Die Balkanbrücke im Kampf für mehr europäische Verantwortung

, von  Tanja Schmidt

Die Balkanbrücke im Kampf für mehr europäische Verantwortung
Das Aktionsbündnis Balkanbrücke demonstriert in Berlin für sichere Fluchtrouten und mehr europäische Solidarität. Foto: Zur Verfügung gestellt von Balkanroute/Enzo Leclercq

“Lauf, schieß zurück oder stirb.” - Das sind die Optionen, die laut Balkanbrücke die Flüchtenden auf dem Balkan an den EU-Außengrenzen buchstäblich hätten. Die Flüchtenden sind ohne Essen, Schlafplatz, ohne Sicherheit und Rechte. Metaphorisch gesprochen ist das “Schieß zurück” also keine Option, die Menschen sind den Umständen schutzlos ausgesetzt. Mit menschlicher Behandlung hat das nichts zu tun. Ein neues Aktionsbündnis hat sich das als Aufgabe gemacht, etwas dagegen zu tun.

 Ein Kommentar von Tanja Schmidt.

Was passiert auf dem Balkan?

09. September 2020: Moria brennt.

Die Bilder des Lagers gehen durch die Medien. Sinnbildlich steht das Leid für die gescheiterte Asyl- und Migrationspolitik der EU. Moria oder die Situation auf Lesbos, in Libyen, Lampedusa oder auf dem Mittelmeer erhalten zunehmend Aufmerksamkeit. Bilder von den völlig überfüllten Schlauchbooten oder anderen Schreckensszenarien kursieren im Netz und auch in den aktuellen Nachrichten. Menschen sterben, werden gefoltert und zeigen durch viele Beispiele, wie sehr der Versuch nach einer europäischen Lösung der Migration- und Asylpolitik gescheitert ist. Abschottung und Abschreckung sind Realität und das zeigt sich an allen EU-Außengrenzen.

23. Dezember 2020: Camp Lipa, ein Geflüchtetenlager in Westbosnien, brennt lichterloh.

Die Menschen dort ereilt das gleiche Schicksal, wie die Menschen in Moria im September 2020 nur sind sie an einer anderer Stelle auf der Balkanroute. Die Balkanroute beschreibt den Weg, den Flüchtende zurücklegen müssen, um in westeuropäische Staaten wie Deutschland zu gelangen. Dazu gehören die Türkei, Bulgarien, Griechenland, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro, Serbien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Slowenien, Ungarn und Österreich.

Die Balkanroute ist seit dem großen Anstieg der Migration 2015 bekannt. Damals fanden viele Menschen ihren Weg nach Deutschland, nachdem die Balkanstaaten entlang der Route geholfen haben und eine Durchreise ermöglichten. Die Zeit der Unterstützung war jedoch schnell vorbei. Offiziell “geschlossen” wurde die Balkanroute im März 2016. Seitdem sind die Grenzen streng bewacht und Grenzzäune säumen die Festung Europa zwischen Bulgarien und der Türkei, Ungarn und Serbien und - momentan im Bau - zwischen Serbien und Nordmazedonien. Auch wenn die Regierungen der Westbalkanstaaten und besonders von dem damaligen österreichische Außenminister Sebastian Kurz Grenzschließungen als Mittel gegen die Ankunft der Flüchtenden verwendet wurden, zeigt sich, dass die komplette Schließung und ein Ende der Migration, nicht der Realität entspricht. Tausende Menschen sitzen an den Grenzen fest und verändern die Route über den Balkan entsprechend der Umstände und der Lage an den Grenzen.

Momentan befindet sich ein Großteil der Menschen auf der Balkanroute in Bosnien und ein kleinerer Teil in Serbien. So befinden sich auch die Camps Lipa, wie auch Miral und Bira im Nordwesten Bosnien und Herzegowinas, an der kroatischen Grenze. Die Lager wurden von der IOM (International Migration Organization) oder dem UNHCR (UN-Flüchtlingshilfswerk) errichtet und sind restlos überfüllt, bieten keinerlei Schutz oder ausreichende Versorgung. Grund dafür sind die lokalen Behörden, die zum Beispiel den Bau einer adäquaten Wasserleitung verhinderten. Die IOM warnte daraufhin davor, dass das Lager nicht winterfest sei und verließ das Camp. Die Zuständigkeiten, wer jetzt wo für die Flüchtenden zuständig ist, sind teilweise unklar und erschweren oftmals die Versorgung. Viele Flüchtende entscheiden sich daher in informellen Camps, sogenannten Squats oder in Wäldern, verlassenen Häusern oder auf der Straße zu leben.



Foto: Zur Verfügung gestellt von Balkanbrücke / Enzo Leclercq


“The Game”

Vielen bleibt daher nur der illegale Weg über die Grenzen. “The Game”, von den Flüchtenden genannt, beschreibt den Versuch von Bosnien und Herzegowina oder Serbien über die Grenze nach Kroatien zu gelangen. Dabei legen die Menschen vorher lange Wanderungen zurück oftmals ohne Ausstattung und dem, was sie tragen können. Bereit für ein neues Leben.

An der Grenze erwartet sie ein strenges Grenzregime, das gewaltsam alle Grenzübertritte verhindern möchte. Illegale Pushbacks stehen an der Tagesordnung und beinhalten Brutalität mit schweren Verletzungen, Erniedrigung und der Rückführung teilweise ohne Kleidung, Geld oder anderen Wertsachen. Die Rückführungen erfolgen, obwohl viele Flüchtende schon die Grenze übertreten hatten. Dabei wird das Recht auf Asyl gewaltsam beschnitten und institutionell durchgeführt. Amnesty International verglich die Praktiken der kroatischen Grenzschützer*innen mit Folter. Trotz alledem, geben die Flüchtenden nicht auf und versuchen “The Game” dutzende Male.

Die Balkanbrücke im Kampf für mehr europäische Verantwortung

Erst im Frühjahr 2020 bildete sich zu den unmenschlichen Lebensbedingungen und den Menschenrechtsverletzungen ein Aktionsbündnis, um mehr Aufmerksamkeit auf die Situation auf dem Balkan zu ziehen. Das Bündnis Balkanbrücke hatte damals das Ziel der besseren Vernetzung von kleineren Gruppen und Projekten vor Ort. Es ging darum Erfahrungen und Ressourcen zu teilen um die Unterstützungsarbeit in den Lagern und mit den Flüchtenden zu verbessern.

Mittlerweile wird ein Teil der Unterstützungsarbeit von der Balkanbrücke organisiert. Heute geht es dem Bündnis jedoch mehr darum politischen Druck aufzubauen, damit legale Wege in die EU unter menschlichen Bedingungen geschaffen werden. Mit ihrem Wirken möchte die Balkanbrücke dieses Ziel Realität werden lassen. Die Zustände an den Außengrenzen in Ländern wie Serbien oder Bosnien, sowie die Aktivitäten der Grenzschützer*innen müssen bekannter werden. Medial und auch gesellschaftlich muss mehr Aufmerksamkeit erzeugt werden, damit Menschen auf die Straße gehen und die prekären Zustände auf dem Balkan anprangern. Bilder von Schlauchbooten und von Moria sind schon präsent, doch nach dem Weg über das Mittelmeer geht es für einen Großteil der Flüchtenden noch weiter. Die Landroute über den Balkan birgt viele Gefahren und das muss allen klar werden. Die Gesellschaft muss hinschauen, was im Namen der Europäischen Union und dessen Abschottungspolitik passiert. Die Balkanbrücke ist aktiv, um allen die Verantwortung der EU vor Augen zu führen.

Der Weg über das Mittelmeer und die vielen Schicksale ist der Zivilgesellschaft ein Begriff geworden, dank der couragierten Arbeit von der Seebrücke, die viel Aufmerksamkeit zu dem Thema generiert hat. Die Seebrücke und die Balkanbrücke sind unterschiedliche Bündnisse, die sich unabhängig voneinander entwickelt haben. Das Ziel ist jedoch identisch. Die Seebrücke legt dabei den Fokus auf die Menschen, die über das Mittelmeer fliehen und in Lagern, wie Moria oder jetzt Kara Tepe nahe der Mittelmeerküste leben. Durch die Arbeit von Seebrücke und die vielen Ortsgruppen in deutschen Städten wurden auf kommunalpolitischer Ebene 238 “Sichere Häfen” geschaffen. “Sichere Häfen” sind Kommunen, die mehr Flüchtende aufnehmen und damit ein Zeichen für mehr Solidarität setzen. Balkanbrücke fokussiert sich auf die Landroute, die nach der Mittelmeerüberquerung folgt. So ist es das Ziel von Balkanbrücke ein Bewusstsein für die Menschen entlang der Balkanroute zu schaffen und für mehr Solidarität und Menschlichkeit einzustehen.



Foto: Zur Verfügung gestellt von Balkanbrücke / Enzo Leclercq


Lokale Behörden im Kampf gegen Menschenhandel

Abgesehen von der Aufklärungsarbeit hier in Deutschland, setzt sich die Unterstützungsarbeit des Bündnisses fort. Balkanbrücke Supports sammelt Sach- und Geldspenden und leitet sie weiter an kleinere Gruppen, Organisationen oder Projekte in der Balkanregion. Der Fokus liegt dabei auf kleineren Strukturen, die direkt handeln und keine große Aufmerksamkeit erregen. Die Unterstützungsarbeit wird oft kriminalisiert, wobei Vorwürfe des Menschenhandels laut werden oder das Arbeiten ohne das Arbeitsvisum geahndet wird. Die lokalen Behörden verbieten die Unterstützung der illegal im Land lebenden Flüchtenden. Die Gesetzeslage des bosnischen Kantons Una-Sana oder der Zentralregierung lässt solche Verbote theoretisch nicht zu, doch die Regierung toleriert es. Die Arbeit an den Grenzen wird dadurch massiv erschwert. Hintergrund für die Verbote und die Kriminalisierung der NGOs und Aktivist*innen ist auch die Politisierung und Stimmungsmache der Politiker*innen vor Ort. Sie hetzen gegen die Flüchtenden und betreiben damit Wahlkampf. Die Menschen, die dort Tag für Tag Unterstützung leisten sind oft Ehrenamtliche und sehen sich häufig mit Verboten zum Betreten der Lager, polizeilichen Kontrollen oder auch Überwachung durch die Polizei konfrontiert.

Wenn die Unterstützenden erwischt werden, droht Bußgeld und die Ausweisung aus dem Land. Die Unterstützung der Flüchtenden wird als Pull-Faktor, als Lockmittel für weitere Flüchtende, betitelt und als solches geächtet. Dadurch entsteht Unmut in der örtlichen Bevölkerung, die unzufrieden und wütend mit der aktuellen Situation ist. Sie veranstalten Proteste und Mahnwachen in der Nähe der Lager. Die örtliche Bevölkerung fühlt sich allein gelassen von der Politik der Zentralregierung und auch von der EU. Eine Umverteilung der Flüchtenden auf ganz Bosnien-Herzegowina ist bisher gescheitert.

Schnelle und pragmatische Hilfe ist nötig

Diese Situation gefährdet Flüchtende und auch die Unterstützenden. Viele Unterstützende mussten fliehen und die Arbeit unterbrechen. Dennoch trotzen Balkanbrücke und viele weitere NGOs den widrigen Umständen, denn die Menschen vor Ort brauchen die Unterstützung zum Überleben. Die Gruppen, die vor Ort sind, stützen ihre Arbeit auf die individuelle Unterstützung der Betroffenen. Viele wohnen außerhalb der überfüllten, offiziellen Camps und schlagen sich auf eigene Faust durch. Die Menschen sind obdachlos, haben kein Geld um sich Essen zu kaufen oder auch keine Kleidung für den kalten Winter. Es wird daher immer gefragt: “Was brauchst du oder ihr?” Die Kommunikation soll auf Augenhöhe geschehen um keine Machtstrukturen oder Abhängigkeiten zu erzeugen. Was die meisten Menschen brauchen, ist Essen, Kleidung, Schlafsäcke und Hygieneartikel. Spenden aus Deutschland helfen durch Balkanbrücke Supports das Leid der Betroffenen zu lindern.

Menschenleben werden jeden Tag aufs Neue gerettet und das nur auf der Basis von Spenden. Langfristig kann das keine Perspektive sein. Es gibt momentan aber keine europäische Lösung, die die aktuelle Situation verbessern könnte. Eine weitere Auswirkung davon ist, dass die Kommunen und die Staaten an den EU-Außengrenzen die Verantwortung zwangsläufig übernehmen müssen. Das Problem an den Grenzen wird noch weiter in die Debatte treten und so einen Diskurs anstoßen. Balkanbrücke steht ein für mehr Solidarität und gegen die Abschottungspolitik, die Leben kostet. Das Aktionsbündnis steht erst am Anfang und wird hoffentlich noch viel öfter in Erscheinung treten, bis es nicht mehr nötig ist.

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