Die Auswirkungen von COVID-19-Fehlinformationen in Europa

Eine Fallstudie über Italien und Spanien

, von  Inés Flor García, Silvia Dalla Ragione, übersetzt von Anna Sophie Hußler

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Die Auswirkungen von COVID-19-Fehlinformationen in Europa
Foto: Unsplash / [Obi Onyeador] / Unsplash license

Es gibt einen Zusammenhang zwischen der COVID-19-Pandemie und der Zunahme von Facebooks “Infodemie”, der Informationsepidemie. Trotz vieler Bemühungen schützt Facebook die Europäer*innen nicht ausreichend vor Fehlinformationen. Um über wichtige gesellschaftliche und politische Ereignisse informiert zu sein und so kluge Entscheidungen zu treffen, ist es wichtig, dass die in den sozialen Medien verbreiteten Nachrichten wahr sind und der Realität entsprechen. Im Jahr 2020 erlaubte der Algorithmus von Facebook dem Netzwerk 3,8 Milliarden Aufrufe von Fake News zu erreichen, wobei der Höhepunkt mit dem Beginn der COVID-19-Krise übereinstimmte. Laut einer Studie der gemeinnützigen Organisation Avaaz, die sich für globale Themen einsetzt, scheint Europa stärker gefährdet zu sein als die USA.

Facebooks Verarbeitung von Inhalten

Am 20. April veröffentlichte die globale Demokratiebewegung Avaaz die Ergebnisse einer Studie über die Auswirkungen von Fehlinformationen auf Facebook in dem Bericht „Left Behind. Wie Facebook Europas Infodemie vernachlässigt“. Facebook versucht, die Verbreitung falscher Nachrichten auf seiner Plattform zu verhindern, indem es mit Informationen des International Fact-Checking Network (IFCN) arbeitet: Zuerst identifiziert die Plattform potenziell fehlerhafte Informationen durch Nutzer*innen-Feedback und Kommentare als solche, überprüft, klassifiziert dann und geht schließlich gegen sie vor.

Die Untersuchung wurde mithilfe von 135 Fehlinformationen durchgeführt, die zwischen Ende 2020 und Anfang 2021 auf Facebook veröffentlicht wurden. Von den fünf untersuchten europäischen Sprachen scheint Italienisch die am häufigsten verwendete für Fehlinformationen zu sein, gefolgt von Französisch, Portugiesisch, Spanisch und Englisch. Infolgedessen sind die italienischen Bürger*innen der Infodemie stärker ausgesetzt. Mit 67 Prozent der identifizierten Fake News ist Spanien eines der sichersten Länder. Insgesamt hat Facebook, wenn Fehlinformationen auf Französisch, Portugiesisch, Spanisch oder Italienisch veröffentlicht wurden, nur 44 Prozent davon entfernt, im Gegensatz zu 74 Prozent der englischsprachigen Inhalte, die in den USA gefiltert wurden. Bei der Bekämpfung von Falschinformationen über soziale Plattformen klafft eine Lücke zwischen den verbreiteten sprachlichen Informationen und den Ländern, in denen sie verteilt werden. Die USA bleiben der Ort, an dem Facebook am meisten agiert.

Sprachliche Diskriminierung

Nach Angaben der Organisation Avaaz ist Spanisch die nicht-englische Sprache, für die die meisten Maßnahmen ergriffen und Inhalte entfernt wurden. Dies ist eine Folge der US-Wahlen, bei denen spanische Fehlinformationen als entscheidendes Problem gemeldet worden waren. Das lag daran, dass es in den Vereinigten Staaten Bundesstaaten gibt, in denen Spanisch weit verbreitet ist. Facebook entfernte daher Fake News in spanischer Sprache, was automatisch dazu führte, dass sich die Nachrichten in spanischsprachigen Ländern und somit auch in Spanien nicht mehr verbreiteten.

Was den Gebrauch der englischen Sprache betrifft, so erklären zwei Haupttheorien, warum englischsprachige Länder Fehlinformationen ablehnender gegenüberstehen: Einerseits setzt sich das Regulierungsteam zur Bekämpfung von Desinformation hauptsächlich aus englischsprachigen Personen zusammen. Andererseits unterstreicht die „America First“-Theorie, dass Facebook die Sicherheit in den USA gegenüber anderen Ländern bevorzugt, berichtet Avaaz.

Italien: Fehlinformationen und Eingriff der Regierung

Von Clickbait-Schlagzeilen bis zu schlecht recherchierten Artikeln, von absichtlich falschen Meldungen bis hin zu besonders fehlerhaften Nachrichten, die von humorvollen Seiten verbreitet werden – Italien stand neben der COVID-19-Pandemie vor einem großen Problem: Online-Fehlinformationen. Aufgrund der unermesslichen Menge an Informationen, die täglich im Internet zirkulieren, hat die italienische Regierung beschlossen, eine Seite auf der Website des Gesundheitsministeriums einzurichten, die den populärsten Fake News gewidmet ist, um ihre Unwahrheit zu beweisen.

Berühmt ist der Fall von Matteo Salvini, Vorsitzender der italienischen Partei Lega Nord. Zwei Wochen nachdem Italien seinen ersten Lockdown verkündet hatte, teilte er auf seinem Facebook-Account ein altes Video aus dem Jahr 2015 mit Nachrichtensendungen. Das Video war ein Bericht über die Entwicklung eines Virus zu Forschungszwecken in China. Salvini wollte mit seinem Beitrag zeigen, dass COVID-19 in einem Labor in Wuhan erschaffen wurde. Mit Tausenden von Beiträgen und Kommentaren ist der Beitrag nun mit dem Label „False News“ versehen.

Ein weiteres Beispiel für Fake News in Italien war die Verlängerung der Ausgangssperre bis zum 31. Juli. Mit irreführenden Schlagzeilen sorgten Politiker*innen und Bürger*innen für Aufsehen und viele sprachen sich gegen die genannte Verlängerung aus. In Wirklichkeit hat der italienische Premierminister Mario Draghi den Ausnahmezustand lediglich bis zum 31. Juli verlängert, während die Ausgangssperre bis Ende Mai bestätigt wurde. Es wurde in den Artikeln erklärt, woher die Schlagzeile kam, aber immer häufiger müssen Nachrichten in sozialen Netzwerken kurz und prägnant sein, da sich nur wenige Leute die Zeit nehmen, die ganzen Artikel zu lesen.

Spanien: Misstrauen der Institutionen und der Regierung

Im Jahr 2020 erlebte Spanien eine beispiellose Gesundheitskrise, die durch den COVID-19-Virus ausgelöst wurde und am 10. März zum Ausruf des Alarmzustandes führte. Institutionen und politische Führungskräfte versuchten, Kommunikationsstrategien einzusetzen, um die Ausbreitung irreführender Informationen, die die Realität verzerren könnten, zu verhindern. Wie Dozentin Mora-Rodríguez und Forscherin Melero-López in einer Zeitschrift über Risikokommunikation in Spanien während der Pandemie erklären, spielten soziale Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung von Informationen an die Bevölkerung.

Leider erhöht sich der Anteil der Menschen, die falsche Informationen über COVID-19 in Spanien finden, laut Statista, durch Instant Messaging und die Nutzung sozialer Netzwerke deutlich. Daher gibt es klare Grenzen für die Medienberichterstattung über das Internet. Man könnte argumentieren, dass die Übertragung von Informationen über COVID-19 über konventionellere Medien wie Fernsehen und Radio die Verzerrung der Realität verringern könnte. Jedoch deuten zwei Faktoren auf das Gegenteil hin: Erstens gibt es eine altersbedingte digitale Kluft in Bezug auf das Medium, das für den Nachrichtenkonsum verwendet wird. Jüngere Generationen entscheiden sich für den Zugriff auf soziale Plattformen, um Nachrichten zu finden, während ältere Generationen lieber konventionelle Medien nutzen. Zweitens ist Spanien durch eine starke politische Polarisierung gekennzeichnet, die zu einer institutionellen Abkehr führt, welche die Medien zeitweise obsolet macht. Das institutionelle Misstrauen, gepaart mit der Konfrontation mit dem Online-Informationsumfeld, macht die Spanier*innen anfällig für Fehlinterpretationen und so fallen sie immer wieder auf Fake News herein.

Nachdem eine kleine Stichprobe von Spanier*innen über ihre Erfahrungen während der Pandemie befragt wurde, stimmten die meisten zu, dass betrügerische Informationen ihre Überzeugungen beeinflussen. Eine 65-jährige Rentnerin hatte die Vorstellung, COVID-19 sei wie die Grippe und dachte daher, sie würde nie geimpft werden. Diese Unsicherheit entsteht auch bei den jüngeren Generationen, deren Vorstellungen über das Ausmaß und die Schwere der Pandemie teilweise falsch waren. Obwohl die Unentschlossenheit angeblich nur ihre Gedanken bedingt, kann eine Verzerrung der Realität zu unverantwortlichem Verhalten auf Kosten von Menschenleben führen. Auf andere Weise beschuldigten die erwachsenen Spanier*innen die politischen Führungskräfte für die Verbreitung von Betrügereien, da sie Zweifel in den Köpfen der Menschen säen, indem sie versicherten, das Virus sei nicht durch Aerosole übertragbar und die Verwendung von Masken sei absurd.

Andere Beispiele für irreführende Nachrichten reichen vom Selbstschutz durch Glauben und Vertrauen auf Gott bis zum Gurgeln mit warmem Salzwasser als Wundermittel. Dies sind nur einige der vielen Fälle von Fake News, die von den Medien, den politischen Ämtern in Spanien oder aus sozialen Netzwerken stammen. Infolgedessen wurde die beispiellose Gesundheitskrise um COVID-19 von vielen Menschen aufgrund ihrer Nachrichtenkonsumgewohnheiten und mangelnder Fähigkeit, Fakten zu überprüfen, falsch interpretiert, obwohl Spanien eines der sichersten Länder in Bezug auf den Facebook Algorithmus ist.

Der Einfluss von Fake News auf globaler Ebene

Falsche Nachrichten verbreiten sich schneller als wahrheitsgemäße: Als Reaktion auf Angst vertrauen die Menschen den Gerüchten aus Misstrauen gegenüber der Regierung und den Institutionen. Zu Beginn der COVID-19-Pandemie wurde Hydroxychloroquin als Medikament zur Vorbeugung der Infektion vorgeschlagen, was zu zahlreichen Vergiftungsfällen führte, berichtet die BBC. Es gab keine Beweise für seine Wirksamkeit, doch einige Menschen riskierten ihr Leben angesichts der Not für das Unbekannte.

Als die italienische Arzneimittelagentur im März 2021 beschloss, die Impfung mit Astrazeneca in Italien einzustellen, berichteten die Zeitungen irreführende Schlagzeilen wie „Professor starb 10 Tage nach der Impfung“, „Freiwilliger, den Impfstoff in Brasilien zu testen, starb“. Die Artikel erklärten jedoch, dass beide aus unterschiedlichen Gründen starben - der Freiwillige erhielt nicht einmal die Dosis. Dennoch erschreckten die Schlagzeilen erschreckten viele Bürger*innen, was dazu führte, dass eine beträchtliche Anzahl von Menschen dem Impfstoff skeptisch gegenüberstand.

Die Auswirkungen von Fehlinformationen können auch für die psychische Gesundheit gefährlich werden und zu körperlichen Schäden führen. Wenn die Informationen, die wir erhalten, gefälscht sind, wird die Bevölkerung schlecht beraten, eine fundierte Entscheidung zu treffen oder kritisches Denken zu entwickeln. Die Verbreitung von Fake News und der daraus resultierende „Medienterrorismus“ während der Pandemie hat zu einer wachsenden Unsicherheit geführt. Es kommt zunehmend zu Angst, unverantwortlichen Do-it-yourself-Techniken zum Überleben und Hass auf nicht vorhandene Feinde - und das zu einer Zeit, in der die psychische Gesundheit auf dem Spiel steht.

Eine hybride Lösung: Zwischen Technik und Mensch

Obwohl neue Algorithmen getestet und entwickelt werden, um der Verbreitung schädlicher und gefälschter Informationen in sozialen Netzwerken entgegenzuwirken, wird das menschliche Auge wahrscheinlich immer benötigt, um die Wirksamkeit zu gewährleisten. First Draft, ein Projekt zur Bekämpfung von Online-Fehlinformationen, arbeitet mit Google, Twitter und Facebook zusammen, um eine neue algorithmische Methode zu finden. Der Algorithmus ist noch ungenau und erkennt Fake News häufig nicht, da er den Facebook Community Standards entspricht. Daher sollten Gemeinschaftsstandards überarbeitet werden, auch wenn es für den Algorithmus auch schwierig sein mag, humoristische Nachrichten, Memes, irreführende Titel und Fake News voneinander zu unterscheiden. Der beste Weg zur Bekämpfung von Fehl- und Desinformation ist und bleibt, das Gelesene zu überprüfen, bevor man es glaubt, verbreitet und entsprechend handelt.

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