Deutsches Lohndumping am Pranger

, von  Martin Samse

Deutsches Lohndumping am Pranger
Die deutsche Lohnpolitik gerät zunehmend in Kritik. Unter anderem EU-Sozialkommissar László Andor fordert, dass das Lohnniveau hierzulande angezogen wird. Foto © European Commission 2014

Brüssel mahnt: Die deutsche Wirtschaft soll ihre Lohnkosten erhöhen und ihre Exportüberschüsse abbauen. Was sich nach europäischer Regulierungswut anhört, ist in Wirklichkeit ein wichtiger Baustein in der Krisenpolitik. Ohne eine stärkere Integration der europäischen Wirtschaft bestehen die Probleme der Gegenwart fort. Langfristig werden die Politiker versuchen müssen, eine Wirtschaftsunion zu schaffen, um die Konstruktionsfehler des Euro zu korrigieren.

Die andauernde Krisenpolitik in Europa schafft Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten: Waren es früher noch gleichberechtigte Partner, teilt man die Mitglieder der Eurogruppe heute in Nehmer- und Geberländer ein. Bei der Umschichtung von Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe taumeln die politischen Akteure zwischen effektiver Krisenbewältigung und nationalem Egoismus. Aus ökonomischer Sicht kommt diese Entwicklung nicht überraschend. Der Euroraum bindet Volkswirtschaften mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Parametern und gigantischen Staatsdefiziten aneinander. Bisweilen ist es dabei vor allem der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verdanken, dass ein Zusammenbruch des europäischen Währungsraumes abgewendet wurde. Die Kommission startet jetzt einen Anlauf, um das Ungleichgewicht auszubalancieren um das Wirtschaftswachstum in den Krisenländern zu fördern. Dazu will sie die größten Profiteure der Krise an die Leine legen: Die deutsche Exportwirtschaft.

Die deutsche Wirtschaft profitiert von der Krise

Deutschland ist Exportweltmeister. Das bedeutet, dass die deutsche Wirtschaft mehr Waren und Dienstleistungen in andere Länder verkauft als jedes andere Land auf der Welt. Das liegt nicht allein am guten Image von „Made in Germany“, sondern auch an der Lohnpolitik. Deutsche Unternehmen können ihre Güter vergleichsweise günstig auf ausländischen Märkten anbieten, da sie die Kosten für die Arbeitnehmer seit Jahren niedrig halten. Somit leistet sich die deutsche Wirtschaft einen enormen Wettbewerbsvorteil zu Lasten der Arbeitnehmer. Die Mitgliedsstaaten der Eurozone sind für die deutsche Wirtschaft ein wichtiger Absatzmarkt. Fast 40 Prozent der deutschen Exporte fließen in die Staaten des Euroraumes. In der aktuellen Krisensituation wird das Exportgeschäft Deutschlands zum Problem für Europas Peripherie. Ein Aspekt der aktuellen Krise besteht darin, dass die Wirtschaftsräume der Südstaaten nicht mit denen ihrer europäischen Nachbarn konturieren können. Sie haben den Importen aus dem Ausland keine vergleichbar attraktiven Waren und Dienstleistungen entgegenzusetzen. So verharren die Staaten in einem Teufelskreis aus geringem Umsatz und einem Mangel an Investitionen.

Brüssel legt den Finger in die Wunde

Die politische Linke warnte schon vor Jahren: Das durch Lohndumping finanzierte deutsche Exportwunder hat großen Einfluss auf die wirtschaftliche Schieflage in Europa. Der Absatz griechischer Unternehmen bricht massiv ein, da die billigen Importe aus Deutschland den heimischen Markt überschwemmen. Die deutsche Lohnpolitik ist nicht nur eine Ursache für die Krise in Europa, sie verstärkt sie auch. Der EU-Sozialkommissar László Andor fordert nun, dass das Lohniveau in Deutschland angezogen wird. „Wenn nicht, driftet die Währungsunion auseinander. Der Zusammenhalt ist schon halb verloren.“, so Andor. Zudem spricht er sich ausdrücklich für die geplante Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns aus. Werden die Forderungen in die Tat umgesetzt, steigen künftig die Arbeitskosten für Unternehmen und der Preis der produzierten Güter. Der Wettbewerbsvorteil deutscher Firmen gegenüber ihrer ausländischen Nachbarn wird eingeschränkt. Auf der anderen Seite kurbeln die Lohnerhöhungen die Binnennachfrage in Deutschland an. Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Export wird somit abgebaut.

Die Kommission ist machtlos

Es ist nicht das erste Mal, dass die deutschen Exportüberschüsse international in die Kritik geraten. Brüssels Möglichkeiten, an diesem Missstand etwas zu verändern, sind allerdings begrenzt. In Deutschland gilt die Tarifautonomie. Das bedeutet, dass die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände in der Lage sind, ohne staatliche Einmischung über die Höhe der Tarifabschlüsse zu bestimmen. Die Europäische Kommission hat somit keine Möglichkeit, direkt auf diesen sozialen Dialog einzuwirken. László Andor bleibt somit nicht viel mehr übrig, als das gesamteuropäische Interesse zu betonen und auf die negativen Auswirkungen der deutschen Lohnentwicklung aufmerksam zu machen. Das Problem: So lassen sich die Interessen der Mitgliedstaaten nicht in Einklang bringen. Wenn der gesamteuropäische Wille dauerhaft gegen das Kalkül der Nationalstaaten verliert, wird die Eurokrise nicht gelöst.

Der Anfang von etwas Großem

Bundeskanzlerin Merkel stellt sich schützend vor die deutsche Unternehmenslandschaft. Sie argumentiert, dass sich die Koordinierung der Wirtschaftspolitik nicht an den schwächsten Mitgliedern orientieren darf. Langfristig plädiert sie aber für eine groß angelegte Vertiefung der europäischen Integration: Die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik. Der Erhalt des Euros wird als alternativlos deklariert. Deshalb muss der Währungsunion eine verstärkte Integration der Wirtschaftspolitik folgen, an deren Ende die Wirtschaftsunion der Eurogruppe steht. Die Lücke zwischen Gewinner- und Krisenstaaten lässt sich nur schließen, indem Wachstum und Wohlstand innerhalb der Eurogruppe langfristig harmonisiert wird. Was das in der Realität bedeutet, kann man heute schon sehen: Drastische Einsparungen bei zu starkem Haushaltsdefizit und eine Einschränkung einzelner Wirtschaftszweige zum Schutz der Mitgliedsstaaten. Die Proteste gegen die Sparmaßnahmen in den Südstaaten und den Auflagen für deutsche Unternehmen zeigen heute schon: Die Eurokrise wird den Integrationswillen der Mitgliedstaaten auf eine harte Probe stellen.

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