Der Zypern-Konflikt: eine stärkere Mauer als in Berlin

, von  Alexis Vannier, übersetzt von Lukas Baake

Alle Fassungen dieses Artikels: [Deutsch] [Español] [français]

Der Zypern-Konflikt: eine stärkere Mauer als in Berlin
Das türkische Wort Taksim beschreibt die Teilung Zyperns. Foto: Wikimedia Commons / Donald Christie / CC BY-SA 4.0

1989-2019: Bereits 30 Jahre sind seit dem Fall der Berliner Mauer vergangen. Ein Fall, der zugleich die Volksdemokratien des Ostblocks als auch die Sowjetunion mit sich gerissen hat. Auch über den ideologischen Blickpunkt hinaus war es eine würdelose Grenze, die an dem Abend des 9. November 1989 gefallen ist und zuvor mehrere Jahrzehnte lang Familien und ein ganzes Volk getrennt hat. Diese Grenze ist nicht nach langen diplomatischen Verhandlungen oder nach einer ausländischen Militärintervention, sondern unter dem Druck der Einwohner*innen von Berlin gefallen, die so für ihre Freiheit sowie für die Wiedervereinigung ihres Landes gekämpft haben. Im Jahre 2020 ist Nikosia auf der Insel Zypern die letzte Hauptstadt auf der Welt, die noch geteilt ist. Und in diesem Fall weisen die Zeichen der Zeit eher auf Verfestigung als auf Entspannung.

Eine Insel zwischen Europa und Kleinasien

Ursprünglich war die Insel Teil des oströmischen Imperiums. Nach der Eroberung Konstantinopels fiel die Insel in die Hände der Ottomanen. Genau zu diesem Zeitpunkt haben die Türk*innen begonnen, Zypern an der Seite der Griech*innen zu besiedeln.

Das ottomanische Imperium, geschwächt von den Aufständen im Balkan, übergab die Verwaltung der Insel 1878 an das britische Imperium. Als Reaktion auf die Allianz zwischen dem ottomanischen Imperium und der Triple Entente annektierte Großbritannien die Insel im Jahre 1914. Auf Zypern war die Trennung zwischen griech*innen (80% der Bevölkerung) und türk*innen Zyprer*innen stets präsent. Während die griech*innen Zyprer*innen eine Vereinigung mit Griechenland – die sogenannte Enosis – erreichen wollten, kämpften die türkischen Zyprer*innen für den Taksim – die Teilung Zyperns.

Nach der Unabhängigkeit Zyperns 1960 hat der neue Präsident der Insel, der griechische Erzbischof Makários III, einen türkischen Zyprioten als Vizepräsident ausgewählt. Darüber hinaus wurde Zypern Teil des Commonwealth, eine politische Form des Neokolonialismus, die es Großbritannien ermöglicht hat, seine militärische Präsenz auf der Insel mit den Militärbasen Akrotiri und Dehakelia beizubehalten. Diese beiden Basen sind bislang die einzigen britischen Gebiete, die den Euro verwenden.

Dieses fragile Gleichgewicht wurde durch den Staatsstreich griechischer Militärs 1974 gestört. Ziel war es, die Vereinigung mit Griechenland zu erreichen. Als Gegenreaktion und zum Schutz der eigenen Bevölkerung hat die Türkei einmal als Reaktion auf den Putsch und später ein zweites Mal militärisch interveniert. Der fehlgeschlagene Staatsstreich leistete einen Beitrag zum Sturz der griechischen Militärjunta, der noch im gleichen Jahr stattfand.

Die Präsenz der Friedenstruppen der Vereinten Nationen auf der Insel seit 1964 garantiert die Demilitarisierung der grünen Linie, auch Attila-Linie genannt. Diese Linie teilt die beiden Bevölkerungsgruppen und die Hauptstadt. Dabei stehen die drei Bereiche der Linie unter argentinischer, britischer und ungarisch-slowakischer Aufsicht. Im Jahr 1983 wurde die türkische Republik Nordzypern (TRNZ) mit Nikosia als Hauptstadt ausgerufen und ausschließlich von der Türkei anerkannt.

Nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein

Seitdem, hat die UN mehrere Versuchte unternommen, Zypern zu vereinigen. Während das Land 1993 die Verhandlungen über die Aufnahme in die EU begann, diskutierten die beiden wichtigsten zyprischen Politiker mit den Vereinten Nationen über den Annan-Plan, der nach dem damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan benannt war. Dieser Plan sah die Gründung einer vereinten, föderalen Republik Zypern vor, in der sowohl eine strikte Gleichheit in der politischen Repräsentation der beiden Bevölkerungsgruppen als auch eine demographische Neuverteilung zwischen den beiden Gruppen der Insel vorgesehen war.

Im Rahmen eines Referendums wurde der Plan im April 2004 von den griechischen Zyprer*innen mit 70 Prozent abgelehnt, da die vorgesehene politische Gleichheit der beiden Gruppen nicht die demographischen Verhältnisse - die griechischen Bevölkerung ist dreimal so groß wie die türkische - berücksichtigt hat. Darüber hinaus hätte der Plan Griechenland und die Türkei dazu berechtigt, ihre militärische Präsenz auf der Insel aufrechtzuerhalten, was einen starken Eingriff in die Souveränität Zyperns darstellte. Der nördliche Teil hatte dem Plan mit 65 Prozent zugestimmt.

Die Ablehnung des Plans hat die Aufnahme Zyperns in die EU, am 1. Mai 2004 nicht verhindert. Obwohl die EU-Mitgliedschaft rechtlich das gesamte Territorium der Insel betrifft, wird die Türkische Republik Nordzypern nicht von Brüssel anerkannt. Seitdem gibt es immer wieder Verhandlungen über eine mögliche Föderation. 2015 wählten die Zyprer*innen im Norden der Insel Mustafa Akıncı zum Präsidenten, der als erster eine Wiedervereinigung der Insel anstrebte und sich offen gegen eine Verstärkung des türkischen Einflusses auf der Insel richtete. 2016 waren die politischen Repräsentanten einer Einigung nahe. Dennoch blockierte ein kleiner Punkt die Verwirklichung dieser Einigung: die Präsenz der türkischen Soldat*innen auf der Insel.

Das Jahr 2019 brachte eine Reihe von kleinen Erfolgen mit sich. Als Beispiel für eine Annäherung „von unten“, standen sich bei einem Fußballspiel zypriotische Türken und zypriotische Griechen in dem Dorf Pýla gegenüber, dem einzigen in dem die beiden Bevölkerungsgruppen Haus an Haus wohnen. Ein erneuter Beweis, dass der Sport den Frieden fördern kann.

Weiter wurde bei der Europawahl im Mai 2019 zum ersten Mal ein türkisch-zyprischer Abgeordneter nach Strasburg gewählt. Darüber hinaus hat der aktuelle Generalsekretär der UNO, António Guterres, den 30. Jahrestag des Mauerfalls zum Anlass für eine Neuverhandlung der zypriotischen Frage in der ehemals geteilten Hauptstadt genommen. Die Symbolik dieser Entscheidung ist unübersehbar, aber wird sie auch ausreichen, um die alten Gräben zu überbrücken?

Die türkischen Bohrungen nach Erdgas werden von der türkischen Republik Nordzyperns ausgeführt. Die darauf folgenden geopolitischen Verwerfungen zeigen, dass die Spannungen auf der Insel nach wie vor präsent sind. Sie weisen aber auch auf die zentrale Rolle hin, die der türkische Präsident Erdogan in diesem Konflikt spielt.

Der „kleine Sultan“ hat den Nationalismus zu seinem Credo gemacht, um sich so auf dem geopolitischen Schachbrett des Nahen Ostens zu positionieren. Seine Präsenz im Mittelmeer aufzugeben, ist für ihn daher keine Option.

Der Rückzug der Truppen – ein bisheriges Hindernis für erfolgreiche Verhandlungen – wird daher erst nach dem Abschied Erdogans von der türkischen Präsidentschaft oder auf Grund der Neuausrichtung seiner Außenpolitik erfolgen. Die Frage ist nur, welche dieser beiden Optionen zuerst verwirklicht wird.

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom