. 5 des NATO-Vertrages. Politisch unterscheiden sich die beiden jedoch deutlich. Der NATO-Vertrag und die darin formulierte Beistandspflicht genießt Vorrang für die EU-Mitgliedsstaaten, die auch gleichzeitig NATO-Partner sind. Die Beistands-„pflicht“ der EU ist im Gegensatz zum Bündnispakt der NATO nicht obligatorisch, sondern freiwillig. Die Mitgliedstaaten können dem betroffenen Land durch Maßnahmen beistehen, müssen es aber nicht. 2015 rief der damalige französische Präsident Hollande erstmals die EU-Beistandspflicht aus. Nach einer Reihe von Anschlägen des sogenannten „Islamischen Staates“ in der französischen Hauptstadt Paris sah Hollande die Sicherheit Frankreichs bedroht. Von Art. 5 des NATO-Vertrages, der die „Anwendung von Waffengewalt“ durch die Bündnispartner ausdrücklich vorsieht, machte er jedoch keinen Gebrauch.

In Zeiten des Krieges – was kann die GASP überhaupt leisten?

Vor dem Hintergrund eines neuen, „feindlichen Sicherheitsumfelds“, wie es der neue Aktionsplan beschreibt, steht die GASP vor einem Dilemma. Die EU versteht sich als Friedens- und Wertegemeinschaft. Die EU-Verträge hindern die Gemeinschaft daran, militärische oder militärnahe Operationen zu finanzieren. Mangels eigener Armee kann die EU somit weder direkt noch indirekt militärisch aktiv werden. Im Ukrainekrieg bleibt der EU damit nur ein Schlupfloch. Aktuell ermutigt die Union ihre Mitgliedsstaaten mit einem speziellen EU-Fond, Waffen für die Ukraine zu kaufen. Die Ausgaben dafür werden von der Union ersetzt.

In Zeiten des Friedens greift die EU im Rahmen der GASP insbesondere auf diplomatische Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe zurück. Im Krisenfall sind restriktive Maßnahmen wie Wirtschaftssanktionen ihr wichtigstes Instrument. Seit der russischen Invasion in die Ukraine sind beispielsweise europaweit Transaktionen mit der russischen Zentralbank verboten. Sanktionen richten sich auch gegen Einzelpersonen. Für den russischen Präsidenten Putin und viele weitere, etwa hochrangige russische Militärs und Oligarchen, gilt ein EU-weites Reiseverbot. Zum Repertoire der GASP gehören zudem Waffenembargos, das Einfrieren von Vermögenswerten und sonstige wirtschaftliche Maßnahmen wie Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen.

Wer entscheidet in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Im neuen „Strategischen Kompass“ ist eine Person omnipräsent – Josep Borrell. Seit 2019 ist der Spanier das Gesicht der GASP und soll für ein gewisses Maß an Kontinuität sorgen. Gemeinsam mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, vertritt er als Hoher Vertreter die EU nach außen. Diese Funktion erinnert an die eines Außenministers – nur mit dem Unterschied, dass Borrell sich nicht so nennen darf.

Ein Versuch, sein Amt durch das eines gemeinsamen EU-Außenministers zu ersetzen, scheiterte 2004 mitsamt der Idee einer europäischen Verfassung. Nach einer feierlichen Unterzeichnung der Staats- und Regierungschefs, lehnte die Mehrheit der Französinnen*Franzosen und Niederländer*innen den Verfassungsentwurf in nationalen Referenden ab. Gegner des Verfassungsprojekts fürchteten den Verlust nationaler Souveränität. Der Vertrag von Lissabon, der 2009 die wesentlichen Elemente des EU-Verfassungsvertrags übernahm, wertet das Amt des Hohen Vertreters jedoch deutlich auf. Wie im eigentlichen Verfassungsvertrag vorgesehen, führt Borrell nun den Vorsitz im Rat für Auswärtige Angelegenheiten und ist gleichzeitig Vizepräsident der Europäischen Kommission. Damit bleibt ihm das Amt eines Außenministers nur symbolisch verwehrt.

Trotz der Medienpräsenz Borrells, bleibt der Europäische Rat – der „Club der Chefs“ – oberstes Gremium und Leitliniengeber der GASP. Für einen verbindlichen Beschluss müssen alle Regierungschef*innen zustimmen. Ganz im Sinne nationaler Hoheitsrechte kann jedes Mitglied einen Beschluss per Veto blockieren. Für das laufende Geschäft ist der Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ zuständig. Die Außenminister*innen der Mitgliedsstaaten müssen sich an die Leitlinien des Europäischen Rates halten und können ebenfalls nur einstimmig Entscheidungen treffen. Reformvorschläge, wie die des französischen Präsidenten Macron, der 2017 die Einführung der qualifizierten Mehrheit und einen Strukturwandel in der GASP forderte, fanden bis jetzt keine Zustimmung. Auch Olaf Scholz Forderung einer „Zeitenwende“ für die „verteidigungspolitischen Strukturen Europas“, bleib unbeantwortet.

Am Ende des Videos der Pressemitteilung weht die europäische Flagge. Ein Kreis aus gelben Sternen vor einem dunklen Hintergrund. Der Kreis symbolisiert Einheit und Geschlossenheit. Doch realpolitisch bestimmt den außenpolitischen Balanceakt weiterhin das Verfahren des kleinsten gemeinsamen Nenners.

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