Beitrag zum Hybrid-Jugenddialog „100 Years of German-Baltic Diplomatic Relations – Young Perspectives for a future-oriented Europe“ der überparteilichen Europa-Union Deutschland e.V. am 26. August 2021

Deutschland, das Baltikum und die EU: Ein Blick in die Zukunft

, von  Denise Klein

Deutschland, das Baltikum und die EU: Ein Blick in die Zukunft
Der Hybrid-Jugenddialog bot Platz für Diskussionen und einen Blick in die Zukunft! Copyright: photothek.net / Felix Zahn

Die diplomatische Beziehung zwischen dem Baltikum und Deutschland feiert 100-jähriges Jubiläum. Doch vor welchen neuen Aufgaben steht diese Verbindung?

Darüber haben am 26. August beim ersten Bürgerdialog der überparteilichen Europa-Union Deutschland e.V. nach der Sommerpause Vertreter*innen aus dem Baltikum und Deutschland mit Schüler*innen diskutiert. Im Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Berlin saßen Michael Roth, der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt; Zanda Kalniņa-Lukaševica, Parlamentarische Staatssekretärin des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten aus Lettland; Arnoldas Pranckevičius, Stellvertretender Außenminister für europäische Angelegenheiten im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten aus Litauen; und Märt Volmer, Staatssekretär für europäische Angelegenheiten im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten aus Estland. Ihnen gegenüber befanden sich Schüler*innen aus dem Schiller Gymnasium in Berlin. Schüler*innen aus dem Baltikum waren mit einem Livestream dabei und konnten per Videocall ihre Fragen stellen.

„Nach allem seid ihr es, die Europas Zukunft formen“

Vergangenheit feiern, aber dabei die Zukunft im Blick haben. In diesem Sinne gestaltete Michael Roth seine einleitenden Worte zum Jugenddialog, in dem er einen kleinen Überblick über die Geschichte bot, wegen der sich doch tatsächlich gleich mehrere Jubiläen feiern lassen konnten: 100 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland, Estland, Lettland, sogar 103 Jahre mit Litauen und 30 Jahre Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehung. „Es ist unsere Verantwortung zurückzuschauen“, sagte Roth und gleichzeitig eben auch Ideen für die Zukunft zu entwickeln, denn: „Denn schließlich seid ihr diejenigen, die Europas Zukunft formen.“ Die Wichtigkeit der EU betonte auch Märt Volmer in seinem Eröffnungsstatement. Egal, ob es um digitale Aspekte gehe oder den Klimawandel: der europäische Zusammenhalt sei besonders wichtig: „Eine starke EU bedeutet mehr Erfolg für uns.“ Er betonte dabei nochmal, wie wichtig es sei, voneinander zu lernen.

Passend dazu teilte Arnoldas Pranckevičius auch gleich seine wichtigsten Lehren aus der Corona-Pandemie. Eine davon war, dass die Demokratie in unseren Ländern nicht selbstverständlich sei: „Heute müssen wir mehr, nicht weniger, über Menschenrechte sprechen“. Vor allem mit dem Blick auf Belarus, ein Thema, was auch den Schüler*innen auf dem Herzen lag. Auch Zanda Kalniņa-Lukaševica betonte das Potential der jungen Generation die Zukunft als „Architekten“ zu gestalten: „Ihr habt die Stimme und die Union ist darauf vorbereitet, zuzuhören.“

Diskussionen um Belarus und Nord Stream 2

Seit etwa einem Jahr blickt die Welt auf das Land Belarus. Unmittelbar nach der von der EU nicht anerkannten Wahl des Präsidenten Lukaschenko gingen die Menschen auf die Straße und protestierten für Demokratie und gegen unterdrückende Menschenrechtsverletzungen. Die Proteste wurden oft gewaltsam niedergeschlagen. Zustände, die auch die Europäische Union nur schwer ignorieren konnte und kann. Mit Sanktionspaketen versucht man Druck auszuüben, doch aus der Opposition in Belarus kommt Kritik, sie seien unzureichend. Die Oppositionsführerin Svetlana Tichanowskaja und mehrere Tausend ihrer Mitstreiter*innen wurden von Litauen aufgenommen.

„Wie weit wird man den Konflikt noch ignorieren, um auch einem Konflikt mit Russland aus dem Weg zu gehen?“, fragte ein Schüler aus Berlin. Roth stellte klar, dass die EU auf keinen Fall Menschenrechtsverletzungen tolerieren werde, es brauche Sanktionen, um diese klare Botschaft zu senden. Doch die Instrumente demokratischer Staaten seien begrenzt, sodass es den Kampf der Bürger*innen vor Ort dringend brauche. Kalniņa-Lukaševica schloss sich dem direkt an: Lettland versorge die Menschen in Belarus auch bilateral, in dem es psychologische Hilfe anbiete, „die wirklich gebraucht wird“. Pranckevičius fügte noch hinzu, dass begangene Menschenrechtsverletzungen in der Zukunft auch geahndet werden müssen. Volmer machte an dieser Stelle auch auf die Situation an den Grenzen von Belarus aufmerksam, wo seit Wochen irreguläre Grenzübertritte von Geflüchteten und Migrant*innen durch Belarus befördert werden, um so Druck auf die europäische Union aufzubauen.

Neben Belarus gab es auch ein anderes Thema, dass das Land Russland miteinschließt. Ein litauischer Schüler fragte die Vertreter*innen zum Thema Nord Stream 2, einer fast fertiggestellten und sehr umstrittenen Gaspipeline, des russischen Gasriesen Gazprom und verschiedener Unternehmen aus den Niederlanden, Deutschland und Frankreich. „Wie wird das Projekt die Sicherheit der baltischen Staaten beeinflussen?“ wollte der junge Litauer, insbesondere mit Blick auf die Beziehungen mit Russland, wissen. Ein Thema, welches nicht nur die EU spaltet, sondern auch die im Weltsaal vertretenen Personen kontrovers diskutieren lies.

Denn Michael Roth versucht es mit versöhnlichen Tönen, es handle sich hierbei nicht nur um ein deutsches Projekt, das müsse man in der EU besser kommunizieren. Von der Parlamentarischen Staatssekretärin des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten aus Lettland kam ein schärferer Ton: „Das ist ein politisches Projekt.“ Es steigere zu sehr die Schwierigkeiten der ukrainischen Wirtschaft und die Abhängigkeit der EU von einem einzelnen Produktionsland. Das Konzept könne Lettland so nicht akzeptieren und sie fügte hinzu, dass die bestehenden Vorbehalte nicht alle beseitigt werden konnten. Arnoldas Pranckevičius und Märt Volmer schlossen sich eher dem beruhigenden Ton ihres deutschen Kollegen an. Der Litauer merkte an, dass man gar nicht wisse, was für eine Rolle Nord Stream 2 in der Zukunft überhaupt noch spielen werde, wenn man den Green New Deal der EU betrachtet. Sein Kollege aus Estland sah es auch als einen ersten Schritt in die richtige Richtung, nämlich in den Weg aus der Kohleabhängigkeit. Damit könne Europa mit der Pipeline zum Vorbild werden.

Wohin mit jungen Arbeitskräften und undemokratischen Mitgliedstaaten?

Durch die Corona-Krise stieg bei vielen Jugendlichen die Zukunftsangst. Daher überraschte die Frage einer Schülerin aus Riga nicht, die sich erkundigte, wie man jungen Menschen den Einstieg in die Arbeitswelt erleichtern könne. Schließlich hätten viele mit einem Teufelskreis aus hohen Anforderungen der Arbeitgeber*innen und mangelnder Berufserfahrung zu kämpfen.

Dabei sind sich alle Vertreter*innen wieder einig: Innerhalb der EU gäbe es viele Möglichkeiten, internationale Erfahrungen zu sammeln, die einen für den Arbeitsmarkt qualifizieren. Doch diese Möglichkeiten müssten auch genutzt werden, stellt Pranckevičius klar, denn sie seien nicht nur eine Chance, sondern auch „ein Privileg“. Die Europäischen Programme hob auch Zanda Kalniņa-Lukaševica hervor und fügte hinzu, dass ein Programm wie Erasmus+ ja nicht nur für Akademiker*innen bestimmt sei, sondern auch Auszubildenden zur Verfügung stehe. Etwas, was auch Michael Roth am Herzen liegt: Auch Menschen aus nicht-akademischen Haushalten sollten die uneingeschränkte Möglichkeit haben, sich innerhalb der EU weiterzubilden. Bei diesem Thema sieht Volmer gar nicht mehr unbedingt die EU mit ihren geringen Zuständigkeiten in der Bildungs- und Sozialpolitik in der Pflicht, sondern vielmehr die Regierungen der Mitgliedstaaten, die sich etwas überlegen müssen, um die jungen Leute von der Uni besser in die Arbeitswelt einzugliedern.

Als nächstes sprach eine Schülerin aus Berlin das seit Jahren immer größer werdende Problem der Europäischen Union an: „Was ist mit den europäischen Ländern, die die europäischen Werte nicht so schätzen?“ Volmer griff auch sein Konzept der geeinten EU wieder auf, deren Risse man aktuell schon von der Ferne aus betrachten könne. Dabei meinte er: „Die Einheit ist auch unsere Stärke.“ Darauf eingehend stellte Arnoldas Pranckevičius klar: „Alle Seiten müssen ihre Fähigkeiten schärfen, auch die Argumente der Gegenseite zu verstehen.“ Damit müsse man umgehen lernen und mit starken Argumenten dagegenhalten. Zanda Kalniņa-Lukaševica war optimistisch: „Einige Schritte wurden schon gemacht.“ Nun müsse ein Stärken der EU im Vordergrund stehen, aber kein Schrumpfen. Michael Roth griff noch einmal zu härteren Worten: „Die EU war zu leise.“ Jeder Staat müsse schließlich die Anforderungen der EU erfüllen. Doch er mahnte auch, denn es müsse klar „zwischen der Regierung und der Gesellschaft“ in den Ländern differenziert werden. Auch vor Ort werde für die europäischen Werte gekämpft, das solle man nicht vergessen. Zwar könnten sich alle einen Mechanismus zum Ausschluss von Mitgliedstaaten vorstellen, aber dieser solle eher ein Mittel der Abschreckung sein.

Klimaziele erhitzen den Raum und was ist eigentlich mit Wasserstoff?

Zum Abschluss folgten zwei Fragen zur Energie- und Klimapolitik. Eine estnische Studentin fragte in die Runde: „Gibt es Ambitionen der Länder zum Thema Wasserstoff?“ Während Zanda Kalniņa-Lukaševica an dieser Stelle auf die wasserstoffangetriebenen Busse in Riga aufmerksam machte, die Ursula von der Leyen unlängst besuchte, wurde die Frage nach dem Wasserstoff von einer anderen Frage überschattet. Eine deutsche Schülerin fragte kurz und knapp: „Warum hat die EU keine ambitionierten Klimaziele?“

Kalniņa-Lukaševica stellte an dieser Stelle klar, dass die EU schon viel tue, zum Beispiel mit dem eben schon erwähnten Wasserstoff. Pranckevičius zeigte sich verständlich, viele junge Menschen sagten zu den europäischen Klimazielen „too late, too little“ – „zu spät, zu wenig.“ Doch es gäbe eben auch Leute, die die Ziele viel zu überambitioniert sehen. Dort wäre es eben wichtig einen Konsens herzustellen, was definitiv nicht einfach sei. „Jetzt müssen wir liefern“, sagte Michael Roth dazu. Denn die EU sei jetzt gerade in einer sehr wichtigen Position. Man müsse anderen Ländern außerhalb der EU dringend zeigen, dass es funktionieren kann und sie so dazu animieren, mitzumachen. Volmer richtete sich daraufhin direkt an das junge Publikum im Saal. Er bat die Schüler*innen um eine Abstimmung, mit einer roten (nein) oder einer grünen (ja) Karte: „Wärt ihr denn auch bereit, dafür etwas von eurem Lebensstandard aufzugeben?“ – Er blickte fast ausschließlich auf grüne Karten und vereinzelte Enthaltungen. Das sei gut, stellte er fest. Jetzt wäre es an der Zeit, das Wissen aller zu vereinen und weiter an erneuerbaren Energien zu arbeiten. Doch damit hatte sich das Thema noch nicht erledigt.

Die Schülerin bekam die Gelegenheit nachzuhaken und stellte fest, dass die Antworten „typisch“ seien. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass die Ziele so nicht ausreichten: „Wie stellen sie sich das vor?“ Die Frage ging zurück an die Vertreter*innen Deutschlands und des Baltikums. Pranckevičius stellte noch einmal klar, dass die EU ambitioniert, aber natürlich noch längst nicht am Ende sei. Mit den Worten „The new Green Deal is the new cool“ schloss er seinen Redebeitrag. Kalniņa-Lukaševica brachte an dieser Stelle Erfahrungen aus Lettland ein, die sie in Gesprächen mit jungen Menschen gemacht hat. Ihnen gehe es eben nicht nur darum schnell zu handeln, sondern auch darum, wer letzten Endes für den Klimawandel bezahle. Der solle und dürfe nämlich auf keinen Fall auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen werden. Märt Volmer stimmte relativ kurz und knapp der Schülerin, und damit wohl auch vielen anderen jungen Menschen in Europa, zu: „Ja, wir müssen mehr tun.“ Michael Roth stellte klar, dass er die Ungeduld der jungen Menschen verstehen könne und es sei auch wichtig, diese mit den älteren Generationen zu teilen. „But…“ - und er betonte an dieser Stelle, dass niemand die Sätze mag, die mit einem langgezogenen „Aber“ beginnen – „Aber Klimaschutz braucht gesellschaftliche und demokratische Akzeptanz.“ Und dafür müsse man auch andere erstmal überzeugen. Damit endete die Gesprächsrunde, die man wahrscheinlich noch um mehrere Stunden verlängern hätte können.

Was bleibt vom Blick in die Zukunft?

Auch Christina Oymann hatte dem Diskus gelauscht und gleichzeitig ein „Graphic Recording“ erstellt, auf dem sich die Highlights der Diskussion wiederfinden lassen.



Graphik: zur Verfügung gestellt von der Europa-Union Deutschland.


Nicht nur die grafische Aufarbeitung oder die Aufzeichnung des Livestreams bleiben. Es bleibt eindeutig der Eindruck, dass nicht nur die jungen Menschen bereit sind für einen engen Austausch, auch diese Vertreter*innen waren es. Ein Austausch, der noch viel länger hätte dauern können, da viele Antworten zu so vielen verschiedenen und tiefgründigen Themen einfach zu kurz waren. Doch es zeigte auch wieder, wie wichtig es ist, die eigene Vergangenheit im Blick zu behalten und dennoch nach vorne zu schauen. 100 Jahre diplomatische Beziehungen sind eine großartige Leistung, auf der man aufbauen kann.

Dieser Beitrag ist im Rahmen einer Kooperation zwischen der Europa-Union Deutschland und treffpunkteuropa.de entstanden, in der wir über die bundesweite Bürgerdialogreihe „Europa - Wir müssen reden!“ berichten. Die interaktiven Online-Bürgerdialoge ermöglichen einen offenen Austausch und ehrliche Verständigung, um politische Beteiligung auch während der COVID-19-Pandemie aufrechtzuerhalten. Der Jugenddialog am 26. August wurde vom Auswärtigen Amt als grenzüberschreitendes Projekt gefördert. treffpunkteuropa.de ist Medienpartner der Reihe und erhält im Rahmen dieser Partnerschaft eine Aufwandsentschädigung. Die Inhalte der Berichterstattung sind davon nicht betroffen. treffpunkteuropa.de ist frei und allein verantwortlich für die inhaltliche und redaktionelle Gestaltung seiner Artikel.

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