Autor und Publizist Jörg Bong im Interview

„Das stärkste Instrument der Solidarität einsetzen!“

, von  Joris Duffner

„Das stärkste Instrument der Solidarität einsetzen!“
Mangelnde Unterstützung für Corona-Bonds seitens der Bundesregierung ist eine Gefahr für die Stabilität der EU, so Autor und Publizist Jörg Bong. Foto: unsplash / Christian Dubovan / unsplash license

Der Offene Brief „Europäische Corona-Bonds jetzt!“ fordert die deutsche Bundesregierung auf, dem Vorschlag des italienischen Regierungschefs Giuseppe Conte und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zuzustimmen, mit Corona-Bonds auf die Krise zu antworten. Initiiert hatte den Appell vor einigen Wochen der Autor und Publizist Jörg Bong gemeinsam mit Helge Malchow, Editor-at-large beim Verlag Kiepenheuer & Witsch und Regina Schilling, Kuratorin des Internationalen Literaturfestivals lit.COLOGNE. Jörg Bong ist einem breiten Publikum als ehemaliger Verleger der S. Fischer Verlage und durch seine Romane um Kommissar Dupin bekannt, die er unter dem Künstlernamen Jean-Luc Bannalec verfasst. Die Krimis wurden für die ARD verfilmt und erhielten mehrere Auszeichnungen. Im Interview mit Treffpunkt Europa erklärt er seine Beweggründe für den Offenen Brief, betont die Notwendigkeit einer Diskussion über die Ökonomie hinaus und plädiert für umfassendes zivilgesellschaftliches Engagement in der Krise.

treffpunkteuropa.de: Herr Bong, was hat Sie angetrieben, den Offenen Brief für Corona-Bonds zu veröffentlichen?

Jörg Bong: Bereits in den letzten Jahren habe ich einen immer stärkeren Missmut über die nicht erfolgte, dabei eminent notwendige Vertiefung der europäischen Integration verspürt. Ein Schlüsselmoment stellte das Ausbleiben einer deutschen Antwort auf die weitgehenden Vorschläge Emmanuel Macrons zur Zukunft der EU dar, die er vor zweieinhalb Jahren in seiner Rede vor Studenten der Pariser Universität Sorbonne formulierte. Diesen Impuls nicht dezidiert aufgenommen zu haben, war höchst fahrlässig. In der aktuellen, durch die Corona-Pandemie ausgelösten Krisis, die Europa in lange nicht mehr gekannter Weise bedroht, ist die solidarische europäische Einheit nun noch dringender gefordert als je. In der Realität aber sieht es anders aus, das Denken und Handeln regrediert ins Nationale. Das ist fatal. Gerade jetzt müssen wir in Europa mit einer großen Entschiedenheit vorangehen, die „Flucht nach vorne“ antreten, die Anstrengungen einer weiteren, klugen Vereinigung im Moment der Bedrohung nochmals forcieren. In Hinblick auf die ökonomisch desaströsen Folgen der Krisis heißt das: Wir sollten der schlimmsten wirtschaftlichen Erschütterung seit dem zweiten Weltkrieg mit dem maximal stärksten verfügbaren finanzökonomischen Instrument innereuropäischer Protektion begegnen. Das bedeuten für uns die „Corona-Bonds“, sprich: gemeinsame von den Euro-Staaten ausgegebene Anleihen. Dabei sind wir nicht auf den Begriff, diese eine Idee, fixiert, wir meinen schlicht die effektivsten, weitreichendsten Mittel, die uns zur Verfügung stehen.

Man könnte jetzt sagen, es handelt sich um eine rein ökonomische Fragestellung, mit dem sich nur Finanzexperten beschäftigen sollten. Was entgegnen Sie?

Wo sind wir hingekommen, dass die Ökonomie unserer Gesellschaft bloß noch eine technische Frage von „Finanzexperten“ ist? Das ist bereits ein Teil der gegenwärtigen Krux. Die Ökonomie stellt die Grundlage einer Gesellschaft dar – damit ist sie per se eine elementare gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. Über die wir alle zusammen – selbst ökonomische Aktiva – einen verantwortlichen Diskurs führen müssen. Natürlich mit den Experten – ein Hoch auf Experten! –, es gibt viele brillante Ökonomen, die ihren Gegenstand in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive reflektieren. Die Art und Weise, wie wir wirtschaften, beispielsweise mit der Natur oder Löhnen und Arbeitsbedingungen umgehen – das sind gesamtgesellschaftliche Fragestellungen. Wir alle haben das Recht, ja die Pflicht, mitzudenken. Wir über alles andere auch. Das ist Demokratie. Zudem sind die Folgen der Entscheidung über Corona-Bonds keineswegs eben nur wirtschaftlicher Natur, sondern gehen weit, weit darüber hinaus. Sie sind allgemein politisch, wieder: gesamtgesellschaftlich. Gesamteuropäisch. Wenn wir jetzt nicht eine maximal solidarische Haltung einnehmen und die Europäische Integration, das großartige europäische Projekt, massiv beschädigt werden sollte, betrifft das alles, nicht nur die Ökonomie.

Wie schätzen Sie Ihre politische Wirkung als Kulturschaffende, die den Offenen Brief angestoßen haben, ein?

Wir haben eine erhebliche Resonanz auf unsere Aktion erfahren, eine beachtliche Anzahl höchst anerkannter Mitstreiter für den Offenen Brief gefunden, darunter Friedenspreisträger, renommierte Autoren, renommierte Geistes- und Sozialwissenschaftler. Dennoch: Wir haben nicht angenommen, dass diese Initiative alleine etwas bewegt, das wäre vermessen. Wir sehen uns in einem Konzert von Stimmen, die gleiche oder ähnliche Forderungen äußern. Es haben sich diverse Initiativen und Appelle formiert, fabelhaft. Alle zusammen haben sie die Forderung lautstark in die Debatte getragen.

In der deutschen Bundesregierung – aber auch beispielsweise in den Niederlanden – wird gegen gemeinsame Anleihen damit argumentiert, sie würden falsche Anreize für einige Länder setzen. Ist da nichts dran?

Das ist eine komplizierte Diskussion, die bereits in der Eurokrise aufkam, als es um die „Euro-Bonds“ ging. Ich würde entgegnen, dass wir uns im Augenblick in einer kategorial anderen Situation befinden. Zudem ist das Ausmaß der Krisis noch einmal ein anderes; es ist derart gewaltig, dass es klug erscheint, das Mittel zu wählen, das den stärksten Schutz für die am stärksten betroffenen Staaten bietet. Und zwar bevor die Eigendynamik einer Abwärtsspirale für alle beginnt, der man nicht mehr Herr zu werden vermag. Dieses Mittel ist das einer gemeinsamen Anleihe. Ein stärkeres Signal können wir nicht geben.

Corona-Bonds sind also unverzichtbar in der aktuellen Krise, aber mit einer klaren Trennung zu langfristigen Euro-Bonds?

Richtig, Prämisse dafür wären weitere ökonomische und strukturell Konvergenzen wie angeglichene Steuer- oder Sozialstandards in Europa, da stimme ich mit vielen Kritikern simpler Euro-Bonds-Modelle überein. Ich würde mir aber wünschen, dass diese Diskussion unbedingt geführt wird. Wie gesagt, in meinen Augen ist in Europa in den letzten Jahren etwas Sträfliches passiert: Die Vertiefung ist ausgeblieben. Wenn wir weitere Angleichungen in der Wirtschaftspolitik, in denen das gemeinsame Agieren nach unserem Dafürhalten unbedingt verstärkt werden muss, erreichten, könnten auch langfristige Euro-Bonds zu einer festen Institution werden.

Könnten Corona-Bonds nicht auch rechtspopulistischen Parteien hierzulande, aber auch in ganz Europa, wieder in die Karten spielen?

Ich bin überzeugt, dass es sich genau umgekehrt verhält. Die historische Erfahrung zeigt: Wenn wir nicht offen, mutig, entschieden, offensiv und mit Enthusiasmus die Menschen für progressive Ideen zu gewinnen versuchen, dann gewinnen die Populisten. Man darf nie die Agenda und Ängste der Demagogen übernehmen, das funktioniert nie, man muss eine eigene Agenda setzen und Menschen davon zu überzeugen versuchen. In dem Fall jetzt: indem wir überzeugend darlegen, dass die Forderung nach maximaler internationaler Solidarität in Europa nichts mit naiver Europa-Schwärmerei zu tun hat, sondern einem ökonomischen, monetären, aber eben auch sozialen und kulturellen Realismus, ja gewissermaßen politischem Hyper-Realismus entspringt – und in vernünftiger Weise am Ende eben auch unser eigenes ökonomisches Interesse realisiert.

Was würde drohen, wenn die maximale Solidarität ausbliebe – wenn es keine Corona-Bonds gäbe?

Im allerschlimmsten Falle das Endes Euros und ein Zerfall der Europäischen Union. Die eben keine selbstverständliche, „natürliche“ Institution ist, sondern für jede Zeit und Generation aufs Neue eine beherzte Entscheidung verlangt. In Situationen wie der jetzigen sind ungeheure irrationale Kräfte am Werk, auch solche, die man lange nicht richtig sieht. Sie können in ihrer Wucht Dynamiken entfalten, die dann nicht mehr kontrollierbar sind.

Kann die Krise auch eine Chance für einen politischen Neustart in Europa sein?

Ich würde nicht bloß von der Chance für einen politischen Neustart in Europa sprechen, sondern von der Notwendigkeit. Der Notwendigkeit einer zügigen Vertiefung der Europäischen Union, die zwei entgegengesetzte, aber komplementäre Prinzipien realisiert: das gemeinsame Agieren auf einige zentralen Politikfeldern wie Verteidigung, Ökologie, Soziales und Ökonomie und radikale Regionalität wie Subsidiarität. Das Europa der Regionen und wunderbaren europäischen Pluralismen. Darin liegt unsere spezifische europäische Kraft. Aber Geschichte ist nie determiniert, solche großen Verwerfungen können in alle Richtungen gehen. Es kann Barbarisches aber auch Besseres aus einer solchen Krise entstehen. Deshalb ist jetzt das Engagement von jedem Einzelnen so wichtig. Ob wir diese Möglichkeit wahrnehmen, hängt nur von uns ab. Wenn das Engagement steigt, ist sehr viel möglich. Ich bin Rheinländer und damit Optimist. Reflektierter Optimist. Ich rechne nicht automatisch damit, dass es gut wird, gar nicht, eher im Gegenteil, aber ich glaube fest daran, dass es gut werden kann. Und das ist dann ein echtes Mandat.

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