Die Gründe für Russlands Interesse an Moldau sind vielfältig. Insbesondere seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine will Russland seine Verbindung zu Moldau - einem ehemaligen Teil der Sowjetunion - nicht abbrechen lassen.
Bereits 2022, nach dem Einreichen des Antrags auf EU-Mitgliedschaft, prophezeit der moldauische Historiker Alexei Tulbure: „Russland wird große Anstrengungen unternehmen, Maia Sandu aus dem Präsidentenamt zu stürzen und die Integration Moldaus in die EU zu stoppen.“
Der Einfluss Moskaus wird in Transnistrien besonders deutlich. Die Region, welche direkt an die Ukraine grenzt und sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von Moldau abgespalten hat, ist stark russisch geprägt. In dem Separatistengebiet hat das russische Militär sogar einen eigenen Stützpunkt eingerichtet. International ist das russlandfreundliche Gebiet nicht anerkannt, doch soll laut russischen Medienberichten die Region Moskau um „Schutz“ gebeten haben.
Moldaus Schwachstelle
Aus der Perspektive Moldaus ist die Energieabhängigkeit von Russland eine der größten Schwachstellen. Im Oktober 2021 berichtete die Financial Times, dass die staatliche russische Gasgesellschaft ein billigeres Angebot unterbreitet habe. Im Gegenzug dafür müsse die Republik Moldau lediglich ihr Freihandelsabkommen mit der EU anpassen und die von Brüssel geforderte Liberalisierung des Energiemarktes verzögern.
Ein Jahr später und sechs Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine kam es auf den Straßen Moldaus zu wöchentlichen Protesten - zum Teil von russlandfreundlichen Anhängern finanzierte Proteste. „Der russische Präsident Wladimir Putin hofft offensichtlich, dass die Verbraucher, wenn sie die Preise und Zahlungen für Gas sehen, eine russlandfreundliche Regierung wählen werden“, sagte der Analyst für Energiesicherheit, Sergiu Tofilat, gegenüber Reuters im Oktober 2022.
Die Versuche des Kremls, Moldau unter Druck zu setzen, scheiterten jedoch. Stattdessen orientierte sich die pro-westliche Präsidentin Maia Sandu weiter Richtung EU. Im Mai 2024 unterzeichnete Sandu in Oslo ein Energieabkommen mit Norwegen, sodass die Versorgung des Landes künftig nicht mehr von russischen Gaslieferungen abhängig sein wird.
„Russland hat den Versuch, Moldau unter seine Kontrolle zu bringen, nicht aufgegeben. Seine Strategie ist es, den sozialen Zusammenhalt der Bevölkerung mit ihren unterschiedlichen Loyalitäten zu untergraben. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung verstehen Russisch, und ein Viertel identifiziert sich stark mit Russland“, sagt Merdijana Sadovic, die für das Independent Countering Desinformation Center (ICDC) in der Republik Moldau arbeitet.
Westliche Marionetten
„In den Augen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehört Moldau zu Russland, genau wie die Ukraine“, sagt Tulbure. „Das Land lockt ihn, weil es ein leichtes Opfer zu sein scheint. Er glaubt, Russland kann Moldau mit anderen Mitteln gewinnen als durch einen echten, mit Schusswaffen ausgetragenen Krieg.“
Die stärkste Waffe in Putins hybrider Kriegsführung ist die der Desinformationen. Durch die ständige Verbreitung falscher oder irreführender Informationen wird versucht, Angst und Unruhe unter der Bevölkerung zu säen. Der sogenannte eingesetzte „Sleeper-Effekt“ zielt darauf ab, die Zielgruppen zu überzeugen, selbst wenn die Botschaften bereits als zweifelhaft bekannt sind. Das Hauptziel: Misstrauensbildung und Chaos - die Schaffung einer Wahrnehmung, dass die pro-westliche Regierung Moldaus das Land in den Krieg gegen Russland führen will.
Am 9. Mai äußerte sich die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa über die pro-europäische Präsidentin Sandu. Sie sei „eine Übermittlerin derselben Nazi-Ideen, Ideologien und philosophischen Ansichten, für die der Westen bezahlt“. In den beinahe wöchentlichen russischen Berichten über die „Situation in der Republik Moldau“ verglich das Außenministerium die moldauische Politik auch mit dem Dritten Reich. Sandus Ziel sei es, „alles Russische abzuschaffen, die russische Sprache in allen Bereichen zu diskriminieren und gemeinsam mit den Ukrainer*innen auch ernsthaften wirtschaftlichen Druck auf Transnistrien zu organisieren“, verkündet der russische Außenminister Sergej Lawrow.
Militärisch-patriotische Camps für Kinder
Häufig verbreitete Desinformationsnarrative von pro-russischen Verbündeten und Scheinparteien zielen auf die angeblichen Folgen eines EU-Beitritts für Moldau ab. Dazu gehören Aussagen wie „Die EU bedeutet Krieg“, „Der Beitritt zur EU wird die moldauische Landwirtschaft zerstören“ sowie „Die EU wird höhere Preise bringen“ und „Der Westen kontrolliert die moldauische Regierung“. Doch neben diesen verbreiteten Mundpropaganda-Behauptungen gibt es auch andere Methoden, die sehr überzeugend wirken.
Im Mai tauchte auf einer Raubkopie-Website ein Video auf, das für ein „militärisch-patriotisches“ Sommercamp für Kinder in Moldau wirbt. Das Camp soll vom moldauische Bildungsministerium organisiert und von der EU finanziert worden sein. Einen Monat später berichtete ein weiteres Video auf der Plattform über die Einführung einer „patriotischen“ Steuer in Höhe von zehn Prozent auf Geldüberweisungen, die zur Deckung des Moldauischen Haushaltsdefizits verwendet werden soll. Das dritte veröffentlichte Video, welches in Moldau kursierte, verkündete: „die EU würde Moldau zur Legalisierung von LGBTQI+ zwingen“, indem das Bildungsministerium „Inklusivität“ in den Schulen fördere.
Was alle drei Videos gemeinsam haben: sie sind von hoher technischer Qualität, sie sind alle mit den Emblemen des Bildungsministeriums Moldau versehen und wirken deshalb täuschend echt. Ein Trick, der darauf abzielt, das Publikum in die Irre zu führen. Laut Watchdog-Berichten entfallen knapp zehn Prozent der Narrative von Desinformationen auf Themen, die gesellschaftliche Vorurteile nutzen, um Spaltung zu erzeugen und gegen die EU-Integration zu mobilisieren. Diese Kampagnen haben nicht nur das Ziel, Falschmeldungen zu verbreiten, sondern sollen Angst schüren und die gesellschaftliche Stabilität insoweit brechen, dass die moldauische Bevölkerung sowohl gegen ihre nationale Regierung als auch gegen die Europäische Union mobilisiert wird.
Was am Ende bleibt
Eine lange Liste an kremlnahen Akteur*innen flutet den moldauischen Informationsraum täglich mit neuen Beiträgen, wie Stopfals.md herausfand. Am Ende bleibt die Frage ungeklärt, wie groß der Einfluss der von Russland gesteuerten Anti-EU-Kampagnen wirklich auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl und das EU-Referendum am 20. Oktober war. Sicher ist jedoch, dass Russland weiterhin mit einer Vielzahl an Mitteln versucht, den Einfluss in Moldau aufrechtzuerhalten und die pro-europäische Stimmung zu kippen. Was am Ende von Desinformationen, Meinungsmache und Angst schürenden Nachrichten bleibt, ist ein Moldau, das sich in den letzten vier Jahren in großen Schritten hin zum Westen, hin zur Europäischen Union und weg von Russland bewegt hat.
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