Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral werden. Das heißt, sie soll ab 2050 nicht mehr klimaschädliche Gase ausstoßen, als sie wieder aus der Luft holen kann, beispielsweise mittels Kohlenstoffsenken durch Bewaldung. Dem Pariser Klimaabkommen von 2015 folgte der European Green Deal Ende 2019 als „Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft”. So weit, so beschlossen. Delara Burkhardt, SPD-Politikerin und jüngste deutsche Abgeordnete im EU-Parlament ist sich sicher: „Ohne Fridays for Future hätte es den European Green Deal nicht gegeben”. Ein Beweis dafür, dass das Engagement junger Menschen in der Klimakrise dringend gebraucht wird.
Dementsprechend hat die Europa-Union Deutschland (EUD) am 31. Mai 2021 den deutsch-skandinavischen Online-Jugenddialog „Young Europe - We have to talk! Perspectives for a sustainable future of Europe” veranstaltet. Burkhardt, die sich als Mitglied des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments täglich mit klimapolitischen Fragen beschäftigt, diskutierte zusammen mit Monika Skadborg, Vorsitzende des Dänischen Jugendklimarates und Botschafterin des Europäischen Klimapaktes. Clara Föller, Bundesvorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) Deutschland, moderierte die Veranstaltung und konfrontierte die beiden auch mit unter anderem folgenden Fragen der Teilnehmenden: Wie intersektional wird die Klimakrise von Politiker*innen gedacht? Wie kann man Klimapolitik sozial gerecht gestalten? Und was kann ich als junger Mensch tun?
Klimapolitik als Weihnachtsbaum
Bei der Umsetzung des European Green Deals hapert es: Ein kürzlicher Klima-Sondergipfel aller EU-Mitgliedstaaten in Brüssel blieb ohne Einigung. Skadborg, die aus der Klimabewegung kommt, ärgert das: „Schlechte Klimapolitik ist für Steuerzahler*innen schon in 20 bis 30 Jahren viel teurer, als wenn man jetzt ausreichend Geld in die Hand nimmt, um Klimaziele einzuhalten”. Zu viel Geld fließe nach wie vor in nicht-grüne Investitionen. Skadborgs Vorschlag: „Wir brauchen ‘Klima Mainstreaming’ im Haushalt der EU, denn wenn wir eine grüne Wirtschaft wollen, aber kaum Investitionen tätigen und einen großen Teil des Geldes des Haushaltes nicht anfassen, dann klappt das nicht.” Insbesondere staatliche Investitionen sind hier von Nöten, da viele Klima-Projekte erst sehr langfristig gesehen profitabel sein werden. Die EU muss also gemeinsam mit der Privatwirtschaft Geld für die ‘Klimawende’ bereitstellen. Skadborg vergleicht die aktuelle EU-Klimapolitik mit einem Weihnachtsbaum: Wünsche und Vorhaben würden zwar zahlreich geäußert, jedoch sei noch unklar, was letztlich unter dem Baum liegt, also konkret umgesetzt wird.
Graphic Recording des deutsch-skandinavischen Online-Jugenddialogs. Graphik zur Verfügung gestellt von Christine Oymann / Europa-Union Deutschland
Klimakrise als Chance für gerechten Strukturwandel
Neben den Beratungen zum Erreichen der Klimaziele stehen momentan auch Verhandlungen zum Erhalt der Biodiversität still und auch in der Gemeinsamen Agrarpolitik bewegt sich wenig. Dass Verhandlungen häufig blockiert werden, liegt vor allem am Einstimmigkeitsprinzip, das auch in Klimafragen gilt: Um ein Gesetz verabschieden zu können, müssen dem alle Mitgliedstaaten zustimmen. Ein schwieriges Unterfangen angesichts der Tatsache, dass beispielsweise osteuropäische Staaten, aber auch Deutschland, besonders von der Kohleindustrie abhängig sind und sich so mit dem Kohleausstieg schwerer tun. Denn dieser ist mit einem umfassenden Strukturwandel verbunden. Trotz der entsprechend oft langwierigen Verhandlungen, sind sich Delara Burkhardt und Monika Skadborg einig, dass für eine effektive Klimapolitik die EU eigentlich ausreichend Kompetenzen hat. Vielmehr scheitere es an der Umsetzung der EU-Richtlinien in den Mitgliedstaaten.
Die Schwierigkeiten vieler Mitgliedstaaten der EU ist in Teilen auf die hohe Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas zurückzuführen. Um Staaten, die stark von der Kohleverstromung abhängig sind, zu unterstützen, hat die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen den mit 17,5 Milliarden Euro ausgestatteten Fond für einen gerechten Übergang (auch: Just Transition Fund) beschlossen. Eine umfassende finanzielle Unterstützung birgt in den von der Kohleproduktion besonders abhängigen Regionen die Möglichkeit, die Klimakrise auch zu einer Revolution für mehr Gerechtigkeit werden zu lassen, indem Menschen aus strukturschwachen Gebieten neue Perspektiven eröffnet werden. Jedoch wird am Just Transition Fund kritisiert, er wäre finanziell nicht ausreichend ausgestattet, um wirkliche Veränderungen zu ermöglichen.
Laut Niklas Nienaß, Grünen-Politiker im EU-Parlament, reichen die Gelder bei weitem nicht für einen nachhaltigen Strukturwandel, so meinte er gegenüber treffpunkteuropa.de: „Wir müssen uns die zentrale Frage stellen, wie ernst meinen wir das? Mit welchem Bohrer wollen wir das dicke Brett des Klimaschutzes bohren? Und sorry, 17, 5 Milliarden für 108 Regionen in ganz Europa sind zu wenig”. Außerdem befürchten Kritiker*innen auch, dass der Fond Arbeiter*innen nicht genügend erreichen könnte.
Folgen von Klima-Policy: Wie steht es um soziale Dimensionen?
Nicht nur beim Kohleausstieg spielt die soziale Frage die entscheidende Rolle, denn die Klimakrise bedroht Menschen aus unteren sozialen Schichten besonders stark: Frauen sind nach wie vor stärker von Armut durch die Folgen der Klimakrise bedroht als Männer. Auch BIPoC - Schwarze Menschen, Indigene und People of Colour - verfügen aufgrund struktureller Benachteiligung über geringere finanzielle Ressourcen, um die Folgen der Klimakrise abzufangen. Klimagerechtigkeit - die z.B. von Fridays for Future als oberstes Ziel eingefordert wird - beschreibt, dass die soziale Frage letztlich der Kern der Klimakrise ist und auch nur gemeinsam gelöst werden kann.
Deswegen betonen beide Rednerinnen im Austausch mit den Teilnehmenden, die Klimakrise müsse als systemische Krise behandelt werden, der man ganzheitlich und intersektional begegnen müsse: Klima und Feminismus, Klima und Rassismus, Klima und Gesundheit und Klima und Gerechtigkeit müssten also selbstverständlich zusammen gedacht werden: „Der Green Deal ist sozusagen der grüne Rand einer Wassermelone, gefüllt mit leckerer Politik, die den Green Deal für die gesamte Gesellschaft machbar und gut werden lässt”, so die Sozialdemokratin Burkhardt.
Was kann ich gegen die Klimakrise machen?
Die jugendlichen Teilnehmenden stellten zahlreiche Fragen, was sie gegen die Klimakrise tun können. Eine Schülerin schlägt beispielsweise ein Projekt vor, bei dem Jugendliche durch Müllsammeln an der Ostsee die Bedeutung einer intakten Umwelt begreifen können. Skadborg und Burkhardt begrüßen den Vorschlag und fordern mehr Finanzierungsmöglichkeiten für derartige Projekte. Aber gleichzeitig steht fest: „Die Klimakrise ist eine systemische Krise, für deren Bekämpfung es vor allem politische Maßnahmen braucht und die sich durch individuellen Verzicht nicht lösen lässt”, so die junge SPD-Politikerin. In einer nicht nachhaltigen und ungerechten Welt kann man nicht nachhaltig und gerecht leben. Das möglich zu machen, ist Aufgabe der Politik und hier setzen Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Ende Gelände“ an, die das einfordern. Zu demonstrieren, sich politisch zu engagieren und mediale Aufklärungsarbeit zu machen sind einige Beispiele, wie man sich für das Ziel einer klimagerechten Welt einsetzen kann.
Dieser Beitrag ist im Rahmen einer Kooperation zwischen der Europa-Union Deutschland und treffpunkteuropa.de entstanden, in der wir über die bundesweite Bürgerdialogreihe „Europa? Wir müssen reden!“ berichten. Die interaktiven Online-Bürgerdialoge ermöglichen offenen Austausch und ehrliche Verständigung, um politische Beteiligung auch während der COVID-19-Pandemie aufrechtzuerhalten. Der Bürgerdialog am 31. Mai wurde vom Auswärtigen Amt gefördert und fand in Kooperation mit den Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) Deutschland, der Europa-Union Schleswig-Holstein, dem Europe Direct Kiel und dem Schleswig-Holsteiner Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz im Rahmen der „Fehmarnbelt Days 2021“ statt.
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