Auf der ukrainischen Seite des Panels saßen Mariia Mezentseva, Mitglied des ukrainischen Parlaments und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Europäische Integration, Dmytro Naumenko, Senior Analyst am Ukrainian Centre for European Policy und Dr. Yuliya Bidenko, die derzeit als Gastwissenschaftlerin für das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin arbeitet. Als Vertreter der Europäischen Union nahm Michael Gahler teil, welcher seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments für die CDU ist und aktuell die Rolle des Berichterstatters des Europäischen Parlaments zur Ukraine innehat.
Europäische Integration in der Ukraine
Die Geschichte der ukrainischen Annäherung an die EU beginnt bereits ein knappes Jahrzehnt vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU, ihren Mitgliedsstaaten und der Ukraine. Dieses bereits im Jahr 2014 unterzeichnete Dokument war seinerzeit das erste Abkommen im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der Nachbarschaftspolitik, die mittlerweile Abkommen mit sechs postsowjetischen Staaten umfasst. Im September 2014 verabschiedeten die Parlamente der Ukraine und der EU das Assoziierungsabkommen, das im Januar 2016 in Kraft trat.
Michael Gahler hält jedoch gleich in seinem Eröffnungsstatement fest, dass in diesem Abkommen die „klare Beitrittsperspektive nicht ausdrücklich erklärt wurde“. Mariia Mezentseva weist jedoch darauf hin, dass trotz dieser zu dem Zeitpunkt noch fehlenden ausdrücklichen Beitrittsperspektive „der politische Wille und Vorstöße schon 2019“ stärker geworden seien und das Parlament sich dafür einsetzte, Gesetze an EU-Recht anzupassen. „Wir waren sehr hartnäckig und entschlossen, das zu Ende zu bringen, was in der vorherigen Legislaturperiode nicht möglich war“.
Trotz des politischen Willens für eine engere Zusammenarbeit auf beiden Seiten, hält Michael Gahler fest:
„Die Beitrittsperspektive brauchte leider diesen furchtbaren Krieg, um konkreter zu werden.“
Der Antrag auf EU-Mitgliedschaft folgte dann wenige Tage nach dem Beginn des russischen Angriffs Ende Februar und wurde Ende Juni - nach einer Stellungnahme der Kommission - vom Europäischen Rat angenommen.
Wie wird man eigentlich EU-Mitglied?
Der Blick in den Vertrag über die Arbeitsweise der EU verrät, die Mitgliedschaft der EU kann „jeder europäische Staat […] beantragen“. Europäisch steht hierbei allerdings weniger für die geographische Definition Europas und mehr für die demokratischen Werte, die der EU zugrunde liegen. Gemessen werden diese an den sogenannten Kopenhagener Kriterien, dem politischen, dem wirtschaftlichen, dem Acquis-Kriterium und der Aufnahmefähigkeit der EU (mehr dazu hier). Damit soll unter anderem die institutionelle Stabilität, die demokratische sowie rechtsstaatliche Ordnung und eine funktionsfähige Marktwirtschaft des potentiellen Mitglieds sichergestellt werden.
EU-Mitgliedschaft trotz Krieg?
Trotz des anhaltenden Kriegszustandes in der Ukraine bestätigte die Kommission Kiew erste Fortschritte bei der Erfüllung der Bedingungen für die Beitrittsverhandlungen. Der zuständige Kommissar Olivér Várhelyi bestätigte der Ukraine, dass zwei von sieben Auflagen für die Beitrittsverhandlungen bereits erfüllt seien. Dabei handelt es sich unter anderem um Fortschritte in den Bereichen Justiz und Pressefreiheit.
Today at the Informal meeting of the General Affairs Council I gave an Oral Update on Ukraine 🇺🇦, Moldova 🇲🇩, Georgia 🇬🇪 .
I informed the Council about how the 3 countries are progressing & the remaining work still to be done.#GAC #EU2023SE pic.twitter.com/WWSRUM8k5y— Oliver Varhelyi (@OliverVarhelyi) June 22, 2023
Mariia Mezentseva sieht eindeutig die Fortschritte, die die Ukraine seit Kriegsbeginn gemacht hat, weiß aber auch, dass ihr Land noch viele Reformen vor sich hat. Dmytro Naumenko merkt an, dass Kriterien wie eine funktionsfähige Marktwirtschaft für ein Land, das sich im Wiederaufbau befindet, kurzfristig schwer zu erfüllen sind. Seiner Einschätzung zufolge werden die traditionellen Wirtschaftssektoren der Ukraine, wie der Landwirtschafts- und Nahrungsmittelsektor, nach Kriegsende ruiniert sein.
Wir brauchen eine Reform des Beitrittsprozesses!
Wie genau der Beitrittsprozess der Ukraine aussehen wird, ist bis zu einem gewissen Grad ungewiss. Dmytro Naumenko ist sich aber sicher, dass der Beitritt der Ukraine ein spezieller Fall sein wird, da bisher noch nie über den Beitritt eines Staates verhandelt wurde, der sich in einem großen Krieg befindet. Yuliya Bidenko merkt hierzu jedoch an, dass auch alle bisherigen Beitrittsprozesse von politischen Entscheidungen beeinflusst wurden und esin der Vergangenheit nicht den einen Beitrittsprozess gegeben habe. Der EU-Beitrittsprozess habe sich zudem in der Vergangenheit bereits verändert, ergänzt Mariia Mezentseva.
Und diese Veränderungen, da sind sich Panel und Zuschauer*innen des Bürgerdialogs einig, müssen weiter getragen und der Beitrittsprozess verändert werden. Und diese Frage ist nicht nur für den Beitritt der Ukraine relevant, sondern auch für zukünftige Beitrittsverhandlungen mit Ländern wie Moldau, Albanien und Montenegro von großer Bedeutung.
Dazu, wie diese Veränderung aussehen könnte, gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Ein sehr konkreter Vorschlag kommt von Michael Gahler. Während die Acquis-Kriterien natürlich weiterhin von jedem neuen Mitgliedsstaat erfüllt werden müssten, könne der Beitrittsprozess aus verschiedenen Stufen bestehen. Ein so reformierter Prozess würde es beispielsweise erlauben, dass Parlamentarier*innen des Beitrittskandidaten schon vor Beendigung der Verhandlungen als Beobachter*innen in das Europäische Parlament gesendet werden. Dies könnte den Übergangsprozess zur vollen Mitgliedschaft für beide Seiten erleichtern.
Nächster Schritt: Beitrittsverhandlungen?!
Michael Gahler erklärt, dass als nächster Schritt im Beitrittsprozess der Ukraine eine weitere Evaluation der Europäischen Kommission folgen wird. Diese für Oktober geplante Evaluation wird erneut prüfen, welche Fortschritte die Ukraine in Bezug auf die sieben von der Kommission vorgegebenen Reformen bereits gemacht hat.
„Wir brauchen hier einen finalen Anstoß […] bis zur Ratssitzung im Dezember. Der Wunsch des Europäischen Parlaments ist es, dass der Beitrittsprozess im Dezember startet.“ (Michael Gahler)
Bis dahin sind allerdings noch einige Reformen von Seiten der Ukraine zu erfüllen, aber auch die EU hat noch einige Unterstützungsprojekte in der Pipeline. Konkret handelt es sich dabei um die neue Fazilität für die Ukraine, die in den nächsten vier Jahren 50 Milliarden Euro für den Wiederaufbau und den Beitrittsprozess bereitstellen soll. Michael Gahler ergänzt, dass neben dieser Unterstützung auch ein Paket für die Unterstützung der Verteidigung der Ukraine geplant wird.
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