Das Corona-Hilfspaket der EU – auf dem Weg zu einer Transferunion?

, von  Sophia Stutzmann

Das Corona-Hilfspaket der EU – auf dem Weg zu einer Transferunion?
Nach der Corona-Krise sollen mit einem Wiederaufbauplan 750 Milliarden Euro in die wirtschaftliche Erholung Europas fließen und zwar auf Kredit. Ein Vorschlag, der insbesondere bei Konservativen Politiker*innen auf Widerstand trifft. Foto: Flickr / GUE/NGL / CC BY-NC-ND 2.0

Zwischen Corona-Bonds und der Diskussion über die Vergemeinschaftung von Schulden in der EU tauchte zuletzt auch wieder vermehrt der Begriff „Transferunion“ in der europäischen Medienöffentlichkeit auf. Zumeist konservative Politiker*innen warnten, die EU befände sich auf dem Weg dorthin. Zwar ist diese Diskussion nicht neu, doch nun wirft der am 27. Mai vorgestellte Vorschlag der EU-Kommission für ein Corona-Konjunkturprogramm ein neues Licht auf diese Frage. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff und was bedeutet das Konjunkturprogramm für die Entwicklung der EU zu einer solchen Transferunion? Eine Analyse.

Die Diskussion über den Weg Europas in eine Transferunion ist keineswegs ein neues Phänomen. Schon während der letzten Eurokrise zwischen 2010 und 2013 warnten einige Politiker*innen und Ökonom*innen davor, dass die EU sich zu einer Transferunion entwickeln würde – demnach war schon damals dieses Wort negativ konnotiert. Im Zuge der sich nun abzeichnenden tiefen Wirtschaftskrise innerhalb der EU infolge des durch Covid-19 verursachten Einbruchs der europäischen Wirtschaft fällt dieser Begriff nun erneut in der europäischen Medienöffentlichkeit. Im Hinblick auf die viel diskutierten und besonders von Italien geforderten Corona-Bonds – gemeinsame Anleihen der EU, für die die EU gemeinsam Schulden aufnehmen würde und gemeinsam für die Zinsen und die Rückzahlung der Anleihen haften würde – fürchtete beispielsweise Friedrich Merz medienwirksam, dass dies der Einstieg in eine EU-Transferunion bedeute.

Letztendlich beinhaltete der am 27. Mai von der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellte Vorschlag über ein Corona-Konjunkturprogramm, dem sogenannten „Next Generation EU“ Programm, zwar keine Corona-Bonds, aber dennoch sowohl das Aufnehmen von Krediten durch die Europäische Kommission als auch die Verteilung der Gelder des Hilfspakets an diejenigen Länder, die von Covid-19 am stärksten betroffen sind, wie Italien und Spanien. Vor diesem Anblick lässt sich diskutieren, was dieser Vorschlag für die Entwicklung der EU zu einer Transferunion bedeutet. Doch was bezeichnet dieser Begriff eigentlich genau?

Was ist eine Transferunion?

Grundsätzlich bedeutet das Konzept einer Transferunion auf europäischer Ebene die Umverteilung von Geld und Vermögen von reichen Regionen und Ländern zu ärmeren Regionen und Ländern. Dieses Konzept ist somit vergleichbar mit dem deutschen Länderfinanzausgleich, durch welchen ein Geldtransfer von den reicheren Bundesländern an die ärmeren Bundesländer stattfindet. In der Öffentlichkeit ist dieser Begriff vorwiegend negativ konnotiert, da schnell die Assoziation entsteht, wirtschaftlich erfolgreiche Länder müssten unbegrenzt und auf unbestimmte Zeit für die Geldsorgen der ärmeren Länder aufkommen. Das führt dazu, dass insbesondere Politiker*innen aus den reicheren Ländern vor einer solchen Transferunion warnen. Diese negative Besetzung des Begriffs vernachlässigt allerdings die möglichen positiven Effekte einer Umverteilung von Vermögen zwischen den Regionen der EU, da beispielsweise exportorientierte Mitgliedsstaaten von einer Steigerung des Geldzuflusses in ärmere Regionen und der daraus resultierenden Konsumsteigerung in diesen Regionen profitieren.

Eine Debatte über eine „Transferunion, ja oder nein?“ führt jedoch an der Realität vorbei. Denn Umverteilungsmechanismen existieren im aktuellen EU-Haushalt bereits. So haben beispielsweise die EU-Strukturfonds – welche im aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2014-2020, dem Langzeithaushalt der EU, ein Drittel des Gesamthaushalt ausmachten – das Ziel, ärmere und strukturschwächere europäische Regionen zu fördern, um dadurch ökonomische und soziale Unterschiede zwischen den Regionen auszugleichen. Das Geld hierfür kommt aus dem gemeinsamen Haushalt der EU, in welches reichere Länder mehr Geld als ärmere Länder einzahlen, da die Bemessung der Haushaltsbeiträge der Mitgliedsstaaten unter anderem auf den Bruttonationaleinkommen der Mitgliedsstaaten beruht. Dies führt zu einem Umverteilungseffekt zwischen europäischen Regionen, der allerdings empirisch bemessen relativ gering ist.

Die wesentlichere Frage ist also nicht eine Debatte über die Existenz einer Transferunion, sondern vielmehr über die Tiefe sowie die Art und Weise einer solchen. In diesem Licht stellt sich die Frage, ob das vorgeschlagene Corona-Konjunkturprogramm der EU-Kommission nun einen weiteren Schritt in die Richtung einer tieferen Transferunion bedeutet.

„Next Generation EU“: ein Vorstoß für eine tiefere Transferunion

Der „Next Generation EU“-Plan, den Ursula von der Leyen am 27. Mai vorgestellt hat, sieht Gelder im Rahmen von 750 Milliarden Euro vor, die für Krisenreaktions- und Wiederaufbaumaßnahmen infolge der durch Covid-19 verursachten Wirtschaftskrise bestimmt sind und den nächsten MFR (2021-2027) ergänzen sollen. Von den 750 Milliarden sollen 500 Milliarden in Form von Subventionen an besonders betroffene Regionen und Wirtschaftssektoren gehen, während die restlichen 250 Milliarden in Form von rückzuzahlenden Krediten an Mitgliedsstaaten weitergegeben würden. Diese Gelder sollen auf einen Zeitraum von 3 Jahre (2021-2024) begrenzt sein und würden dadurch finanziert, dass die EU-Kommission im Namen der EU auf den Finanzmärkten Kredite aufnimmt.

Da die Kredite durch Garantien aus dem EU-Haushalt abgedeckt würden, könnte die EU-Kommission im Vergleich zu einzelnen Mitgliedsstaaten Kredite zu relativ günstigen Zinsen aufnehmen. Die Gelder dieser Kredite würden dann in die Ausgabenprogramme des „Next Generation EU“ Plans weitergeleitet oder direkt in Form von Krediten an einzelne Mitgliedsstaaten weitergegeben. Die Ausschüttung der Gelder an die Mitgliedsstaaten soll sich danach richten, wie schwer ein Mitgliedsstaat von der Corona-Krise betroffen ist. Somit würden insbesondere schwer getroffene Länder wie Spanien und Italien von diesen Mitteln profitieren.

Doch was bedeutet dieser Vorschlag nun für das Konzept der Transferunion? Es wäre zwar nicht das erste Mal, dass die EU-Kommission an den Finanzmärkten Kredite im Namen der EU aufnimmt, allerdings ist die vorgeschlagene Höhe dieser Kredite ein Paukenschlag. Zudem würden die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam für die Kredite haften, da sie gemeinschaftlich Beiträge zum EU-Haushalt zahlen würden, die als Garantien für die aufgenommenen Kredite reserviert wären. Dies würde einen Präzedenzfall an Solidarität und Aufnahme gemeinsamer Schulden der Länder darstellen. Darüber hinaus würde eine Kopplung der Subventionen daran, wie schwer Mitgliedsstaaten von Covid-19 betroffen sind, eindeutig einen Schritt zu vermehrten Geldtransfers an diejenigen Länder, die es am dringendsten brauchen, bedeuten. Würde es in dieser Form verabschiedet, wäre die EU mit „Next Generation EU“ definitiv auf dem Weg zu mehr finanzieller Solidarität, welche sich auch in einer tieferen Transferunion ausdrücken würde. Allerdings soll das Corona-Hilfspaket nur auf 3 Jahre befristet sein, sodass sich erst zeigen muss, ob diese finanzielle Solidarität auch darüber hinaus bestehen und zum Regelfall werden würde – erst dann könnte man wirklich von einer Vertiefung der Transferunion sprechen.

Deutsche Ratspräsidentschaft als potenzieller Motor für Verhandlungen

Hier befindet sich allerdings noch eine Hürde: das Konjunkturprogramm ist bisher nur ein Vorschlag der EU-Kommission und muss nun vom Europäischen Rat einstimmig beschlossen werden und anschließend auch von allen nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten verabschiedet werden. Im Europäischen Rat stehen die Chancen für das Paket allerdings gut, nachdem der Vorschlag der EU-Kommission zentrale Elemente des deutsch-französischen Plans vom 19. Mai aufgegriffen hat, wodurch die Zustimmung von Frankreich und Deutschland für „Next Generation EU“ gesichert sein sollte. Darüber hinaus fanden auch die als „frugal four“ bekannten sparsamen Länder Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden, die sonst vehement für geringere Ausgaben auf EU-Ebene eintreten, positive Worte für den Vorschlag, was zu Optimismus für die Verhandlungen im Europäischen Rat anregen kann.

Eine zentrale Rolle in den Verhandlungen kann jetzt Deutschland zukommen, da es am 1. Juli die Präsidentschaft des Rats der Europäischen Union übernommen hat. Dies könnte eine Gelegenheit für Deutschland sein, die Verhandlungen über „Next Generation EU“ voranzutreiben und zügig abzuschließen, was für ein pünktliches Anlaufen der Programme Anfang des nächsten Jahres essenziell ist. Neben dem Covid-19-Krisenmanagement und den immer schwieriger und gleichzeitig immer drängenderen Verhandlungen für den nächsten MFR warten allerdings auch weitere politische Schwergewichte wie die Verhandlungen über ein Brexit-Abkommen auf die EU, an dessen Bewältigung sich die deutsche Ratspräsidentschaft wird messen müssen.

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