Wäre Europa ein Gebäude, müsste man es abreißen. Man kann das behaupten, ohne sich mit Architektur besonders auszukennen, es ist ja offensichtlich: Der Mörtel bricht, die Dielen knarren, das Fundament ist im Eimer. Man muss Angst haben um dieses Gebäude.
Wie baufällig Europa ist, zeigt ein Blick in die Nachrichten. Die sind – wenn es um Brüssel und Straßburg geht, um Berlin und Athen – selten schmeichelhaft. „Menschenrechtler kritisieren EU-Gipfel als vertane Chance“, schreibt Spiegel Online. Auf taz.de erfährt man, das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer sei „schlimmer als gedacht“. Das Handelsblatt wählt für einen Artikel über Alexis Tsipras die wenig überraschende Themenzeile „Griechenland in Geldnot“. Bad news: Europa zerfällt. Die Autoren dieser Kolumne werfen jeden Sonntag einen Blick auf Europa und versuchen dabei, das Große im Kleinen zu sehen. In der Regel schreiben sie über schöne Dinge, die auf diesem Kontinent passieren oder passiert sind. Ihre Artikel sind Artikel zum Wohlfühlen, und das ist gut so, denn, ja, Europa ist sauberes Trinkwasser, Krawatten, Pommes und Bier. Aber wer „Europa im Blick“ hat, muss auch über den Wahlkampf in Großbritannien schreiben, in dem Politiker offen über Ausländer lästern. Er muss sich den Balkan anschauen, über den Menschenrechtler berichten, dass es dort Roma-Siedlungen ohne Strom und Leitungswasser gebe. Er muss den Zank zwischen Griechenland und der Euro-Gruppe im Blick haben, den Front National und die Wahren Finnen, den Anschlag auf das Asylantenheim in Tröglitz. Europa ist alles andere als perfekt.
Nächsten Sonntag wird hier wieder ein Artikel zum Wohlfühlen stehen, versprochen. Heute muss einfach mal die Wahrheit gesagt werden: Europa zerfällt gerade, und das ist schade.
1. Am 27. April 2015 um 09:39, von Zalty Als Antwort Der unperfekte Kontinent
Sehr interessanter Gedanke :) Das habe ich mir immer gedacht, seitdem ich länger in Indonesien gelebt habe. Europa hat für mich eindeutig „zu viel“ Gesetzgebung und Regeln. Eindeutig ist die Arbeit zu teuer - Läden, Kneipen, Hotels, werden mit immer weniger Arbeitern besetzt. Es ist ein ganz komisches Gefühl, wenn man zurück aus Indonesien kommt - wo mindestens 20 Mitarbeiter in einem normalen H&M hüpfen!
2. Am 30. April 2015 um 23:38, von duodecim stellae Als Antwort Der unperfekte Kontinent
Ich meine es ja nicht böse, aber was soll denn dieser fatalistische Käse? Europa zerfällt gerade? ...man müsste es abreißen? Und wenn es denn stimmt, wieso habe ich dann bei diesem Artikel das Gefühl eine gewisse Resignation herauszulesen? Das wäre definitiv nicht die richtige Reaktion!
Klar wenn ich so im Internet auf Nachrichtenseiten unterwegs bin, dort EU-kritische Artikel und Kommentare lese, bekomme ich den Eindruck alle hassen Europa und die EU. Und die Mehrheit der Menschen hier im Land sind nationalistische Vollpfosten deren Meinungen rechts eine üble Schlagseite aufweisen. Und dann erinnere ich mich daran was für Menschen das eigentlich sind, die von morgens bis abends nichts besseres zu tun haben als im Internet über die EU zu schimpfen. Meistens sind es Leute die keinen Job haben, frustriert und vielleicht auch einsam sind und irgendwer muss ja schließlich daran schuld sein. Zusätzlich gibt es natürlich auch Leute die aus ideologischen Gründen gegen die EU im Internet unterwegs sind. AfD-Anhänger und Kreml-Trolle sind hier zu nennen.
Außerdem bin ich der Meinung, dass die meisten deutschen Nachrichtenmedien der EU gegenüber misstrauisch bis feindlich gegenüber eingestellt sind. Das ist aber kein rein deutsches Phänomen. Man denke nur an Rupert Murdoch, einer der größten Medien Mogule des Planeten dem diverse englischsprachige TV und Printmedien gehörten, hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die EU hasst und kaputt machen möchte. Wieso sollte es solche Leute in Deutschland nicht geben? Europa stellt eben den nationalen Status Quo in Frage, und das gefällt vielen nicht. Nicht nur in den nationalen Medien und der nationalen Politik. Es geht hier um Pfründe, die schon national verteilt wurden und die durch Veränderungen wieder in Frage gestellt werden könnten.
Das eigentliche Problem Europas sind aber nicht die ewig gestrigen Nationalisten und EU-Hasser. Das Problem sind zum einen die vielen Gleichgültigen, die die Vorzüge der EU gern nehmen, aber so tun als müssten sie nichts dafür tun. Schön Erasmus machen (nur um das klar zu stellen: das ist keine Anspielung gegen den Autor), aber dann nicht zur Europawahl gehen etc. Und noch schlimmer sind die ganzen Schönwetter-Europäer. Solange alles gut läuft und es keine Probleme gibt finden sie Europa toll. Wenn dann aber mal was schief läuft oder die EU-Gegner groß die Klappe aufreißen, dann lieber das EU-Thema gekonnt umschiffen und sich wegducken. Man will ja nicht als Europa- oder Politspinner abgestempelt werden.
Europa steht am Scheideweg und der Euro wird scheitern, wenn die Politiker nicht verstehen, dass ihm die politische Fiskalunion als zweiter Schritt folgen muss. Und wenn der Euro scheitert, sind die Chancen für ein scheitern Europas hoch. Deshalb ist jetzt nicht die Zeit für Resignation. Da draußen herrscht ein Meinungskrieg und wer eine Meinung hat sollte klar zu ihr stehen und standhaft Stellung beziehen!
3. Am 4. Mai 2015 um 16:05, von Ludger Wortmann Als Antwort Der unperfekte Kontinent
Lieber Sebastian, Europa abreißen? Und wenn es in Deutschland mal schlecht läuft, Deutschland zerlegen? Und wenn an deinem Auto die Reifen abgefahren sind und der Auspuff rostet, wirfst du noch Steine in die Fenster? Was hältst du denn davon, Europa neu aufzubauen? Die EU funktionsfähig zu machen, die Währungsunion fertig zu bauen und die massenhaft Fehlkonstruktionen, die wir in der EU so haben, abzuschaffen? Ich meine, das ist der Weg, den wir gehen müssen. Ich kann mich Doudecim Stellae nur anschließen, auch wenn seine Behauptung, die meisten Leute seien gegen die EU und die, welche solches sind, seien arbeitslos, mathematisch nicht sein kann. Ansonsten aber genau die richtige Botschaft. Also, Sebastian, richtige Feststellung, aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Keine Panik! Viele Grüße Ludger
4. Am 5. Mai 2015 um 19:30, von Marcel Wollscheid Als Antwort Der unperfekte Kontinent
Lieber Ludger Wortmann, ich möchte Ihnen zustimmen. Es gibt zwar besorgniserregende Entwicklungen, aber Grund für Untergangsstimmung ist nicht gegeben. Wenn ich mich in der Welt umsehe ist Europa immer noch ein Hort von Stabilität, Wohlstand, Freiheit und Demokratie. Auch ein unperfektes Gebilde sollte man nicht sofort abreißen, sondern pflegen, erneuern und sanieren.
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