Carola Rackete: Warum der zu zahlende Preis indiskutabel ist

, von  Carlotta Grünjes

Carola Rackete: Warum der zu zahlende Preis indiskutabel ist
Ein weiteres Schiff der Organisation Sea Watch. Foto: Wikipedia / Hol and / CC BY-SA 4.0

Eine Strafe für Carola Rackete findet treffpunkteuropa.de-Redakteurin Carlotta Grünjes indiskutabel. Auch das Argument, Italien sei aufgrund seiner Anbindung an das Mittelmeer stärker betroffen als andere EU-Länder und in der Folge überfordert, lässt sie nicht gelten. Ihr Fazit: Ein Verbrechen ist Seenotrettung nicht.

Liebe Europäer*innen,

„Wer gerade dabei ist, zu ertrinken, der ist weder Afrikaner noch Europäer, weder Muslim noch Christ, der ist ein Mensch, der gerade dabei ist zu ertrinken, und man muss alles unternehmen, um ihn zu retten“: Das schrieb Wolfgang Luef vor ziemlich genau einem Jahr in seinem Text „Der Untergang“. Jetzt ist seine Aussage aktueller denn je. Die europäische Öffentlichkeit debattiert um den Fall der Sea Watch 3, die am 12.Juni 53 Menschen im Mittelmeer an Bord nahm und am 29. Juni trotz Verbotes in den Hafen von Lampedusa einfuhr. Achtzehn Tage waren die gestrandeten Menschen an Bord, bis die Kapitänin Carola Rackete entschloss, trotz des expliziten Verbotes der italienischen Regierung nach Lampedusa zu fahren. Sie sagte, die Lage an Bord sei „hoffnungslos“ gewesen und sie habe „lediglich erschöpfte und verzweifelte Menschen an Land“ bringen wollen.

Dafür drohen ihr jetzt in Italien 50.000 € Geldbuße wegen Verstoßes gegen die Sperrung des Hafens und wegen des Einlaufens in italienische Hoheitsgewässer, außerdem drei bis zehn Jahre Gefängnis wegen Gewaltanwendung gegen ein Kriegsschiff und bis zu zwölf Jahre Gefängnis wegen versuchten Schiffbruchs. Man kann argumentieren, Carola Rackete habe ganz bewusst gegen ein Verbot und gegen die Anweisung Italiens gehandelt: Sie wusste, was auf sie zukommt.

Aber rechtfertigt das in irgendeiner Weise das Vorgehen Italiens? Menschen, die in Schlepperbooten in Seenot geraten, nicht zu helfen, das ist ein Verbrechen. Menschen achtzehn Tage lang auf einem Boot vor dem eigenen Hafen sitzen zu lassen und ihnen Versorgung zu verwehren, das ist ein Verbrechen. Menschen abhängig von ihrer Herkunft zu helfen oder nicht zu helfen, auch das ist ein Verbrechen. Genau das ist vor Italiens Küste passiert: Wäre ein italienisches oder europäisches Kreuzfahrtschiff in Seenot geraten, wäre sofort Hilfe gekommen. Jede*r hätte von Bord gehen dürfen. In einem Menschen, der auf der Flucht vor Krieg und nicht aushaltbaren Lebensbedingungen in Seenot geraten ist, zu allererst den illegalen Migranten oder den Flüchtling zu sehen, das ist ein Verbrechen. Moralisch wie menschenrechtlich.

Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen besagt in Artikel 98, „jeder Staat verpflichte den Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes, soweit der Kapitän ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu imstande ist, (a) jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten“. Das Kriterium, Europäer*in zu sein, wird hier nicht aufgeführt. Auch waru jemand in Seenot geraten ist, spielt hier keine Rolle. Im Moment der Seenot geht es darum, das Leben zu retten: Egal ob jemand selbstverschuldet in Seenot geraten ist, durch Schlepper*innen, durch technisches Versagen, egal welche Hautfarbe, biographischen Hintergrund und Bleibechancen in Europa auf ihn*sie warten.

Artikel 98 besagt außerdem, dass „alle Küstenstaaten […] die Einrichtung, den Einsatz und die Unterhaltung eines angemessenen und wirksamen Such- und Rettungsdienstes [fördern sollen], um die Sicherheit auf und über der See zu gewährleisten; sie [sollen] erforderlichenfalls zu diesem Zweck mit den Nachbarstaaten mittels regionaler Übereinkünfte [zusammenarbeiten]“. Die Sea Watch 3 segelt unter niederländischer Flagge, Sea Watch selbst hat seinen Hauptsitz in Deutschland. Italiens Küstenwache hat aktiv die Einfahrt in den Hafen zu verhindern versucht, indem sich der Sea Watch 3 in den Weg gestellt wurde. Italien war also nicht nur passiv, sondern hat aktiv zu verhindern versucht, Menschen in Not zu helfen.

Die Begründung, Italien habe durch seine Küste mehr Asylbewerber*innen als Mitgliedstaaten, die nicht über den Seeweg erreichbar sind, ist hinfällig. Die meisten angelandeten Menschen werde durch Absprachen mit anderen EU-Staaten in diese weitergeleitet. Ähnlich haltlos ist das Argument, Italie würde mit Asylbewerber*innen allein gelassen: Im Jahr 2018 wurden in Italien auf eine Millionen Einwohner 813 Asylbewerber*innen registriert. Damit liegt Italien in der EU auf Platz 14 und unterhalb des EU Durchschnitts von 1.133 Erstregistrierungen von Asylbewerbern im Jahr 2018.

Die Menschen an Bord der Sea Watch 3 waren keine erholten Urlauber, die in Seenot geraten waren, sondern Geflüchtete. Sie sind geflohen aus dem Elend in ein viel größeres Elend, denn kein Mensch begibt sich ohne Not in einem instabilen Boot über das Mittelmeer Richtung Europa. Es mag sein, dass Italiens Regierung glaubt, mit einer harten und unnachgiebigen Politik an den Küsten weitere Fluchten über das Mittelmeer zu verhindern. Zum einen werden aber so in keiner Weise Fluchtursachen bekämpft und zum anderen ist der zu zahlende Preis indiskutabel.

Seenotrettung ist kein Verbrechen. Seenotrettung ist zutiefst menschliches Verhalten, das Mut erfordert und dem unser aller Respekt gebührt. Mit Menschen, die das anders sehen, möchte ich weder diskutieren noch assoziiert werden.

Carlotta

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